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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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die Verschollenheitserklärung nicht eingetreten ist, die Verlassenschafts-
pflege nur als Vormundschaft für Abwesende erscheint. Die Aufgabe
der Verlassenschaftspflege ist aber eine von der Verlassenschaftstheilung
wesentlich verschiedene.

Dieselbe ist eine zweifache. Zuerst ist sie die Vormundschaftspflege
über die Verlassenschaft, so lange bis die Verlassenschaftstheilung ein-
tritt. Zweitens enthält sie diejenigen Anordnungen, welche die Be-
dingungen für die Sicherung der Rechte aller Betheiligten gegen
einander und gegen Dritte herzustellen hat. Offenbar ist die natürliche
Gränze dieses Rechts der Verwaltung in demjenigen gegeben, wodurch
an die Stelle des Verstorbenen die durch die Erbeserklärung berechtigte,
also in die Haftungen des Verstorbenen eintretende Person aufgestellt ist.
Keine Verlassenschaftspflege soll weiter gehen, als bis zu diesem Augenblick;
und es ergibt sich daraus der Satz, daß jede Verlassenschaftspflege nur
subsidiär stattfinden soll. Die einfachen Grundsätze dafür sind unzweifel-
haft die des französischen Rechts, nach welchem bei den gesetzlichen
Erben überhaupt keine Verlassenschaftspflege eintritt, während die
Fälle dieses Eintretens genau bestimmt sind. Das Verfahren dabei
ist gleichfalls geordnet und zerfällt in den Akt der Versiegelung,
den Akt der Entsiegelung, und den Akt der Inventarisirung,
weil der gesetzliche Erbe mit dem Erbrecht zugleich den Besitz der Ver-
lassenschaft empfängt. Wo dagegen dieser Besitz erst erworben werden
muß, tritt eine Zwischenzeit ein, in welcher das Gericht als Organ der
Verwaltung Besitzer ist; und dasjenige, was es in dieser Zwischenzeit
zu thun hat, bildet den Inhalt der eigentlichen Verlassenschaftspflege.

Diese nun ist eine zweifache; eine wirthschaftliche und eine rechtliche.

Wirthschaftlich hat das Amt (Gericht), während es den Besitz
der Erbschaft hat, dieselbe nach den allgemeinen Regeln der Vormund-
schaft zu verwalten.

Rechtlich hat das Amt diejenigen Maßregeln vorzunehmen, durch
welche die Ansprüche aller Berechtigten auf den ihnen zukommenden
Erwerb gesichert werden. Diese bestehen in den drei Akten der amt-
lichen Versiegelung, der Entsiegelung und der Inventari-
sirung
. Die wirkliche Uebergabe an die Berechtigten kann natürlich
erst auf Grund eines, diese Berechtigung anerkennenden gerichtlichen
Urtheiles erfolgen und gehört dem Folgenden. Die Bedingung, unter
der jene drei Akte vorzunehmen sind, wird stets entweder das Gesuch
der Erben, das Recht des Staats, die Gefahr der Entwendung, oder
das nachgewiesene Recht Dritter sein. Wo dieß nicht eintritt, wird bis
zur Einweisung die Verlassenschaft wie jedes andere vormundschaftliche
Vermögen verwaltet.


die Verſchollenheitserklärung nicht eingetreten iſt, die Verlaſſenſchafts-
pflege nur als Vormundſchaft für Abweſende erſcheint. Die Aufgabe
der Verlaſſenſchaftspflege iſt aber eine von der Verlaſſenſchaftstheilung
weſentlich verſchiedene.

Dieſelbe iſt eine zweifache. Zuerſt iſt ſie die Vormundſchaftspflege
über die Verlaſſenſchaft, ſo lange bis die Verlaſſenſchaftstheilung ein-
tritt. Zweitens enthält ſie diejenigen Anordnungen, welche die Be-
dingungen für die Sicherung der Rechte aller Betheiligten gegen
einander und gegen Dritte herzuſtellen hat. Offenbar iſt die natürliche
Gränze dieſes Rechts der Verwaltung in demjenigen gegeben, wodurch
an die Stelle des Verſtorbenen die durch die Erbeserklärung berechtigte,
alſo in die Haftungen des Verſtorbenen eintretende Perſon aufgeſtellt iſt.
Keine Verlaſſenſchaftspflege ſoll weiter gehen, als bis zu dieſem Augenblick;
und es ergibt ſich daraus der Satz, daß jede Verlaſſenſchaftspflege nur
ſubſidiär ſtattfinden ſoll. Die einfachen Grundſätze dafür ſind unzweifel-
haft die des franzöſiſchen Rechts, nach welchem bei den geſetzlichen
Erben überhaupt keine Verlaſſenſchaftspflege eintritt, während die
Fälle dieſes Eintretens genau beſtimmt ſind. Das Verfahren dabei
iſt gleichfalls geordnet und zerfällt in den Akt der Verſiegelung,
den Akt der Entſiegelung, und den Akt der Inventariſirung,
weil der geſetzliche Erbe mit dem Erbrecht zugleich den Beſitz der Ver-
laſſenſchaft empfängt. Wo dagegen dieſer Beſitz erſt erworben werden
muß, tritt eine Zwiſchenzeit ein, in welcher das Gericht als Organ der
Verwaltung Beſitzer iſt; und dasjenige, was es in dieſer Zwiſchenzeit
zu thun hat, bildet den Inhalt der eigentlichen Verlaſſenſchaftspflege.

Dieſe nun iſt eine zweifache; eine wirthſchaftliche und eine rechtliche.

Wirthſchaftlich hat das Amt (Gericht), während es den Beſitz
der Erbſchaft hat, dieſelbe nach den allgemeinen Regeln der Vormund-
ſchaft zu verwalten.

Rechtlich hat das Amt diejenigen Maßregeln vorzunehmen, durch
welche die Anſprüche aller Berechtigten auf den ihnen zukommenden
Erwerb geſichert werden. Dieſe beſtehen in den drei Akten der amt-
lichen Verſiegelung, der Entſiegelung und der Inventari-
ſirung
. Die wirkliche Uebergabe an die Berechtigten kann natürlich
erſt auf Grund eines, dieſe Berechtigung anerkennenden gerichtlichen
Urtheiles erfolgen und gehört dem Folgenden. Die Bedingung, unter
der jene drei Akte vorzunehmen ſind, wird ſtets entweder das Geſuch
der Erben, das Recht des Staats, die Gefahr der Entwendung, oder
das nachgewieſene Recht Dritter ſein. Wo dieß nicht eintritt, wird bis
zur Einweiſung die Verlaſſenſchaft wie jedes andere vormundſchaftliche
Vermögen verwaltet.


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[195/0217] die Verſchollenheitserklärung nicht eingetreten iſt, die Verlaſſenſchafts- pflege nur als Vormundſchaft für Abweſende erſcheint. Die Aufgabe der Verlaſſenſchaftspflege iſt aber eine von der Verlaſſenſchaftstheilung weſentlich verſchiedene. Dieſelbe iſt eine zweifache. Zuerſt iſt ſie die Vormundſchaftspflege über die Verlaſſenſchaft, ſo lange bis die Verlaſſenſchaftstheilung ein- tritt. Zweitens enthält ſie diejenigen Anordnungen, welche die Be- dingungen für die Sicherung der Rechte aller Betheiligten gegen einander und gegen Dritte herzuſtellen hat. Offenbar iſt die natürliche Gränze dieſes Rechts der Verwaltung in demjenigen gegeben, wodurch an die Stelle des Verſtorbenen die durch die Erbeserklärung berechtigte, alſo in die Haftungen des Verſtorbenen eintretende Perſon aufgeſtellt iſt. Keine Verlaſſenſchaftspflege ſoll weiter gehen, als bis zu dieſem Augenblick; und es ergibt ſich daraus der Satz, daß jede Verlaſſenſchaftspflege nur ſubſidiär ſtattfinden ſoll. Die einfachen Grundſätze dafür ſind unzweifel- haft die des franzöſiſchen Rechts, nach welchem bei den geſetzlichen Erben überhaupt keine Verlaſſenſchaftspflege eintritt, während die Fälle dieſes Eintretens genau beſtimmt ſind. Das Verfahren dabei iſt gleichfalls geordnet und zerfällt in den Akt der Verſiegelung, den Akt der Entſiegelung, und den Akt der Inventariſirung, weil der geſetzliche Erbe mit dem Erbrecht zugleich den Beſitz der Ver- laſſenſchaft empfängt. Wo dagegen dieſer Beſitz erſt erworben werden muß, tritt eine Zwiſchenzeit ein, in welcher das Gericht als Organ der Verwaltung Beſitzer iſt; und dasjenige, was es in dieſer Zwiſchenzeit zu thun hat, bildet den Inhalt der eigentlichen Verlaſſenſchaftspflege. Dieſe nun iſt eine zweifache; eine wirthſchaftliche und eine rechtliche. Wirthſchaftlich hat das Amt (Gericht), während es den Beſitz der Erbſchaft hat, dieſelbe nach den allgemeinen Regeln der Vormund- ſchaft zu verwalten. Rechtlich hat das Amt diejenigen Maßregeln vorzunehmen, durch welche die Anſprüche aller Berechtigten auf den ihnen zukommenden Erwerb geſichert werden. Dieſe beſtehen in den drei Akten der amt- lichen Verſiegelung, der Entſiegelung und der Inventari- ſirung. Die wirkliche Uebergabe an die Berechtigten kann natürlich erſt auf Grund eines, dieſe Berechtigung anerkennenden gerichtlichen Urtheiles erfolgen und gehört dem Folgenden. Die Bedingung, unter der jene drei Akte vorzunehmen ſind, wird ſtets entweder das Geſuch der Erben, das Recht des Staats, die Gefahr der Entwendung, oder das nachgewieſene Recht Dritter ſein. Wo dieß nicht eintritt, wird bis zur Einweiſung die Verlaſſenſchaft wie jedes andere vormundſchaftliche Vermögen verwaltet.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/217>, abgerufen am 27.11.2024.