nie mit Nutzen von den betreffenden Theilen der Verwaltungslehre scheiden kann.
Das sind die Elemente des Systems des Polizeirechts. Der Grund des Mangels an einem System des Polizeirechts liegt in dem gesammten Entwicklungsgange der deutschen Gesetzgebung und Rechts- wissenschaft, die sich in denjenigen Arbeiten, mit denen sie sich dem Polizeirechte überhaupt zugewendet hat, namentlich mit dem Gebiete der gerichtlichen Polizei bisher beschäftigte, und hier Bedeutendes leistet, während die Verwaltungspolizei fast gänzlich von ihr unberücksichtigt geblieben ist. Der Grund davon besteht wesentlich in dem Mangel des Begriffes von einem selbständigen Verwaltungsrecht einerseits, und der bestimmten Unterscheidung von Klag- und Beschwerderecht. Das erste hat die Theorie des geltenden Rechts überhaupt, das zweite das System der rechtlichen Verantwortlichkeit nicht gedeihen lassen. Daher finden wir eine Literatur für das Polizeirecht auch nur im Gebiete der einzelnen Fragen, was eine zum Theil große Einseitigkeit des Stand- punkts zur Folge hat, während sie für das Ganze fehlt. Wesentlich anders ist es in der französischen Literatur, die sehr vollständige und selbst casuistische Arbeiten über das Recht der Verwaltungspolizei besitzt. Dies beruht wieder darauf, daß die Polizei seit dem Code Penal kein eigenes, formell gültiges Strafrecht hat, und daher das ganze Verfahren der criminalistischen Bearbeitung anheimfiel und auf allen Punkten der juristischen Auffassung Raum ließ. Die strenge, wenn auch vielfach formale Entwicklung des verfassungsmäßigen Rechts trug auch das ihrige dazu bei, so wie endlich die hohe und vortreffliche Ausbildung des Be- schwerdeverfahrens. Hier haben wir daher sehr viel zu thun, bevor wir der französischen Literatur nachkommen; doch hat ihre Entwicklung selbst es begründet, daß sie nicht so sehr systematisch und dogmatisch, als vielmehr casuistisch und hermeneutisch auf Grundlage der bestehenden Ge- setze verfahren ist. Die Deutschen werden hier die geistige Ordnung in das reiche, fast überreiche französische Material zu bringen haben. Daß die englische Literatur für das Polizeirecht kein eigenes Gebiet eröffnet hat, erklärt sich von selbst. Wenn man sich übrigens den Werth und die Bedeutung des Begriffs eines "Polizeirechts" überhaupt, und daneben den mächtigen Fortschritt vergegenwärtigen will, den wir in Deutschland denn doch trotz alles Mangels an "System" in dem öffentlichen Recht gemacht haben, so muß man einen Blick auf das werfen, was noch im Anfang unsers Jahrhunderts als Polizei gelehrt werden konnte, und was um so mehr Wunder nehmen muß, als schon im vorigen Jahr- hundert einzelne hervorragende Männer, wie Möser, J. H. Berg und Sonnenfels auf einem hochachtbaren Standpunkte standen,
nie mit Nutzen von den betreffenden Theilen der Verwaltungslehre ſcheiden kann.
Das ſind die Elemente des Syſtems des Polizeirechts. Der Grund des Mangels an einem Syſtem des Polizeirechts liegt in dem geſammten Entwicklungsgange der deutſchen Geſetzgebung und Rechts- wiſſenſchaft, die ſich in denjenigen Arbeiten, mit denen ſie ſich dem Polizeirechte überhaupt zugewendet hat, namentlich mit dem Gebiete der gerichtlichen Polizei bisher beſchäftigte, und hier Bedeutendes leiſtet, während die Verwaltungspolizei faſt gänzlich von ihr unberückſichtigt geblieben iſt. Der Grund davon beſteht weſentlich in dem Mangel des Begriffes von einem ſelbſtändigen Verwaltungsrecht einerſeits, und der beſtimmten Unterſcheidung von Klag- und Beſchwerderecht. Das erſte hat die Theorie des geltenden Rechts überhaupt, das zweite das Syſtem der rechtlichen Verantwortlichkeit nicht gedeihen laſſen. Daher finden wir eine Literatur für das Polizeirecht auch nur im Gebiete der einzelnen Fragen, was eine zum Theil große Einſeitigkeit des Stand- punkts zur Folge hat, während ſie für das Ganze fehlt. Weſentlich anders iſt es in der franzöſiſchen Literatur, die ſehr vollſtändige und ſelbſt caſuiſtiſche Arbeiten über das Recht der Verwaltungspolizei beſitzt. Dies beruht wieder darauf, daß die Polizei ſeit dem Code Pénal kein eigenes, formell gültiges Strafrecht hat, und daher das ganze Verfahren der criminaliſtiſchen Bearbeitung anheimfiel und auf allen Punkten der juriſtiſchen Auffaſſung Raum ließ. Die ſtrenge, wenn auch vielfach formale Entwicklung des verfaſſungsmäßigen Rechts trug auch das ihrige dazu bei, ſo wie endlich die hohe und vortreffliche Ausbildung des Be- ſchwerdeverfahrens. Hier haben wir daher ſehr viel zu thun, bevor wir der franzöſiſchen Literatur nachkommen; doch hat ihre Entwicklung ſelbſt es begründet, daß ſie nicht ſo ſehr ſyſtematiſch und dogmatiſch, als vielmehr caſuiſtiſch und hermeneutiſch auf Grundlage der beſtehenden Ge- ſetze verfahren iſt. Die Deutſchen werden hier die geiſtige Ordnung in das reiche, faſt überreiche franzöſiſche Material zu bringen haben. Daß die engliſche Literatur für das Polizeirecht kein eigenes Gebiet eröffnet hat, erklärt ſich von ſelbſt. Wenn man ſich übrigens den Werth und die Bedeutung des Begriffs eines „Polizeirechts“ überhaupt, und daneben den mächtigen Fortſchritt vergegenwärtigen will, den wir in Deutſchland denn doch trotz alles Mangels an „Syſtem“ in dem öffentlichen Recht gemacht haben, ſo muß man einen Blick auf das werfen, was noch im Anfang unſers Jahrhunderts als Polizei gelehrt werden konnte, und was um ſo mehr Wunder nehmen muß, als ſchon im vorigen Jahr- hundert einzelne hervorragende Männer, wie Möſer, J. H. Berg und Sonnenfels auf einem hochachtbaren Standpunkte ſtanden,
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nie mit Nutzen von den betreffenden Theilen der Verwaltungslehre
ſcheiden kann.
Das ſind die Elemente des Syſtems des Polizeirechts. Der
Grund des Mangels an einem Syſtem des Polizeirechts liegt in dem
geſammten Entwicklungsgange der deutſchen Geſetzgebung und Rechts-
wiſſenſchaft, die ſich in denjenigen Arbeiten, mit denen ſie ſich dem
Polizeirechte überhaupt zugewendet hat, namentlich mit dem Gebiete
der gerichtlichen Polizei bisher beſchäftigte, und hier Bedeutendes leiſtet,
während die Verwaltungspolizei faſt gänzlich von ihr unberückſichtigt
geblieben iſt. Der Grund davon beſteht weſentlich in dem Mangel
des Begriffes von einem ſelbſtändigen Verwaltungsrecht einerſeits, und
der beſtimmten Unterſcheidung von Klag- und Beſchwerderecht. Das
erſte hat die Theorie des geltenden Rechts überhaupt, das zweite das
Syſtem der rechtlichen Verantwortlichkeit nicht gedeihen laſſen. Daher
finden wir eine Literatur für das Polizeirecht auch nur im Gebiete der
einzelnen Fragen, was eine zum Theil große Einſeitigkeit des Stand-
punkts zur Folge hat, während ſie für das Ganze fehlt. Weſentlich
anders iſt es in der franzöſiſchen Literatur, die ſehr vollſtändige und
ſelbſt caſuiſtiſche Arbeiten über das Recht der Verwaltungspolizei beſitzt.
Dies beruht wieder darauf, daß die Polizei ſeit dem Code Pénal kein
eigenes, formell gültiges Strafrecht hat, und daher das ganze Verfahren
der criminaliſtiſchen Bearbeitung anheimfiel und auf allen Punkten der
juriſtiſchen Auffaſſung Raum ließ. Die ſtrenge, wenn auch vielfach
formale Entwicklung des verfaſſungsmäßigen Rechts trug auch das ihrige
dazu bei, ſo wie endlich die hohe und vortreffliche Ausbildung des Be-
ſchwerdeverfahrens. Hier haben wir daher ſehr viel zu thun, bevor wir
der franzöſiſchen Literatur nachkommen; doch hat ihre Entwicklung ſelbſt
es begründet, daß ſie nicht ſo ſehr ſyſtematiſch und dogmatiſch, als
vielmehr caſuiſtiſch und hermeneutiſch auf Grundlage der beſtehenden Ge-
ſetze verfahren iſt. Die Deutſchen werden hier die geiſtige Ordnung in
das reiche, faſt überreiche franzöſiſche Material zu bringen haben. Daß
die engliſche Literatur für das Polizeirecht kein eigenes Gebiet eröffnet
hat, erklärt ſich von ſelbſt. Wenn man ſich übrigens den Werth und
die Bedeutung des Begriffs eines „Polizeirechts“ überhaupt, und daneben
den mächtigen Fortſchritt vergegenwärtigen will, den wir in Deutſchland
denn doch trotz alles Mangels an „Syſtem“ in dem öffentlichen Recht
gemacht haben, ſo muß man einen Blick auf das werfen, was noch im
Anfang unſers Jahrhunderts als Polizei gelehrt werden konnte, und
was um ſo mehr Wunder nehmen muß, als ſchon im vorigen Jahr-
hundert einzelne hervorragende Männer, wie Möſer, J. H. Berg
und Sonnenfels auf einem hochachtbaren Standpunkte ſtanden,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/32>, abgerufen am 17.02.2025.
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