Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.Wir haben uns hier mit den Formen der gerichtlichen Verhaftung, die Stein, die Verwaltungslehre. IV. 10
Wir haben uns hier mit den Formen der gerichtlichen Verhaftung, die Stein, die Verwaltungslehre. IV. 10
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0167" n="145"/> Wir haben uns hier mit den Formen der gerichtlichen Verhaftung, die<lb/> die vorzüglich gut behandelt ſind, nicht zu beſchäftigen. Allein das<lb/> engliſche Recht beſtimmt, daß der Conſtabel jeden, den er ohne Haft-<lb/> befehl (<hi rendition="#aq">warrant</hi>) verhaftet — alſo bei jeder rein polizeilichen Verhaf-<lb/> tung — ſo <hi rendition="#g">lange</hi> in Haft behalten kann, als das Gericht keine Sitzung<lb/> hat (<hi rendition="#aq">whenever any person shall be <hi rendition="#g">without warrant</hi> in the<lb/> custody of any constable — during the time when the police wart<lb/><hi rendition="#g">shall be shut</hi></hi> —) <hi rendition="#g">ohne</hi> daß ein feſter, weiterer Termin angegeben<lb/> wäre. Dieſer Grundſatz iſt alt und durch 2. 3 <hi rendition="#aq">Vict.</hi> 65 nicht erſt ein-<lb/> geführt, wie Bertrand zu glauben ſcheint. Das Recht <hi rendition="#g">zur</hi> polizeilichen<lb/> Verhaftung von Seiten des Conſtabler iſt aber, wie er richtig ausführt,<lb/><hi rendition="#g">viel</hi> größer <hi rendition="#g">irgendwo</hi> auf dem Continent, vielleicht mit Ausnahme<lb/> Rußlands. In der That kann er nicht bloß auf handhafter That bei<lb/> Verbrechen und Vergehen verhaften, ſondern auch „jede Perſon, welche<lb/> er mit gutem Grund im Verdacht hat, ein öffentliches Unrecht begangen<lb/> zu haben oder <hi rendition="#g">verſuchen zu wollen</hi>“ (<hi rendition="#aq">about to comit any felony<lb/> misdemeanour or breach of peace</hi>) ja ſelbſt da, wo dieſelbe die ge-<lb/> ringſte öffentliche Ruheſtörung begeht, und alle dieſe Fälle hat eben<lb/> das <hi rendition="#aq">Statute 2. 3 Vict.</hi> 17 genau und ausdrücklich formulirt. (Vgl.<lb/><hi rendition="#g">Bertrand</hi>, S. 6. 7.) Iſt jemand des <hi rendition="#g">Nachts</hi> verhaftet ohne <hi rendition="#aq">warrant,</hi><lb/> ſo wird er in das nächſte Polizeigefängniß abgeführt. Hier <hi rendition="#g">kann</hi> der<lb/> Conſtabler zwar den Verhafteten freilaſſen gegen Caution, wobei er die<lb/><hi rendition="#aq">bail of recognizance</hi> unterzeichnen muß. Die Polizei hat zu dieſem<lb/> Zweck eigene polizeiliche Verhaftungsregiſter, in welche dieſe Stellungs-<lb/> verpflichtung genau und ſpeziell aufgezeichnet werden, nach 10 <hi rendition="#aq">Georg IV.</hi><lb/> 44. (<hi rendition="#g">Bertrand</hi>, S. 23. 24.) Dieſe Gewalt der Polizei iſt nun, wie<lb/> geſagt, eben dadurch eine ſehr ernſte, daß die Gerichte eben nicht regel-<lb/> mäßige Sitzungen haben und kein <hi rendition="#g">Termin</hi> vorgeſchrieben iſt, ſo daß<lb/> mit gutem Recht <hi rendition="#g">Blackſtone</hi> ſagt: „In Betrachtung der Individuen,<lb/> welchen dieſe große Gewalt überliefert iſt (der Conſtabler), iſt es viel-<lb/> leicht ganz gut, daß ſie nicht gar zu ſehr aufgeklärt ſind über die Aus-<lb/> dehnung ihrer geſetzlichen Berechtigung!“ (<hi rendition="#aq">Liv. 1. ch. IX</hi>) Das iſt<lb/> vollkommen richtig, um ſo mehr, als der Conſtabler ermächtigt iſt, bei<lb/> etwaigem Widerſtand zur phyſiſchen Gewalt überzugehen, ja den Wider-<lb/> ſtehenden zu <hi rendition="#g">tödten</hi>! (<hi rendition="#g">Glaſer</hi>, §. 176.) — Indeß hat <hi rendition="#g">Bernard</hi><lb/> dabei eben die zweite Seite der Sache weggelaſſen, nach welcher derſelbe<lb/> Conſtabler perſönlich gegen Privatklage <hi rendition="#g">haftet</hi> für den unberechtigt zu-<lb/> gefügten Schaden in Haft und Verletzung. Freilich verſteht man erſt<lb/> jetzt die <hi rendition="#g">Nothwendigkeit</hi> dieſer Haftung ganz, und es läßt ſich jetzt<lb/> begreifen, weßhalb man auf dem Continent bei viel geringerer Berech-<lb/> tigung der Polizei dieſe Nothwendigkeit ſo lange mißverſtanden hat.<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 10</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [145/0167]
Wir haben uns hier mit den Formen der gerichtlichen Verhaftung, die
die vorzüglich gut behandelt ſind, nicht zu beſchäftigen. Allein das
engliſche Recht beſtimmt, daß der Conſtabel jeden, den er ohne Haft-
befehl (warrant) verhaftet — alſo bei jeder rein polizeilichen Verhaf-
tung — ſo lange in Haft behalten kann, als das Gericht keine Sitzung
hat (whenever any person shall be without warrant in the
custody of any constable — during the time when the police wart
shall be shut —) ohne daß ein feſter, weiterer Termin angegeben
wäre. Dieſer Grundſatz iſt alt und durch 2. 3 Vict. 65 nicht erſt ein-
geführt, wie Bertrand zu glauben ſcheint. Das Recht zur polizeilichen
Verhaftung von Seiten des Conſtabler iſt aber, wie er richtig ausführt,
viel größer irgendwo auf dem Continent, vielleicht mit Ausnahme
Rußlands. In der That kann er nicht bloß auf handhafter That bei
Verbrechen und Vergehen verhaften, ſondern auch „jede Perſon, welche
er mit gutem Grund im Verdacht hat, ein öffentliches Unrecht begangen
zu haben oder verſuchen zu wollen“ (about to comit any felony
misdemeanour or breach of peace) ja ſelbſt da, wo dieſelbe die ge-
ringſte öffentliche Ruheſtörung begeht, und alle dieſe Fälle hat eben
das Statute 2. 3 Vict. 17 genau und ausdrücklich formulirt. (Vgl.
Bertrand, S. 6. 7.) Iſt jemand des Nachts verhaftet ohne warrant,
ſo wird er in das nächſte Polizeigefängniß abgeführt. Hier kann der
Conſtabler zwar den Verhafteten freilaſſen gegen Caution, wobei er die
bail of recognizance unterzeichnen muß. Die Polizei hat zu dieſem
Zweck eigene polizeiliche Verhaftungsregiſter, in welche dieſe Stellungs-
verpflichtung genau und ſpeziell aufgezeichnet werden, nach 10 Georg IV.
44. (Bertrand, S. 23. 24.) Dieſe Gewalt der Polizei iſt nun, wie
geſagt, eben dadurch eine ſehr ernſte, daß die Gerichte eben nicht regel-
mäßige Sitzungen haben und kein Termin vorgeſchrieben iſt, ſo daß
mit gutem Recht Blackſtone ſagt: „In Betrachtung der Individuen,
welchen dieſe große Gewalt überliefert iſt (der Conſtabler), iſt es viel-
leicht ganz gut, daß ſie nicht gar zu ſehr aufgeklärt ſind über die Aus-
dehnung ihrer geſetzlichen Berechtigung!“ (Liv. 1. ch. IX) Das iſt
vollkommen richtig, um ſo mehr, als der Conſtabler ermächtigt iſt, bei
etwaigem Widerſtand zur phyſiſchen Gewalt überzugehen, ja den Wider-
ſtehenden zu tödten! (Glaſer, §. 176.) — Indeß hat Bernard
dabei eben die zweite Seite der Sache weggelaſſen, nach welcher derſelbe
Conſtabler perſönlich gegen Privatklage haftet für den unberechtigt zu-
gefügten Schaden in Haft und Verletzung. Freilich verſteht man erſt
jetzt die Nothwendigkeit dieſer Haftung ganz, und es läßt ſich jetzt
begreifen, weßhalb man auf dem Continent bei viel geringerer Berech-
tigung der Polizei dieſe Nothwendigkeit ſo lange mißverſtanden hat.
Stein, die Verwaltungslehre. IV. 10
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