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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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sehr zerstreut und einheitslos erscheint. -- In Oesterreich gibt es
neben den oben angeführten gesetzlichen Bestimmungen über Waffen-
gewalt kein besonderes Recht. Das ist gegenüber dem preußischen Recht
ein wesentlicher Mangel. In den übrigen deutschen Staaten ist uns
eine eigene Gesetzgebung nur für Bayern bekannt: Gesetz über die
Haftung der Gemeinden vom 12. März 1850 und Gesetz über die An-
wendung der Waffen vom 4. Mai 1851 (Pözl, Verwaltungsrecht
§. 106 und 107); und für Sachsen Gesetz vom 10. Mai 1851
über das Verfahren bei Störungen der öffentlichen Ruhe und Sicher-
heit; Berufung der bewaffneten Macht §. 1--6, Anwendung der Waffen
§. 7--12 und Erklärung des Belagerungszustandes. (Funke, sächsisches
Polizeirecht, V. S. 124. 125.) -- Das übrigens bestehende Recht wird
demnach wohl auch jetzt das Verfahren ganz dem behördlichen Ermessen,
oder aber dem des militärischen Befehlshabers überlassen, wie früher.
(Vgl. Zöpfl, deutsches Staatsrecht, I. 155; sehr unbestimmt bei Mohl,
Polizeiwissenschaft, III. 15. Weitere Literatur fehlt.)

4) Das Recht des Belagerungszustandes.

(Kriegszustand und bürgerlicher Belagerungszustand.)

Es ist kein Zweifel, daß derjenige Zustand, den wir den Be-
lagerungszustand -- in Oesterreich das Standrecht -- nennen, die äußerste
sicherheitspolizeiliche Maßregel ist, deren Verhängung in der Gewalt der
Verwaltung liegt. Daß aber auch selbst für diesen Zustand ein objektiv
gültiges Recht zur Anerkennung gelangt ist, muß als einer der wesent-
lichsten Fortschritte der staatsbürgerlichen Freiheit anerkannt werden.
Es darf uns jedoch nicht wundern, daß dieß Verhältniß noch so gut
wie gar keine eigene Bearbeitung gefunden hat, da es ohne eine
selbständige Theorie der höhern Sicherheitspolizei kaum richtig behandelt
werden kann. Es möge uns daher verstattet sein, hier die Elemente
dieser Theorie der Vergleichung des geltenden Rechts voranzustellen.

Der Belagerungszustand entsteht, wenn die öffentliche Sicherheit
durch eine allgemeine Gewalt auf allen Punkten zugleich, und nicht
mehr auf einem einzelnen Punkte äußerlich bedroht ist. In einem solchen
Zustande erscheint die Gefahr, welche eben zu jener Maßregel den Anlaß
gibt, in einer zweifachen Gestalt, und das was wir den Belagerungs-
zustand nennen, hat daher auch zwei Hauptformen, die wieder jede ihr
besonderes Recht haben. Es ist dieß um so mehr festzuhalten, als nur
noch das französische Recht diese Unterscheidung wenigstens zum Theil
in sich aufgenommen hat, während das deutsche und die geringe darauf
bezügliche Literatur denselben ganz übergeht.

ſehr zerſtreut und einheitslos erſcheint. — In Oeſterreich gibt es
neben den oben angeführten geſetzlichen Beſtimmungen über Waffen-
gewalt kein beſonderes Recht. Das iſt gegenüber dem preußiſchen Recht
ein weſentlicher Mangel. In den übrigen deutſchen Staaten iſt uns
eine eigene Geſetzgebung nur für Bayern bekannt: Geſetz über die
Haftung der Gemeinden vom 12. März 1850 und Geſetz über die An-
wendung der Waffen vom 4. Mai 1851 (Pözl, Verwaltungsrecht
§. 106 und 107); und für Sachſen Geſetz vom 10. Mai 1851
über das Verfahren bei Störungen der öffentlichen Ruhe und Sicher-
heit; Berufung der bewaffneten Macht §. 1—6, Anwendung der Waffen
§. 7—12 und Erklärung des Belagerungszuſtandes. (Funke, ſächſiſches
Polizeirecht, V. S. 124. 125.) — Das übrigens beſtehende Recht wird
demnach wohl auch jetzt das Verfahren ganz dem behördlichen Ermeſſen,
oder aber dem des militäriſchen Befehlshabers überlaſſen, wie früher.
(Vgl. Zöpfl, deutſches Staatsrecht, I. 155; ſehr unbeſtimmt bei Mohl,
Polizeiwiſſenſchaft, III. 15. Weitere Literatur fehlt.)

4) Das Recht des Belagerungszuſtandes.

(Kriegszuſtand und bürgerlicher Belagerungszuſtand.)

Es iſt kein Zweifel, daß derjenige Zuſtand, den wir den Be-
lagerungszuſtand — in Oeſterreich das Standrecht — nennen, die äußerſte
ſicherheitspolizeiliche Maßregel iſt, deren Verhängung in der Gewalt der
Verwaltung liegt. Daß aber auch ſelbſt für dieſen Zuſtand ein objektiv
gültiges Recht zur Anerkennung gelangt iſt, muß als einer der weſent-
lichſten Fortſchritte der ſtaatsbürgerlichen Freiheit anerkannt werden.
Es darf uns jedoch nicht wundern, daß dieß Verhältniß noch ſo gut
wie gar keine eigene Bearbeitung gefunden hat, da es ohne eine
ſelbſtändige Theorie der höhern Sicherheitspolizei kaum richtig behandelt
werden kann. Es möge uns daher verſtattet ſein, hier die Elemente
dieſer Theorie der Vergleichung des geltenden Rechts voranzuſtellen.

Der Belagerungszuſtand entſteht, wenn die öffentliche Sicherheit
durch eine allgemeine Gewalt auf allen Punkten zugleich, und nicht
mehr auf einem einzelnen Punkte äußerlich bedroht iſt. In einem ſolchen
Zuſtande erſcheint die Gefahr, welche eben zu jener Maßregel den Anlaß
gibt, in einer zweifachen Geſtalt, und das was wir den Belagerungs-
zuſtand nennen, hat daher auch zwei Hauptformen, die wieder jede ihr
beſonderes Recht haben. Es iſt dieß um ſo mehr feſtzuhalten, als nur
noch das franzöſiſche Recht dieſe Unterſcheidung wenigſtens zum Theil
in ſich aufgenommen hat, während das deutſche und die geringe darauf
bezügliche Literatur denſelben ganz übergeht.

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[124/0146] ſehr zerſtreut und einheitslos erſcheint. — In Oeſterreich gibt es neben den oben angeführten geſetzlichen Beſtimmungen über Waffen- gewalt kein beſonderes Recht. Das iſt gegenüber dem preußiſchen Recht ein weſentlicher Mangel. In den übrigen deutſchen Staaten iſt uns eine eigene Geſetzgebung nur für Bayern bekannt: Geſetz über die Haftung der Gemeinden vom 12. März 1850 und Geſetz über die An- wendung der Waffen vom 4. Mai 1851 (Pözl, Verwaltungsrecht §. 106 und 107); und für Sachſen Geſetz vom 10. Mai 1851 über das Verfahren bei Störungen der öffentlichen Ruhe und Sicher- heit; Berufung der bewaffneten Macht §. 1—6, Anwendung der Waffen §. 7—12 und Erklärung des Belagerungszuſtandes. (Funke, ſächſiſches Polizeirecht, V. S. 124. 125.) — Das übrigens beſtehende Recht wird demnach wohl auch jetzt das Verfahren ganz dem behördlichen Ermeſſen, oder aber dem des militäriſchen Befehlshabers überlaſſen, wie früher. (Vgl. Zöpfl, deutſches Staatsrecht, I. 155; ſehr unbeſtimmt bei Mohl, Polizeiwiſſenſchaft, III. 15. Weitere Literatur fehlt.) 4) Das Recht des Belagerungszuſtandes. (Kriegszuſtand und bürgerlicher Belagerungszuſtand.) Es iſt kein Zweifel, daß derjenige Zuſtand, den wir den Be- lagerungszuſtand — in Oeſterreich das Standrecht — nennen, die äußerſte ſicherheitspolizeiliche Maßregel iſt, deren Verhängung in der Gewalt der Verwaltung liegt. Daß aber auch ſelbſt für dieſen Zuſtand ein objektiv gültiges Recht zur Anerkennung gelangt iſt, muß als einer der weſent- lichſten Fortſchritte der ſtaatsbürgerlichen Freiheit anerkannt werden. Es darf uns jedoch nicht wundern, daß dieß Verhältniß noch ſo gut wie gar keine eigene Bearbeitung gefunden hat, da es ohne eine ſelbſtändige Theorie der höhern Sicherheitspolizei kaum richtig behandelt werden kann. Es möge uns daher verſtattet ſein, hier die Elemente dieſer Theorie der Vergleichung des geltenden Rechts voranzuſtellen. Der Belagerungszuſtand entſteht, wenn die öffentliche Sicherheit durch eine allgemeine Gewalt auf allen Punkten zugleich, und nicht mehr auf einem einzelnen Punkte äußerlich bedroht iſt. In einem ſolchen Zuſtande erſcheint die Gefahr, welche eben zu jener Maßregel den Anlaß gibt, in einer zweifachen Geſtalt, und das was wir den Belagerungs- zuſtand nennen, hat daher auch zwei Hauptformen, die wieder jede ihr beſonderes Recht haben. Es iſt dieß um ſo mehr feſtzuhalten, als nur noch das franzöſiſche Recht dieſe Unterſcheidung wenigſtens zum Theil in ſich aufgenommen hat, während das deutſche und die geringe darauf bezügliche Literatur denſelben ganz übergeht.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/146>, abgerufen am 03.12.2024.