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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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durch bestimmte Gebote zu beseitigen (Befehl die Angehörigen zu Hause
zu halten, Erleuchtung von Fenstern u. s. w.). Es ist kein Zweifel,
daß ein solches Recht auch dann besteht, wenn es entweder gar nicht,
wie in einzelnen Ländern, gesetzlich ausgesprochen ist, oder stillschweigend
vorausgesetzt wird, wie in anderen (z. B. österreichisches Strafgesetzbuch,
§. 282). Sowie eine solche Verfügung erlassen ist, tritt natürlich das
Recht der Polizei auf Erzwingung seiner Befolgung ein. Aber um zur
gerichtlichen Verfolgung ein Recht zu geben, muß es öffentlich
bekannt gemacht werden. Die Nichtbefolgung ist dann wieder ein Ver-
gehen, meist mit eigenen Strafen bedroht, und die Maßregeln, durch
welche die Polizei den Einzelnen zur Strafe zieht, fallen dann unter
die gerichtliche Polizei und ihr Recht.

Viel ernster und die eigentliche Hauptsache ist nun natürlich das
Verfahren der Sicherheitspolizei und das Recht desselben. Und hier
liegt die Scheidung in den Mitteln, welche die Polizei anwendet;
jenes Recht ist wesentlich ein Recht dieser Mittel.

So lange nämlich die Polizei die Gefährdung durch die Volks-
bewegung nicht für groß genug hält, um zu den Waffen zu greifen,
erscheint es nicht nothwendig, ein eigenes Recht für ihr Verfahren vor-
zuschreiben, sondern es muß angenommen werden, daß das Waffenrecht
des allgemeinen Polizeiverfahrens ausreicht. Die Gränze für dieß
Waffenrecht liegt da, wo die Polizei noch durch Maßregeln gegen Ein-
zelne
(Verhaftung, Abführung etc.) die Volksbewegung in Ordnung zu
halten hoffen darf. Sowie dieß nicht mehr thunlich scheint, tritt dann
das spezifische Recht des Waffengebrauches gegen die Masse ein. Und
auf diesem Punkte hört eben das Recht auf, und der Kampf der
elementaren Kräfte in der Gesellschaft beginnt.

In der früheren Zeit nun war das, worauf es hierbei ankommt,
die Entscheidung über das Vorhandensein einer so großen Gefahr,
daß die Polizei zu den Waffen gegen das Volk zu greifen habe, ganz
dem Ermessen der letztern überlassen. Erst unser Jahrhundert hat, um
dieser ernsten Berechtigung der Sicherheitspolizei eine objektive Gränze
zu geben, ein formelles Recht selbst für diesen Fall gebildet; und dieß
formelle Recht zerfällt in zwei Theile.

Der erste Rechtssatz dafür ist das Princip, das Interesse der Bürger
selbst zur Beseitigung solcher Gefahren zu Hülfe zu rufen. Dieß geschieht
durch die gesetzliche Haftung der Gemeinden für den durch eine
Volksbewegung innerhalb ihrer Gränzen entstehenden Schaden. Dieser
vollkommen richtige Grundsatz verbindet die Interessen mit dem Recht und
ist als ein wesentliches Element der öffentlichen Ordnung anzusehen; denn
praktisch ist dieser Grundsatz ein Rechtssatz der hohen Sicherheitspolizei.

durch beſtimmte Gebote zu beſeitigen (Befehl die Angehörigen zu Hauſe
zu halten, Erleuchtung von Fenſtern u. ſ. w.). Es iſt kein Zweifel,
daß ein ſolches Recht auch dann beſteht, wenn es entweder gar nicht,
wie in einzelnen Ländern, geſetzlich ausgeſprochen iſt, oder ſtillſchweigend
vorausgeſetzt wird, wie in anderen (z. B. öſterreichiſches Strafgeſetzbuch,
§. 282). Sowie eine ſolche Verfügung erlaſſen iſt, tritt natürlich das
Recht der Polizei auf Erzwingung ſeiner Befolgung ein. Aber um zur
gerichtlichen Verfolgung ein Recht zu geben, muß es öffentlich
bekannt gemacht werden. Die Nichtbefolgung iſt dann wieder ein Ver-
gehen, meiſt mit eigenen Strafen bedroht, und die Maßregeln, durch
welche die Polizei den Einzelnen zur Strafe zieht, fallen dann unter
die gerichtliche Polizei und ihr Recht.

Viel ernſter und die eigentliche Hauptſache iſt nun natürlich das
Verfahren der Sicherheitspolizei und das Recht deſſelben. Und hier
liegt die Scheidung in den Mitteln, welche die Polizei anwendet;
jenes Recht iſt weſentlich ein Recht dieſer Mittel.

So lange nämlich die Polizei die Gefährdung durch die Volks-
bewegung nicht für groß genug hält, um zu den Waffen zu greifen,
erſcheint es nicht nothwendig, ein eigenes Recht für ihr Verfahren vor-
zuſchreiben, ſondern es muß angenommen werden, daß das Waffenrecht
des allgemeinen Polizeiverfahrens ausreicht. Die Gränze für dieß
Waffenrecht liegt da, wo die Polizei noch durch Maßregeln gegen Ein-
zelne
(Verhaftung, Abführung ꝛc.) die Volksbewegung in Ordnung zu
halten hoffen darf. Sowie dieß nicht mehr thunlich ſcheint, tritt dann
das ſpezifiſche Recht des Waffengebrauches gegen die Maſſe ein. Und
auf dieſem Punkte hört eben das Recht auf, und der Kampf der
elementaren Kräfte in der Geſellſchaft beginnt.

In der früheren Zeit nun war das, worauf es hierbei ankommt,
die Entſcheidung über das Vorhandenſein einer ſo großen Gefahr,
daß die Polizei zu den Waffen gegen das Volk zu greifen habe, ganz
dem Ermeſſen der letztern überlaſſen. Erſt unſer Jahrhundert hat, um
dieſer ernſten Berechtigung der Sicherheitspolizei eine objektive Gränze
zu geben, ein formelles Recht ſelbſt für dieſen Fall gebildet; und dieß
formelle Recht zerfällt in zwei Theile.

Der erſte Rechtsſatz dafür iſt das Princip, das Intereſſe der Bürger
ſelbſt zur Beſeitigung ſolcher Gefahren zu Hülfe zu rufen. Dieß geſchieht
durch die geſetzliche Haftung der Gemeinden für den durch eine
Volksbewegung innerhalb ihrer Gränzen entſtehenden Schaden. Dieſer
vollkommen richtige Grundſatz verbindet die Intereſſen mit dem Recht und
iſt als ein weſentliches Element der öffentlichen Ordnung anzuſehen; denn
praktiſch iſt dieſer Grundſatz ein Rechtsſatz der hohen Sicherheitspolizei.

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[121/0143] durch beſtimmte Gebote zu beſeitigen (Befehl die Angehörigen zu Hauſe zu halten, Erleuchtung von Fenſtern u. ſ. w.). Es iſt kein Zweifel, daß ein ſolches Recht auch dann beſteht, wenn es entweder gar nicht, wie in einzelnen Ländern, geſetzlich ausgeſprochen iſt, oder ſtillſchweigend vorausgeſetzt wird, wie in anderen (z. B. öſterreichiſches Strafgeſetzbuch, §. 282). Sowie eine ſolche Verfügung erlaſſen iſt, tritt natürlich das Recht der Polizei auf Erzwingung ſeiner Befolgung ein. Aber um zur gerichtlichen Verfolgung ein Recht zu geben, muß es öffentlich bekannt gemacht werden. Die Nichtbefolgung iſt dann wieder ein Ver- gehen, meiſt mit eigenen Strafen bedroht, und die Maßregeln, durch welche die Polizei den Einzelnen zur Strafe zieht, fallen dann unter die gerichtliche Polizei und ihr Recht. Viel ernſter und die eigentliche Hauptſache iſt nun natürlich das Verfahren der Sicherheitspolizei und das Recht deſſelben. Und hier liegt die Scheidung in den Mitteln, welche die Polizei anwendet; jenes Recht iſt weſentlich ein Recht dieſer Mittel. So lange nämlich die Polizei die Gefährdung durch die Volks- bewegung nicht für groß genug hält, um zu den Waffen zu greifen, erſcheint es nicht nothwendig, ein eigenes Recht für ihr Verfahren vor- zuſchreiben, ſondern es muß angenommen werden, daß das Waffenrecht des allgemeinen Polizeiverfahrens ausreicht. Die Gränze für dieß Waffenrecht liegt da, wo die Polizei noch durch Maßregeln gegen Ein- zelne (Verhaftung, Abführung ꝛc.) die Volksbewegung in Ordnung zu halten hoffen darf. Sowie dieß nicht mehr thunlich ſcheint, tritt dann das ſpezifiſche Recht des Waffengebrauches gegen die Maſſe ein. Und auf dieſem Punkte hört eben das Recht auf, und der Kampf der elementaren Kräfte in der Geſellſchaft beginnt. In der früheren Zeit nun war das, worauf es hierbei ankommt, die Entſcheidung über das Vorhandenſein einer ſo großen Gefahr, daß die Polizei zu den Waffen gegen das Volk zu greifen habe, ganz dem Ermeſſen der letztern überlaſſen. Erſt unſer Jahrhundert hat, um dieſer ernſten Berechtigung der Sicherheitspolizei eine objektive Gränze zu geben, ein formelles Recht ſelbſt für dieſen Fall gebildet; und dieß formelle Recht zerfällt in zwei Theile. Der erſte Rechtsſatz dafür iſt das Princip, das Intereſſe der Bürger ſelbſt zur Beſeitigung ſolcher Gefahren zu Hülfe zu rufen. Dieß geſchieht durch die geſetzliche Haftung der Gemeinden für den durch eine Volksbewegung innerhalb ihrer Gränzen entſtehenden Schaden. Dieſer vollkommen richtige Grundſatz verbindet die Intereſſen mit dem Recht und iſt als ein weſentliches Element der öffentlichen Ordnung anzuſehen; denn praktiſch iſt dieſer Grundſatz ein Rechtsſatz der hohen Sicherheitspolizei.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/143>, abgerufen am 29.11.2024.