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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Art. 10: Die Polizei darf niemanden in seinen religiösen Ansichten
stören, wenn dieselben nicht die öffentliche Ordnung bedrohen. Art. 11:
Die Sicherheitspolizei kann in dem Verkehr der Gedanken nur da ein-
greifen, wo das Gesetz es im bestimmten Falle ausgesprochen hat.
Endlich gar schon das Princip der polizeilichen Verantwortlichkeit im
Art. 15: "Die Gemeinschaft (la societe) hat das Recht, von jedem
Organe (agent) seiner Verwaltung Rechenschaft zu fordern." Und um
dem Bewußtsein von demjenigen, wovon es sich hier handelt, den
klarsten Ausdruck zu geben, sagt Art. 12: "Die Sicherheit der öffent-
lichen Rechte (la garantie des droits de l'homme et du citoyen) er-
fordert eine öffentliche Gewalt (eine Sicherheitspolizei -- "une force
publique"
), diese öffentliche Gewalt ist also eingesetzt zum Vortheil
aller, und nicht zum Vortheil derer, denen sie anvertraut ist." -- So
ist hier das System des verfassungsmäßigen Polizeirechts beinahe voll-
ständig formulirt. Die Scheidung zwischen dem Staatsbürger und der
vollziehenden Gewalt, die Anerkennung der letzteren und ihrer selbst-
bestimmten Thätigkeit, und endlich das große Princip der Begränzung
der letzteren durch das Gesetz liegen hier klar vor. Dasjenige nämlich,
wodurch jene declaration des droits ihre Zeit so gewaltig ergriff, jene
so oft mißverstandene Idee der souverainete de la nation (noch nicht
die du peuple) ist in der That nur Ein Moment in der Bedeutung
der neuen bill of rights; sie ist zunächst nichts als das große Princip,
daß das Gesetz das höchste Recht bilde. Das zweite Moment derselben
besteht dagegen darin, daß sich diesem Gesetze die Verordnungsgewalt,
und namentlich die der Sicherheitspolizei, die ihrer Natur nach am
unbestimmtesten ist, zu unterwerfen habe. Mit diesem Princip gab
sie den Völkern neben der Idee der Verfassung zugleich, wenn auch
nur noch in ziemlich enger Beschränkung eben auf die Sicherheitspolizei,
die große Grundlage alles verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts, die
Unterordnung der Exekution unter die Legislative, und die Basis der
persönlichen Freiheit in der Gültigkeit des Gesetzes gegenüber der (Polizei-)
Verordnung. Das war es, dessen die staatsbürgerliche Gesellschaft be-
durfte, um aus der strengen und willkürlichen polizeilichen in die staats-
bürgerliche Verwaltung überzugehen, und der Jubel, mit dem man
diese Erklärung der Menschenrechte begrüßte, bedeutete eben so sehr
eine neue Epoche des Verwaltungs- und namentlich des Polizeirechts
als der Verfassung. Und wenn man das erstere mehr fühlte als begriff,
und darum viel schneller zu dem zweiten gelangte, das jedermann ver-
ständlich war, so lag das einfach darin, daß eben eine Verfassung weit
leichter herzustellen ist, als eine Verwaltung. Indeß blieb das gewon-
nen, daß diese großen Principien, wenn auch nur erst in Beziehung

Art. 10: Die Polizei darf niemanden in ſeinen religiöſen Anſichten
ſtören, wenn dieſelben nicht die öffentliche Ordnung bedrohen. Art. 11:
Die Sicherheitspolizei kann in dem Verkehr der Gedanken nur da ein-
greifen, wo das Geſetz es im beſtimmten Falle ausgeſprochen hat.
Endlich gar ſchon das Princip der polizeilichen Verantwortlichkeit im
Art. 15: „Die Gemeinſchaft (la société) hat das Recht, von jedem
Organe (agent) ſeiner Verwaltung Rechenſchaft zu fordern.“ Und um
dem Bewußtſein von demjenigen, wovon es ſich hier handelt, den
klarſten Ausdruck zu geben, ſagt Art. 12: „Die Sicherheit der öffent-
lichen Rechte (la garantie des droits de l’homme et du citoyen) er-
fordert eine öffentliche Gewalt (eine Sicherheitspolizei — „une force
publique“
), dieſe öffentliche Gewalt iſt alſo eingeſetzt zum Vortheil
aller, und nicht zum Vortheil derer, denen ſie anvertraut iſt.“ — So
iſt hier das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Polizeirechts beinahe voll-
ſtändig formulirt. Die Scheidung zwiſchen dem Staatsbürger und der
vollziehenden Gewalt, die Anerkennung der letzteren und ihrer ſelbſt-
beſtimmten Thätigkeit, und endlich das große Princip der Begränzung
der letzteren durch das Geſetz liegen hier klar vor. Dasjenige nämlich,
wodurch jene déclaration des droits ihre Zeit ſo gewaltig ergriff, jene
ſo oft mißverſtandene Idee der souveraineté de la nation (noch nicht
die du peuple) iſt in der That nur Ein Moment in der Bedeutung
der neuen bill of rights; ſie iſt zunächſt nichts als das große Princip,
daß das Geſetz das höchſte Recht bilde. Das zweite Moment derſelben
beſteht dagegen darin, daß ſich dieſem Geſetze die Verordnungsgewalt,
und namentlich die der Sicherheitspolizei, die ihrer Natur nach am
unbeſtimmteſten iſt, zu unterwerfen habe. Mit dieſem Princip gab
ſie den Völkern neben der Idee der Verfaſſung zugleich, wenn auch
nur noch in ziemlich enger Beſchränkung eben auf die Sicherheitspolizei,
die große Grundlage alles verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts, die
Unterordnung der Exekution unter die Legislative, und die Baſis der
perſönlichen Freiheit in der Gültigkeit des Geſetzes gegenüber der (Polizei-)
Verordnung. Das war es, deſſen die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft be-
durfte, um aus der ſtrengen und willkürlichen polizeilichen in die ſtaats-
bürgerliche Verwaltung überzugehen, und der Jubel, mit dem man
dieſe Erklärung der Menſchenrechte begrüßte, bedeutete eben ſo ſehr
eine neue Epoche des Verwaltungs- und namentlich des Polizeirechts
als der Verfaſſung. Und wenn man das erſtere mehr fühlte als begriff,
und darum viel ſchneller zu dem zweiten gelangte, das jedermann ver-
ſtändlich war, ſo lag das einfach darin, daß eben eine Verfaſſung weit
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nen, daß dieſe großen Principien, wenn auch nur erſt in Beziehung

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[100/0122] Art. 10: Die Polizei darf niemanden in ſeinen religiöſen Anſichten ſtören, wenn dieſelben nicht die öffentliche Ordnung bedrohen. Art. 11: Die Sicherheitspolizei kann in dem Verkehr der Gedanken nur da ein- greifen, wo das Geſetz es im beſtimmten Falle ausgeſprochen hat. Endlich gar ſchon das Princip der polizeilichen Verantwortlichkeit im Art. 15: „Die Gemeinſchaft (la société) hat das Recht, von jedem Organe (agent) ſeiner Verwaltung Rechenſchaft zu fordern.“ Und um dem Bewußtſein von demjenigen, wovon es ſich hier handelt, den klarſten Ausdruck zu geben, ſagt Art. 12: „Die Sicherheit der öffent- lichen Rechte (la garantie des droits de l’homme et du citoyen) er- fordert eine öffentliche Gewalt (eine Sicherheitspolizei — „une force publique“), dieſe öffentliche Gewalt iſt alſo eingeſetzt zum Vortheil aller, und nicht zum Vortheil derer, denen ſie anvertraut iſt.“ — So iſt hier das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Polizeirechts beinahe voll- ſtändig formulirt. Die Scheidung zwiſchen dem Staatsbürger und der vollziehenden Gewalt, die Anerkennung der letzteren und ihrer ſelbſt- beſtimmten Thätigkeit, und endlich das große Princip der Begränzung der letzteren durch das Geſetz liegen hier klar vor. Dasjenige nämlich, wodurch jene déclaration des droits ihre Zeit ſo gewaltig ergriff, jene ſo oft mißverſtandene Idee der souveraineté de la nation (noch nicht die du peuple) iſt in der That nur Ein Moment in der Bedeutung der neuen bill of rights; ſie iſt zunächſt nichts als das große Princip, daß das Geſetz das höchſte Recht bilde. Das zweite Moment derſelben beſteht dagegen darin, daß ſich dieſem Geſetze die Verordnungsgewalt, und namentlich die der Sicherheitspolizei, die ihrer Natur nach am unbeſtimmteſten iſt, zu unterwerfen habe. Mit dieſem Princip gab ſie den Völkern neben der Idee der Verfaſſung zugleich, wenn auch nur noch in ziemlich enger Beſchränkung eben auf die Sicherheitspolizei, die große Grundlage alles verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts, die Unterordnung der Exekution unter die Legislative, und die Baſis der perſönlichen Freiheit in der Gültigkeit des Geſetzes gegenüber der (Polizei-) Verordnung. Das war es, deſſen die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft be- durfte, um aus der ſtrengen und willkürlichen polizeilichen in die ſtaats- bürgerliche Verwaltung überzugehen, und der Jubel, mit dem man dieſe Erklärung der Menſchenrechte begrüßte, bedeutete eben ſo ſehr eine neue Epoche des Verwaltungs- und namentlich des Polizeirechts als der Verfaſſung. Und wenn man das erſtere mehr fühlte als begriff, und darum viel ſchneller zu dem zweiten gelangte, das jedermann ver- ſtändlich war, ſo lag das einfach darin, daß eben eine Verfaſſung weit leichter herzuſtellen iſt, als eine Verwaltung. Indeß blieb das gewon- nen, daß dieſe großen Principien, wenn auch nur erſt in Beziehung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/122>, abgerufen am 04.12.2024.