Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Historikern überlassen. Unter diesen bezeichnet wohl am besten mit
wenig aber schlagenden Worten Macaulay (Charles the Second, Ch. II.)
die Habeas-Corpus-Akte und die Bill of rights in ihrer eigentlichen Be-
deutung für England. "From the time of the Great Charter the
substantive law respecting the personal liberty of Englishmen
(das
Princip der persönlichen Freiheit, abstrakt wie in den deutschen Ver-
fassungsurkunden) had been nearly the same as at present, but it
had become nearly inefficacious for want of procedure. What
was needed, was not a new right, but a prompt and searching
remedy; and such a remedy the Habeas Corpus Act supplied
(an-
erkannt den 26. Mai 1679). Wir wüßten wenig zu diesen einfachen
und durchsichtigen Sätzen hinzuzufügen. Daß neben jenem Recht der
gerichtlichen Verhaftung nun noch die polizeiliche ganz selbständig besteht,
und sogar ein eigenes Rechtssystem hat, dürfen wir nach den neuesten
Forschungen über England und sein Recht wohl als bekannt voraus-
setzen. Es steht jetzt fest, daß der Justice of peace das Recht auf
Erlaß und Durchführung der einzelnen Polizeimaßregeln besitzt; der Ein-
zelne, gegen den er sie durchführt, hat dagegen das Recht, ihn bei dem
bürgerlichen Gericht zu verklagen, wo der Friedensrichter verurtheilt
werden kann zum Schadenersatz; Schutz der letzteren gegen solche An-
klagen durch 11 Vict. 12. 44 (1848). Siehe über das ganze Verhältniß
Gneist (civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter) engl. Ver-
fassung II. §. 74. 75. Kries, engl. Armenwesen; S. 55--57. Stein,
vollziehende Gewalt, S. 130 -- 133. Die beste Darstellung für das
Verfahren der Friedensrichter: Burn, Justice of the peace, seit 1814
mit mehr als 30 Auflagen; jedoch ist hier das polizeiliche von dem ge-
richtlichen Verfahren nicht strenge geschieden. Die einzige deutsche
Darstellung, welche, so viel wir sehen, zuerst diese richtige Scheidung
aufgestellt und auch durchgeführt hat, ist J. Glaser, das englisch-
schottische Strafverfahren 1850, mit sehr praktischer -- warum nicht
zugleich kritisch auf die Sache eingehender? -- Verweisung auf die ent-
sprechenden Rechtssätze des österreichischen und französischen Verfahrens
(§. 177--186). Die neueste Schrift von E. Bertrand, de la detention
preventive en France et en Angleterre (1862),
hat zwar nicht diese
klare Unterscheidung festgehalten, wohl aber das ganze Verhaftungs-
recht beider Länder einer sehr gründlichen Darstellung und Kritik unter-
zogen, bei der er zu dem Resultat kommt, daß für die Schnelligkeit
der Justiz, oder für das Verfahren nach der Verhaftung, viel besser
in Frankreich gesorgt ist als in England. Er zeichnet sich dadurch
vor Glaser aus, daß er das Verfahren nicht bloß der polizeilichen
Verhaftung selbst, sondern auch das nach derselben genauer untersucht.

Hiſtorikern überlaſſen. Unter dieſen bezeichnet wohl am beſten mit
wenig aber ſchlagenden Worten Macaulay (Charles the Second, Ch. II.)
die Habeas-Corpus-Akte und die Bill of rights in ihrer eigentlichen Be-
deutung für England. „From the time of the Great Charter the
substantive law respecting the personal liberty of Englishmen
(das
Princip der perſönlichen Freiheit, abſtrakt wie in den deutſchen Ver-
faſſungsurkunden) had been nearly the same as at present, but it
had become nearly inefficacious for want of procedure. What
was needed, was not a new right, but a prompt and searching
remedy; and such a remedy the Habeas Corpus Act supplied
(an-
erkannt den 26. Mai 1679). Wir wüßten wenig zu dieſen einfachen
und durchſichtigen Sätzen hinzuzufügen. Daß neben jenem Recht der
gerichtlichen Verhaftung nun noch die polizeiliche ganz ſelbſtändig beſteht,
und ſogar ein eigenes Rechtsſyſtem hat, dürfen wir nach den neueſten
Forſchungen über England und ſein Recht wohl als bekannt voraus-
ſetzen. Es ſteht jetzt feſt, daß der Justice of peace das Recht auf
Erlaß und Durchführung der einzelnen Polizeimaßregeln beſitzt; der Ein-
zelne, gegen den er ſie durchführt, hat dagegen das Recht, ihn bei dem
bürgerlichen Gericht zu verklagen, wo der Friedensrichter verurtheilt
werden kann zum Schadenerſatz; Schutz der letzteren gegen ſolche An-
klagen durch 11 Vict. 12. 44 (1848). Siehe über das ganze Verhältniß
Gneiſt (civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter) engl. Ver-
faſſung II. §. 74. 75. Kries, engl. Armenweſen; S. 55—57. Stein,
vollziehende Gewalt, S. 130 — 133. Die beſte Darſtellung für das
Verfahren der Friedensrichter: Burn, Justice of the peace, ſeit 1814
mit mehr als 30 Auflagen; jedoch iſt hier das polizeiliche von dem ge-
richtlichen Verfahren nicht ſtrenge geſchieden. Die einzige deutſche
Darſtellung, welche, ſo viel wir ſehen, zuerſt dieſe richtige Scheidung
aufgeſtellt und auch durchgeführt hat, iſt J. Glaſer, das engliſch-
ſchottiſche Strafverfahren 1850, mit ſehr praktiſcher — warum nicht
zugleich kritiſch auf die Sache eingehender? — Verweiſung auf die ent-
ſprechenden Rechtsſätze des öſterreichiſchen und franzöſiſchen Verfahrens
(§. 177—186). Die neueſte Schrift von E. Bertrand, de la détention
préventive en France et en Angleterre (1862),
hat zwar nicht dieſe
klare Unterſcheidung feſtgehalten, wohl aber das ganze Verhaftungs-
recht beider Länder einer ſehr gründlichen Darſtellung und Kritik unter-
zogen, bei der er zu dem Reſultat kommt, daß für die Schnelligkeit
der Juſtiz, oder für das Verfahren nach der Verhaftung, viel beſſer
in Frankreich geſorgt iſt als in England. Er zeichnet ſich dadurch
vor Glaſer aus, daß er das Verfahren nicht bloß der polizeilichen
Verhaftung ſelbſt, ſondern auch das nach derſelben genauer unterſucht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0166" n="144"/>
Hi&#x017F;torikern überla&#x017F;&#x017F;en. Unter die&#x017F;en bezeichnet wohl am be&#x017F;ten mit<lb/>
wenig aber &#x017F;chlagenden Worten <hi rendition="#g">Macaulay</hi> (<hi rendition="#aq">Charles the Second, Ch. II.</hi>)<lb/>
die Habeas-Corpus-Akte und die <hi rendition="#aq">Bill of rights</hi> in ihrer eigentlichen Be-<lb/>
deutung für England. <hi rendition="#aq">&#x201E;From the time of the Great Charter the<lb/>
substantive law respecting the personal liberty of Englishmen</hi> (das<lb/>
Princip der per&#x017F;önlichen Freiheit, ab&#x017F;trakt wie in den deut&#x017F;chen Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ungsurkunden) <hi rendition="#aq">had been nearly the same as at present, but it<lb/>
had become nearly inefficacious for want of <hi rendition="#i">procedure</hi>. What<lb/>
was needed, was not a new right, but a prompt and searching<lb/><hi rendition="#i">remedy; and such a remedy</hi> the Habeas Corpus Act supplied</hi> (an-<lb/>
erkannt den 26. Mai 1679). Wir wüßten wenig zu die&#x017F;en einfachen<lb/>
und durch&#x017F;ichtigen Sätzen hinzuzufügen. Daß <hi rendition="#g">neben</hi> jenem Recht der<lb/>
gerichtlichen Verhaftung nun noch die polizeiliche ganz &#x017F;elb&#x017F;tändig be&#x017F;teht,<lb/>
und &#x017F;ogar ein eigenes Rechts&#x017F;y&#x017F;tem hat, dürfen wir nach den neue&#x017F;ten<lb/>
For&#x017F;chungen über England und &#x017F;ein Recht wohl als bekannt voraus-<lb/>
&#x017F;etzen. Es &#x017F;teht jetzt fe&#x017F;t, daß der <hi rendition="#aq">Justice of peace</hi> das Recht auf<lb/>
Erlaß und Durchführung der einzelnen Polizeimaßregeln be&#x017F;itzt; der Ein-<lb/>
zelne, gegen den er &#x017F;ie durchführt, hat dagegen das Recht, ihn bei dem<lb/>
bürgerlichen Gericht zu <hi rendition="#g">verklagen</hi>, wo der Friedensrichter verurtheilt<lb/>
werden kann zum Schadener&#x017F;atz; Schutz der letzteren gegen &#x017F;olche An-<lb/>
klagen durch 11 <hi rendition="#aq">Vict.</hi> 12. 44 (1848). Siehe über das ganze Verhältniß<lb/><hi rendition="#g">Gnei&#x017F;t</hi> (civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter) engl. Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 74. 75. <hi rendition="#g">Kries</hi>, engl. Armenwe&#x017F;en; S. 55&#x2014;57. <hi rendition="#g">Stein</hi>,<lb/>
vollziehende Gewalt, S. 130 &#x2014; 133. Die be&#x017F;te Dar&#x017F;tellung für das<lb/>
Verfahren der Friedensrichter: <hi rendition="#g">Burn</hi>, <hi rendition="#aq">Justice of the peace,</hi> &#x017F;eit 1814<lb/>
mit mehr als 30 Auflagen; jedoch i&#x017F;t hier das polizeiliche von dem ge-<lb/>
richtlichen Verfahren nicht &#x017F;trenge ge&#x017F;chieden. Die einzige <hi rendition="#g">deut&#x017F;che</hi><lb/>
Dar&#x017F;tellung, welche, &#x017F;o viel wir &#x017F;ehen, zuer&#x017F;t die&#x017F;e richtige Scheidung<lb/>
aufge&#x017F;tellt und auch durchgeführt hat, i&#x017F;t J. <hi rendition="#g">Gla&#x017F;er</hi>, das engli&#x017F;ch-<lb/>
&#x017F;chotti&#x017F;che Strafverfahren 1850, mit &#x017F;ehr prakti&#x017F;cher &#x2014; warum nicht<lb/>
zugleich kriti&#x017F;ch auf die Sache eingehender? &#x2014; Verwei&#x017F;ung auf die ent-<lb/>
&#x017F;prechenden Rechts&#x017F;ätze des ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen und franzö&#x017F;i&#x017F;chen Verfahrens<lb/>
(§. 177&#x2014;186). Die neue&#x017F;te Schrift von E. <hi rendition="#g">Bertrand</hi>, <hi rendition="#aq">de la détention<lb/>
préventive en France et en Angleterre (1862),</hi> hat zwar nicht die&#x017F;e<lb/>
klare Unter&#x017F;cheidung fe&#x017F;tgehalten, wohl aber das <hi rendition="#g">ganze</hi> Verhaftungs-<lb/>
recht beider Länder einer &#x017F;ehr gründlichen Dar&#x017F;tellung und Kritik unter-<lb/>
zogen, bei der er zu dem Re&#x017F;ultat kommt, daß für die Schnelligkeit<lb/>
der Ju&#x017F;tiz, oder für das Verfahren <hi rendition="#g">nach</hi> der Verhaftung, viel be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
in Frankreich ge&#x017F;orgt i&#x017F;t als in England. Er zeichnet &#x017F;ich dadurch<lb/>
vor <hi rendition="#g">Gla&#x017F;er</hi> aus, daß er das Verfahren nicht bloß der polizeilichen<lb/>
Verhaftung &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ondern auch das nach der&#x017F;elben genauer unter&#x017F;ucht.<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0166] Hiſtorikern überlaſſen. Unter dieſen bezeichnet wohl am beſten mit wenig aber ſchlagenden Worten Macaulay (Charles the Second, Ch. II.) die Habeas-Corpus-Akte und die Bill of rights in ihrer eigentlichen Be- deutung für England. „From the time of the Great Charter the substantive law respecting the personal liberty of Englishmen (das Princip der perſönlichen Freiheit, abſtrakt wie in den deutſchen Ver- faſſungsurkunden) had been nearly the same as at present, but it had become nearly inefficacious for want of procedure. What was needed, was not a new right, but a prompt and searching remedy; and such a remedy the Habeas Corpus Act supplied (an- erkannt den 26. Mai 1679). Wir wüßten wenig zu dieſen einfachen und durchſichtigen Sätzen hinzuzufügen. Daß neben jenem Recht der gerichtlichen Verhaftung nun noch die polizeiliche ganz ſelbſtändig beſteht, und ſogar ein eigenes Rechtsſyſtem hat, dürfen wir nach den neueſten Forſchungen über England und ſein Recht wohl als bekannt voraus- ſetzen. Es ſteht jetzt feſt, daß der Justice of peace das Recht auf Erlaß und Durchführung der einzelnen Polizeimaßregeln beſitzt; der Ein- zelne, gegen den er ſie durchführt, hat dagegen das Recht, ihn bei dem bürgerlichen Gericht zu verklagen, wo der Friedensrichter verurtheilt werden kann zum Schadenerſatz; Schutz der letzteren gegen ſolche An- klagen durch 11 Vict. 12. 44 (1848). Siehe über das ganze Verhältniß Gneiſt (civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter) engl. Ver- faſſung II. §. 74. 75. Kries, engl. Armenweſen; S. 55—57. Stein, vollziehende Gewalt, S. 130 — 133. Die beſte Darſtellung für das Verfahren der Friedensrichter: Burn, Justice of the peace, ſeit 1814 mit mehr als 30 Auflagen; jedoch iſt hier das polizeiliche von dem ge- richtlichen Verfahren nicht ſtrenge geſchieden. Die einzige deutſche Darſtellung, welche, ſo viel wir ſehen, zuerſt dieſe richtige Scheidung aufgeſtellt und auch durchgeführt hat, iſt J. Glaſer, das engliſch- ſchottiſche Strafverfahren 1850, mit ſehr praktiſcher — warum nicht zugleich kritiſch auf die Sache eingehender? — Verweiſung auf die ent- ſprechenden Rechtsſätze des öſterreichiſchen und franzöſiſchen Verfahrens (§. 177—186). Die neueſte Schrift von E. Bertrand, de la détention préventive en France et en Angleterre (1862), hat zwar nicht dieſe klare Unterſcheidung feſtgehalten, wohl aber das ganze Verhaftungs- recht beider Länder einer ſehr gründlichen Darſtellung und Kritik unter- zogen, bei der er zu dem Reſultat kommt, daß für die Schnelligkeit der Juſtiz, oder für das Verfahren nach der Verhaftung, viel beſſer in Frankreich geſorgt iſt als in England. Er zeichnet ſich dadurch vor Glaſer aus, daß er das Verfahren nicht bloß der polizeilichen Verhaftung ſelbſt, ſondern auch das nach derſelben genauer unterſucht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/166
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/166>, abgerufen am 23.11.2024.