Es kann natürlich nicht die Absicht des Folgenden sein, eine auch nur annähernd vollständige Darstellung des Pflegschaftswesens zu geben. Daß wir dabei sehr kurz sind, bedarf gegenüber dem mächtigen Stoffe wohl keiner Entschuldigung. Wohl aber müssen wir erklären, weß- halb wir überhaupt von demselben in der Verwaltungslehre reden, und während bisher das Verwaltungsrecht in dem bürgerlichen Rechte ent- halten war, nunmehr fordern, umgekehrt das bürgerliche Recht desselben in das Verwaltungsrecht aufzunehmen.
Wir haben uns bereits im Allgemeinen über das Wesen desjenigen Rechtsgebietes ausgesprochen, das wir das bürgerliche Verwaltungsrecht genannt haben (vollziehende Gewalt S. 212). Es kann wohl kaum zweifelhaft sein, daß das Pflegschaftswesen eines der Hauptgebiete ist, welche diesem bürgerlichen Verwaltungsrecht angehören. Das, worauf es uns dabei ankommt, ist daher für unsern Zweck eben die Feststellung des Gesichtspunkts, nach welchem wir das gesammte Pflegschaftswesen nicht als einen Theil des bürgerlichen, sondern als einen Theil des Verwal- tungsrechts betrachten müssen, und zwar in der Weise, daß nicht etwa das bürgerlich-rechtliche Element in demselben als aufgehoben angesehen wird, sondern daß dasselbe vielmehr nur als die Gesammtheit derjenigen bürgerlich- rechtlichen Folgen erscheint, welche sich aus der, das Pflegschaftswesen bil- denden Verwaltungsthätigkeit für die dabei betheiligten Einzelnen ergeben.
In der That nämlich kann man denn doch wohl schwerlich daran zweifeln, daß die Bestellung von Vormündern, die Pflicht zur Ueber- nahme der Vormundschaft, die Oberaufsicht der Behörde u. s. w. kein Privatrecht bilden, quod pactis privatorum mutari potest. Der Grund, weßhalb man es als solches behandelt hat, ist rein ein histo- rischer; und niemand wird die Aufnahme in die bürgerlichen Gesetz- bücher, die so viel anderes aus dem Verwaltungsrecht enthalten, für
Stein, die Verwaltungslehre. IV. 12
Das Pflegſchaftsweſen. Begriff und Rechtsprincip.
Es kann natürlich nicht die Abſicht des Folgenden ſein, eine auch nur annähernd vollſtändige Darſtellung des Pflegſchaftsweſens zu geben. Daß wir dabei ſehr kurz ſind, bedarf gegenüber dem mächtigen Stoffe wohl keiner Entſchuldigung. Wohl aber müſſen wir erklären, weß- halb wir überhaupt von demſelben in der Verwaltungslehre reden, und während bisher das Verwaltungsrecht in dem bürgerlichen Rechte ent- halten war, nunmehr fordern, umgekehrt das bürgerliche Recht deſſelben in das Verwaltungsrecht aufzunehmen.
Wir haben uns bereits im Allgemeinen über das Weſen desjenigen Rechtsgebietes ausgeſprochen, das wir das bürgerliche Verwaltungsrecht genannt haben (vollziehende Gewalt S. 212). Es kann wohl kaum zweifelhaft ſein, daß das Pflegſchaftsweſen eines der Hauptgebiete iſt, welche dieſem bürgerlichen Verwaltungsrecht angehören. Das, worauf es uns dabei ankommt, iſt daher für unſern Zweck eben die Feſtſtellung des Geſichtspunkts, nach welchem wir das geſammte Pflegſchaftsweſen nicht als einen Theil des bürgerlichen, ſondern als einen Theil des Verwal- tungsrechts betrachten müſſen, und zwar in der Weiſe, daß nicht etwa das bürgerlich-rechtliche Element in demſelben als aufgehoben angeſehen wird, ſondern daß daſſelbe vielmehr nur als die Geſammtheit derjenigen bürgerlich- rechtlichen Folgen erſcheint, welche ſich aus der, das Pflegſchaftsweſen bil- denden Verwaltungsthätigkeit für die dabei betheiligten Einzelnen ergeben.
In der That nämlich kann man denn doch wohl ſchwerlich daran zweifeln, daß die Beſtellung von Vormündern, die Pflicht zur Ueber- nahme der Vormundſchaft, die Oberaufſicht der Behörde u. ſ. w. kein Privatrecht bilden, quod pactis privatorum mutari potest. Der Grund, weßhalb man es als ſolches behandelt hat, iſt rein ein hiſto- riſcher; und niemand wird die Aufnahme in die bürgerlichen Geſetz- bücher, die ſo viel anderes aus dem Verwaltungsrecht enthalten, für
Stein, die Verwaltungslehre. IV. 12
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Das Pflegſchaftsweſen.
Begriff und Rechtsprincip.
Es kann natürlich nicht die Abſicht des Folgenden ſein, eine
auch nur annähernd vollſtändige Darſtellung des Pflegſchaftsweſens zu
geben. Daß wir dabei ſehr kurz ſind, bedarf gegenüber dem mächtigen
Stoffe wohl keiner Entſchuldigung. Wohl aber müſſen wir erklären, weß-
halb wir überhaupt von demſelben in der Verwaltungslehre reden, und
während bisher das Verwaltungsrecht in dem bürgerlichen Rechte ent-
halten war, nunmehr fordern, umgekehrt das bürgerliche Recht deſſelben
in das Verwaltungsrecht aufzunehmen.
Wir haben uns bereits im Allgemeinen über das Weſen desjenigen
Rechtsgebietes ausgeſprochen, das wir das bürgerliche Verwaltungsrecht
genannt haben (vollziehende Gewalt S. 212). Es kann wohl kaum
zweifelhaft ſein, daß das Pflegſchaftsweſen eines der Hauptgebiete iſt,
welche dieſem bürgerlichen Verwaltungsrecht angehören. Das, worauf es
uns dabei ankommt, iſt daher für unſern Zweck eben die Feſtſtellung des
Geſichtspunkts, nach welchem wir das geſammte Pflegſchaftsweſen nicht
als einen Theil des bürgerlichen, ſondern als einen Theil des Verwal-
tungsrechts betrachten müſſen, und zwar in der Weiſe, daß nicht etwa das
bürgerlich-rechtliche Element in demſelben als aufgehoben angeſehen wird,
ſondern daß daſſelbe vielmehr nur als die Geſammtheit derjenigen bürgerlich-
rechtlichen Folgen erſcheint, welche ſich aus der, das Pflegſchaftsweſen bil-
denden Verwaltungsthätigkeit für die dabei betheiligten Einzelnen ergeben.
In der That nämlich kann man denn doch wohl ſchwerlich daran
zweifeln, daß die Beſtellung von Vormündern, die Pflicht zur Ueber-
nahme der Vormundſchaft, die Oberaufſicht der Behörde u. ſ. w. kein
Privatrecht bilden, quod pactis privatorum mutari potest. Der
Grund, weßhalb man es als ſolches behandelt hat, iſt rein ein hiſto-
riſcher; und niemand wird die Aufnahme in die bürgerlichen Geſetz-
bücher, die ſo viel anderes aus dem Verwaltungsrecht enthalten, für
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. [177]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/199>, abgerufen am 27.07.2024.
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