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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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nicht entspricht. Was zunächst die Literatur betrifft, so liegt der Grund
einer ausreichenden Berücksichtigung auch dieser Frage in dem schon oben
angeführten Verhältniß, nach welchem man den Gegenstand nicht be-
handelt hat, weil man keinen rechten Platz für denselben wußte. In-
deß haben einige Schriftsteller dennoch diese spezielle Gesetzgebung auf-
genommen und zwar bei der systematischen Darstellung des Strafprocesses.
Daneben sind die betreffenden Bestimmungen natürlich in den territorialen
Verwaltungsgesetzkunden aufgeführt, jedoch ohne daß auch hier eine Ge-
meinsamkeit der Auffassung stattfände. So hat Stubenrauch die
österreichischen Gesetze nicht mitgetheilt, während Mayerhofer sie
anführt; Rönne hat sie wieder vollständig, aber nur als Nebenbestim-
mung neben dem einzelnen Organe: Roller hat gar nichts; eben so
Pözl; dagegen fehlen die polizeilichen Bestimmungen über das bürger-
liche Waffenrecht nirgends. Das wird sich erst ändern, wenn die Lehre
vom Rechte der vollziehenden Gewalt, speziell vom Polizeirechte, wissen-
schaftlich behandelt werden wird.

Was die positive Gesetzgebung betrifft, so hat England darüber
unsers Wissens gar keine Bestimmung; das polizeiliche Waffenrecht fällt
hier ganz unter das folgende Gebiet der Verantwortlichkeit der polizei-
lichen Vollziehung. Eben so hat Frankreichs Gesetzgebung eine aus-
drückliche Berechtigung zum Gebrauch der Waffen für einzelne Polizei-
organe nicht ausgesprochen, selbst nicht bei den Flurwächtern. Doch
sagt der Art. 186 des Code Penal: Lorsqu'un fonctionnaire ou un
officier public ou un administrateur, un agent ou un prepose du
gouvernement ou de la police, un executeur des mandats de justice
ou jugements, un commandant en chef ou en sousordre de la force
publique aura, sans motif legitime, use ou fait user de violences envers
les personnes dans l'exercice ou a l'occasion de l'exercice de ses
foncitions, il sera puni selon la nature et la gravite de ses violences
et en elevant la peine suivant la regle posee par l'art.
198. Es
wäre allerdings zu wünschen gewesen, daß das System, welches wir
oben bezeichnet haben, auch formell in diesem Artikel klarer bezeichnet
worden wäre. Indeß ist es der Sache nach nicht zweifelhaft. Das
motif legitime ist offenbar entweder die handhafte That, oder die direkte
Widersetzlichkeit gegen die Organe der Vollziehung. Beide geben dem-
nach das Recht auf "violences", unter denen man neben der allge-
meinen physischen Gewalt ohne Zweifel auch die Waffen zu verstehen
hat. Ob und wie weit die Anwendung der Waffen dann eine berech-
tigte gewesen, hat das Gericht zu entscheiden, und zwar einfach nach
Art. 309. Eine Unterscheidung der verschiedenen Arten der Polizei findet
dabei nicht statt. Ueber die gerichtliche Verantwortlichkeit selbst siehe unten.

nicht entſpricht. Was zunächſt die Literatur betrifft, ſo liegt der Grund
einer ausreichenden Berückſichtigung auch dieſer Frage in dem ſchon oben
angeführten Verhältniß, nach welchem man den Gegenſtand nicht be-
handelt hat, weil man keinen rechten Platz für denſelben wußte. In-
deß haben einige Schriftſteller dennoch dieſe ſpezielle Geſetzgebung auf-
genommen und zwar bei der ſyſtematiſchen Darſtellung des Strafproceſſes.
Daneben ſind die betreffenden Beſtimmungen natürlich in den territorialen
Verwaltungsgeſetzkunden aufgeführt, jedoch ohne daß auch hier eine Ge-
meinſamkeit der Auffaſſung ſtattfände. So hat Stubenrauch die
öſterreichiſchen Geſetze nicht mitgetheilt, während Mayerhofer ſie
anführt; Rönne hat ſie wieder vollſtändig, aber nur als Nebenbeſtim-
mung neben dem einzelnen Organe: Roller hat gar nichts; eben ſo
Pözl; dagegen fehlen die polizeilichen Beſtimmungen über das bürger-
liche Waffenrecht nirgends. Das wird ſich erſt ändern, wenn die Lehre
vom Rechte der vollziehenden Gewalt, ſpeziell vom Polizeirechte, wiſſen-
ſchaftlich behandelt werden wird.

Was die poſitive Geſetzgebung betrifft, ſo hat England darüber
unſers Wiſſens gar keine Beſtimmung; das polizeiliche Waffenrecht fällt
hier ganz unter das folgende Gebiet der Verantwortlichkeit der polizei-
lichen Vollziehung. Eben ſo hat Frankreichs Geſetzgebung eine aus-
drückliche Berechtigung zum Gebrauch der Waffen für einzelne Polizei-
organe nicht ausgeſprochen, ſelbſt nicht bei den Flurwächtern. Doch
ſagt der Art. 186 des Code Pénal: Lorsqu’un fonctionnaire ou un
officier public ou un administrateur, un agent ou un préposé du
gouvernement ou de la police, un exécuteur des mandats de justice
ou jugements, un commandant en chef ou en sousordre de la force
publique aura, sans motif légitime, usé ou fait user de violences envers
les personnes dans l’exercice ou à l’occasion de l’exercice de ses
foncitions, il sera puni selon la nature et la gravité de ses violences
et en élevant la peine suivant la régle posée par l’art.
198. Es
wäre allerdings zu wünſchen geweſen, daß das Syſtem, welches wir
oben bezeichnet haben, auch formell in dieſem Artikel klarer bezeichnet
worden wäre. Indeß iſt es der Sache nach nicht zweifelhaft. Das
motif légitime iſt offenbar entweder die handhafte That, oder die direkte
Widerſetzlichkeit gegen die Organe der Vollziehung. Beide geben dem-
nach das Recht auf „violences“, unter denen man neben der allge-
meinen phyſiſchen Gewalt ohne Zweifel auch die Waffen zu verſtehen
hat. Ob und wie weit die Anwendung der Waffen dann eine berech-
tigte geweſen, hat das Gericht zu entſcheiden, und zwar einfach nach
Art. 309. Eine Unterſcheidung der verſchiedenen Arten der Polizei findet
dabei nicht ſtatt. Ueber die gerichtliche Verantwortlichkeit ſelbſt ſiehe unten.

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[72/0094] nicht entſpricht. Was zunächſt die Literatur betrifft, ſo liegt der Grund einer ausreichenden Berückſichtigung auch dieſer Frage in dem ſchon oben angeführten Verhältniß, nach welchem man den Gegenſtand nicht be- handelt hat, weil man keinen rechten Platz für denſelben wußte. In- deß haben einige Schriftſteller dennoch dieſe ſpezielle Geſetzgebung auf- genommen und zwar bei der ſyſtematiſchen Darſtellung des Strafproceſſes. Daneben ſind die betreffenden Beſtimmungen natürlich in den territorialen Verwaltungsgeſetzkunden aufgeführt, jedoch ohne daß auch hier eine Ge- meinſamkeit der Auffaſſung ſtattfände. So hat Stubenrauch die öſterreichiſchen Geſetze nicht mitgetheilt, während Mayerhofer ſie anführt; Rönne hat ſie wieder vollſtändig, aber nur als Nebenbeſtim- mung neben dem einzelnen Organe: Roller hat gar nichts; eben ſo Pözl; dagegen fehlen die polizeilichen Beſtimmungen über das bürger- liche Waffenrecht nirgends. Das wird ſich erſt ändern, wenn die Lehre vom Rechte der vollziehenden Gewalt, ſpeziell vom Polizeirechte, wiſſen- ſchaftlich behandelt werden wird. Was die poſitive Geſetzgebung betrifft, ſo hat England darüber unſers Wiſſens gar keine Beſtimmung; das polizeiliche Waffenrecht fällt hier ganz unter das folgende Gebiet der Verantwortlichkeit der polizei- lichen Vollziehung. Eben ſo hat Frankreichs Geſetzgebung eine aus- drückliche Berechtigung zum Gebrauch der Waffen für einzelne Polizei- organe nicht ausgeſprochen, ſelbſt nicht bei den Flurwächtern. Doch ſagt der Art. 186 des Code Pénal: Lorsqu’un fonctionnaire ou un officier public ou un administrateur, un agent ou un préposé du gouvernement ou de la police, un exécuteur des mandats de justice ou jugements, un commandant en chef ou en sousordre de la force publique aura, sans motif légitime, usé ou fait user de violences envers les personnes dans l’exercice ou à l’occasion de l’exercice de ses foncitions, il sera puni selon la nature et la gravité de ses violences et en élevant la peine suivant la régle posée par l’art. 198. Es wäre allerdings zu wünſchen geweſen, daß das Syſtem, welches wir oben bezeichnet haben, auch formell in dieſem Artikel klarer bezeichnet worden wäre. Indeß iſt es der Sache nach nicht zweifelhaft. Das motif légitime iſt offenbar entweder die handhafte That, oder die direkte Widerſetzlichkeit gegen die Organe der Vollziehung. Beide geben dem- nach das Recht auf „violences“, unter denen man neben der allge- meinen phyſiſchen Gewalt ohne Zweifel auch die Waffen zu verſtehen hat. Ob und wie weit die Anwendung der Waffen dann eine berech- tigte geweſen, hat das Gericht zu entſcheiden, und zwar einfach nach Art. 309. Eine Unterſcheidung der verſchiedenen Arten der Polizei findet dabei nicht ſtatt. Ueber die gerichtliche Verantwortlichkeit ſelbſt ſiehe unten.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/94>, abgerufen am 28.11.2024.