Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.III. Gewerbliche Gesundheitspolizei. 1) Begriff und Princip. Es ist ein charakteristisches Moment der staatsbürgerlichen Gesell- So lange die ständische Gesellschaft bestand, die den Betrieb der Die Darstellung dieses Systems im engen Raume fordert nun III. Gewerbliche Geſundheitspolizei. 1) Begriff und Princip. Es iſt ein charakteriſtiſches Moment der ſtaatsbürgerlichen Geſell- So lange die ſtändiſche Geſellſchaft beſtand, die den Betrieb der Die Darſtellung dieſes Syſtems im engen Raume fordert nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0096" n="80"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Gewerbliche Geſundheitspolizei.</hi> </head><lb/> <div n="6"> <head>1) <hi rendition="#g">Begriff und Princip</hi>.</head><lb/> <p>Es iſt ein charakteriſtiſches Moment der ſtaatsbürgerlichen Geſell-<lb/> ſchaft, daß ſie allenthalben bei dem Gewerbe diejenigen Elemente deſſelben<lb/> geſucht und gefunden und zum Gegenſtande ſpecieller Verwaltungs-<lb/> thätigkeit gemacht hat, welche über die Sphäre des Einzelunternehmens<lb/> hinausgehen und eine allgemeine Bedeutung für das Geſammtleben<lb/> haben. Zu dieſen Elementen gehört auch das ſanitäre Moment der<lb/> Gewerbe.</p><lb/> <p>So lange die ſtändiſche Geſellſchaft beſtand, die den Betrieb der<lb/> Gewerbe als reine Sache der gewerblichen Körperſchaften und Innungen<lb/> hinſtellte, ſo lange daher nach dem Charakter jener ſocialen Ord-<lb/> nung der Erwerb nicht als eine allgemein bürgerliche, ſondern als eine<lb/> ſtändiſche Aufgabe erſchien, konnte natürlich die Verwaltung ſich auch<lb/> mit den geſundheitlichen Verhältniſſen der Gewerbe nicht befaſſen. Als<lb/> dagegen in der ſtaatsbürgerlichen oder der damit identiſchen induſtriellen<lb/> Geſellſchaftsordnung der bürgerliche Erwerb die allgemeine und princi-<lb/> piell gleiche Grundlage der geſellſchaftlichen Stellung des Einzelnen<lb/> ward, ward auch der Einfluß, den das Gewerbe auf die Geſundheit<lb/> hat, eine der großen Aufgaben derjenigen Thätigkeit, welche die Be-<lb/> dingungen des Wohlſeins Aller herſtellen ſoll. In der Zeit der Zünfte<lb/> und Innungen iſt daher eine gewerbliche Geſundheitspolizei nicht mög-<lb/> lich. Sie iſt dagegen ein naturgemäßes Corrollar der Gewerbefreiheit;<lb/> ſie entſteht zum Theil unmittelbar mit demſelben Geſetz, welches jene<lb/> einführt, und bildet faſt allenthalben ein integrirendes Moment der-<lb/> ſelben; ſie geht von dem einfachen Gewerbe dann über zu der Induſtrie;<lb/> ſie muß ſich nach den beſondern Verhältniſſen beider richten; ſie hat<lb/> die ſchwierige Aufgabe, die Produktion im Namen der Geſundheit der<lb/> Producenten zu beſchränken, ohne doch ſie unfrei zu machen; ſie wird<lb/> dadurch gezwungen, ſich einerſeits an die Wiſſenſchaft zu wenden und<lb/> andererſeits ſich formell zu organiſiren; ſie muß ſich ſelbſt in Geſetz<lb/> und Verordnung eine möglichſt ſcharfe Grenze ziehen; und ſo hat ſich<lb/> im Zuſammenwirken aller dieſer Elemente ein förmliches, großartiges,<lb/> auf der feſten Grundlage der Wiſſenſchaft ruhendes und dennoch noch<lb/> ſehr im Werden begriffenes <hi rendition="#g">Syſtem der gewerblichen Geſund-<lb/> heitspolizei</hi> gebildet, das faſt ausſchließlich unſerem Jahrhundert<lb/> angehört und eine ſeiner ſchönſten und heilſamſten Errungenſchaften iſt<lb/> und in ſeiner Ausbildung noch mehr ſein wird.</p><lb/> <p>Die Darſtellung dieſes Syſtems im engen Raume fordert nun<lb/> zweierlei. Zuerſt die formalen <hi rendition="#g">Kategorien</hi> dieſes Syſtems, zum<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0096]
III. Gewerbliche Geſundheitspolizei.
1) Begriff und Princip.
Es iſt ein charakteriſtiſches Moment der ſtaatsbürgerlichen Geſell-
ſchaft, daß ſie allenthalben bei dem Gewerbe diejenigen Elemente deſſelben
geſucht und gefunden und zum Gegenſtande ſpecieller Verwaltungs-
thätigkeit gemacht hat, welche über die Sphäre des Einzelunternehmens
hinausgehen und eine allgemeine Bedeutung für das Geſammtleben
haben. Zu dieſen Elementen gehört auch das ſanitäre Moment der
Gewerbe.
So lange die ſtändiſche Geſellſchaft beſtand, die den Betrieb der
Gewerbe als reine Sache der gewerblichen Körperſchaften und Innungen
hinſtellte, ſo lange daher nach dem Charakter jener ſocialen Ord-
nung der Erwerb nicht als eine allgemein bürgerliche, ſondern als eine
ſtändiſche Aufgabe erſchien, konnte natürlich die Verwaltung ſich auch
mit den geſundheitlichen Verhältniſſen der Gewerbe nicht befaſſen. Als
dagegen in der ſtaatsbürgerlichen oder der damit identiſchen induſtriellen
Geſellſchaftsordnung der bürgerliche Erwerb die allgemeine und princi-
piell gleiche Grundlage der geſellſchaftlichen Stellung des Einzelnen
ward, ward auch der Einfluß, den das Gewerbe auf die Geſundheit
hat, eine der großen Aufgaben derjenigen Thätigkeit, welche die Be-
dingungen des Wohlſeins Aller herſtellen ſoll. In der Zeit der Zünfte
und Innungen iſt daher eine gewerbliche Geſundheitspolizei nicht mög-
lich. Sie iſt dagegen ein naturgemäßes Corrollar der Gewerbefreiheit;
ſie entſteht zum Theil unmittelbar mit demſelben Geſetz, welches jene
einführt, und bildet faſt allenthalben ein integrirendes Moment der-
ſelben; ſie geht von dem einfachen Gewerbe dann über zu der Induſtrie;
ſie muß ſich nach den beſondern Verhältniſſen beider richten; ſie hat
die ſchwierige Aufgabe, die Produktion im Namen der Geſundheit der
Producenten zu beſchränken, ohne doch ſie unfrei zu machen; ſie wird
dadurch gezwungen, ſich einerſeits an die Wiſſenſchaft zu wenden und
andererſeits ſich formell zu organiſiren; ſie muß ſich ſelbſt in Geſetz
und Verordnung eine möglichſt ſcharfe Grenze ziehen; und ſo hat ſich
im Zuſammenwirken aller dieſer Elemente ein förmliches, großartiges,
auf der feſten Grundlage der Wiſſenſchaft ruhendes und dennoch noch
ſehr im Werden begriffenes Syſtem der gewerblichen Geſund-
heitspolizei gebildet, das faſt ausſchließlich unſerem Jahrhundert
angehört und eine ſeiner ſchönſten und heilſamſten Errungenſchaften iſt
und in ſeiner Ausbildung noch mehr ſein wird.
Die Darſtellung dieſes Syſtems im engen Raume fordert nun
zweierlei. Zuerſt die formalen Kategorien dieſes Syſtems, zum
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