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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Verschiedenheit der Funktion, und Aretin (Staatsrecht der constitu-
tionellen Monarchie II. 2. Abthl. 177 ff.), kommt sogar schon zu dem
Gedanken einer "Rechtspolizei" und ist somit der erste Vertreter der
Idee eines Rechtsstaats gegenüber dem eudämonistischen Polizeistaat.
Allein das spezifische Wesen der Polizei wird auch ihm nicht recht klar.
Es blieb deßhalb die ganze Literatur bei dem abstrakten Begriffe stehen;
das, worauf es ankam, den Begriff und den Inhalt des Polizeirechts,
konnte man unter diesen Umständen natürlich nicht finden, namentlich
da auch der selbständige Begriff der Verwaltung gegenüber der Ver-
fassung noch gänzlich fehlte. Dazu kam die vollständige Unklar-
heit der Doktrin des öffentlichen Rechts sowohl der deutschen Länder
als der einzelnen Territorien, welche sich durchaus nicht von der un-
glücklichen Vorstellung los machen konnte, als sei die "Polizei" ein
"Hoheitsrecht." Die Hoffnungslosigkeit der Verwirrung bezeichnet sehr
gut der im Einzelnen so klare, im Ganzen so unsystematische Klüber
(Oeffentl. Recht des deutschen Bundes §. 380. 381). Die deutschen
Staats- und Bundesrechtslehrer haben die Sache ohne viel Nachdenken
hingenommen, und mit fleißig gehäuftem Material den Mangel zuzu-
decken gesucht; so noch zuletzt Zöpfl mit seiner "Polizeihoheit" (II. §. 480).
An einen Fortschritt war von dieser Seite nicht zu denken.

Derselbe kam dagegen von Frankreich; und zwar auch nicht durch
theoretische Reflexion, sondern durch den lebendigen Gang der freien
Rechtsentwicklung. Die Beseitigung der grundherrlichen Verwaltung hob
hier die polizeiliche Funktion der Gerichte auf, und mußte daher con-
sequent auch die gerichtliche Funktion der Polizei beseitigen. Der Ge-
danke, den Staatsbürger ohne Urtheil in seiner Freiheit beschränken
zu lassen, widersprach dem neuen Staatsbürgerthum. Es ward daher
durchgreifender Grundsatz des neuen französischen Rechts, die gesammte
gerichtliche Funktion der Polizei zu entziehen und dieselbe den Ge-
richten als police correctionnelle zu übergeben. Damit ward es denn
nothwendig, in dem bisherigen allgemeinen Begriff der Polizei jene
Unterscheidung eintreten zu lassen, die wir angeführt, und die gericht-
liche Polizei neben der Verwaltungspolizei selbständig hinzustellen; nur
daß man dabei wieder nach der alten Theorie nicht zum Begriff der
Verwaltungspolizei gelangte, sondern nur von der Sicherheitspolizei
sprach. Die erste formell ausgesprochene Bestimmung der Polizei in
diesem Sinne ist wohl die des sog. Code de Brumaire, an IV, art. 16:
"La police est instituee pour maintenir l'ordre public, la liberte, la
propriete, la saurete individuelle."
(Dazu Polizeiordnung vom 12. Mess.
an VIII.
) Der Code d'Instr. cr., art. 8, bestimmt die Sache noch genauer
und definirt die gerichtliche Polizei: "La police judiciaire a pour objet de

Verſchiedenheit der Funktion, und Aretin (Staatsrecht der conſtitu-
tionellen Monarchie II. 2. Abthl. 177 ff.), kommt ſogar ſchon zu dem
Gedanken einer „Rechtspolizei“ und iſt ſomit der erſte Vertreter der
Idee eines Rechtsſtaats gegenüber dem eudämoniſtiſchen Polizeiſtaat.
Allein das ſpezifiſche Weſen der Polizei wird auch ihm nicht recht klar.
Es blieb deßhalb die ganze Literatur bei dem abſtrakten Begriffe ſtehen;
das, worauf es ankam, den Begriff und den Inhalt des Polizeirechts,
konnte man unter dieſen Umſtänden natürlich nicht finden, namentlich
da auch der ſelbſtändige Begriff der Verwaltung gegenüber der Ver-
faſſung noch gänzlich fehlte. Dazu kam die vollſtändige Unklar-
heit der Doktrin des öffentlichen Rechts ſowohl der deutſchen Länder
als der einzelnen Territorien, welche ſich durchaus nicht von der un-
glücklichen Vorſtellung los machen konnte, als ſei die „Polizei“ ein
„Hoheitsrecht.“ Die Hoffnungsloſigkeit der Verwirrung bezeichnet ſehr
gut der im Einzelnen ſo klare, im Ganzen ſo unſyſtematiſche Klüber
(Oeffentl. Recht des deutſchen Bundes §. 380. 381). Die deutſchen
Staats- und Bundesrechtslehrer haben die Sache ohne viel Nachdenken
hingenommen, und mit fleißig gehäuftem Material den Mangel zuzu-
decken geſucht; ſo noch zuletzt Zöpfl mit ſeiner „Polizeihoheit“ (II. §. 480).
An einen Fortſchritt war von dieſer Seite nicht zu denken.

Derſelbe kam dagegen von Frankreich; und zwar auch nicht durch
theoretiſche Reflexion, ſondern durch den lebendigen Gang der freien
Rechtsentwicklung. Die Beſeitigung der grundherrlichen Verwaltung hob
hier die polizeiliche Funktion der Gerichte auf, und mußte daher con-
ſequent auch die gerichtliche Funktion der Polizei beſeitigen. Der Ge-
danke, den Staatsbürger ohne Urtheil in ſeiner Freiheit beſchränken
zu laſſen, widerſprach dem neuen Staatsbürgerthum. Es ward daher
durchgreifender Grundſatz des neuen franzöſiſchen Rechts, die geſammte
gerichtliche Funktion der Polizei zu entziehen und dieſelbe den Ge-
richten als police correctionnelle zu übergeben. Damit ward es denn
nothwendig, in dem bisherigen allgemeinen Begriff der Polizei jene
Unterſcheidung eintreten zu laſſen, die wir angeführt, und die gericht-
liche Polizei neben der Verwaltungspolizei ſelbſtändig hinzuſtellen; nur
daß man dabei wieder nach der alten Theorie nicht zum Begriff der
Verwaltungspolizei gelangte, ſondern nur von der Sicherheitspolizei
ſprach. Die erſte formell ausgeſprochene Beſtimmung der Polizei in
dieſem Sinne iſt wohl die des ſog. Code de Brumaire, an IV, art. 16:
„La police est instituée pour maintenir l’ordre public, la liberté, la
propriété, la sûreté individuelle.“
(Dazu Polizeiordnung vom 12. Mess.
an VIII.
) Der Code d’Instr. cr., art. 8, beſtimmt die Sache noch genauer
und definirt die gerichtliche Polizei: „La police judiciaire a pour objet de

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[24/0046] Verſchiedenheit der Funktion, und Aretin (Staatsrecht der conſtitu- tionellen Monarchie II. 2. Abthl. 177 ff.), kommt ſogar ſchon zu dem Gedanken einer „Rechtspolizei“ und iſt ſomit der erſte Vertreter der Idee eines Rechtsſtaats gegenüber dem eudämoniſtiſchen Polizeiſtaat. Allein das ſpezifiſche Weſen der Polizei wird auch ihm nicht recht klar. Es blieb deßhalb die ganze Literatur bei dem abſtrakten Begriffe ſtehen; das, worauf es ankam, den Begriff und den Inhalt des Polizeirechts, konnte man unter dieſen Umſtänden natürlich nicht finden, namentlich da auch der ſelbſtändige Begriff der Verwaltung gegenüber der Ver- faſſung noch gänzlich fehlte. Dazu kam die vollſtändige Unklar- heit der Doktrin des öffentlichen Rechts ſowohl der deutſchen Länder als der einzelnen Territorien, welche ſich durchaus nicht von der un- glücklichen Vorſtellung los machen konnte, als ſei die „Polizei“ ein „Hoheitsrecht.“ Die Hoffnungsloſigkeit der Verwirrung bezeichnet ſehr gut der im Einzelnen ſo klare, im Ganzen ſo unſyſtematiſche Klüber (Oeffentl. Recht des deutſchen Bundes §. 380. 381). Die deutſchen Staats- und Bundesrechtslehrer haben die Sache ohne viel Nachdenken hingenommen, und mit fleißig gehäuftem Material den Mangel zuzu- decken geſucht; ſo noch zuletzt Zöpfl mit ſeiner „Polizeihoheit“ (II. §. 480). An einen Fortſchritt war von dieſer Seite nicht zu denken. Derſelbe kam dagegen von Frankreich; und zwar auch nicht durch theoretiſche Reflexion, ſondern durch den lebendigen Gang der freien Rechtsentwicklung. Die Beſeitigung der grundherrlichen Verwaltung hob hier die polizeiliche Funktion der Gerichte auf, und mußte daher con- ſequent auch die gerichtliche Funktion der Polizei beſeitigen. Der Ge- danke, den Staatsbürger ohne Urtheil in ſeiner Freiheit beſchränken zu laſſen, widerſprach dem neuen Staatsbürgerthum. Es ward daher durchgreifender Grundſatz des neuen franzöſiſchen Rechts, die geſammte gerichtliche Funktion der Polizei zu entziehen und dieſelbe den Ge- richten als police correctionnelle zu übergeben. Damit ward es denn nothwendig, in dem bisherigen allgemeinen Begriff der Polizei jene Unterſcheidung eintreten zu laſſen, die wir angeführt, und die gericht- liche Polizei neben der Verwaltungspolizei ſelbſtändig hinzuſtellen; nur daß man dabei wieder nach der alten Theorie nicht zum Begriff der Verwaltungspolizei gelangte, ſondern nur von der Sicherheitspolizei ſprach. Die erſte formell ausgeſprochene Beſtimmung der Polizei in dieſem Sinne iſt wohl die des ſog. Code de Brumaire, an IV, art. 16: „La police est instituée pour maintenir l’ordre public, la liberté, la propriété, la sûreté individuelle.“ (Dazu Polizeiordnung vom 12. Mess. an VIII.) Der Code d’Instr. cr., art. 8, beſtimmt die Sache noch genauer und definirt die gerichtliche Polizei: „La police judiciaire a pour objet de

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/46>, abgerufen am 27.11.2024.