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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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wissenschaftlich zu formuliren, als vielmehr darauf, ihnen praktische ge-
setzliche Geltung zu verschaffen, was allerdings schon einen hohen Stand-
punkt der allgemeinen sanitären Bildung eines Volkes voraussetzt.


Die polizeilichen Verbote in Beziehung auf die Gesundheit beginnen
schon einzeln mit dem dreizehnten Jahrhundert; Speisegesetze in Arrago-
nien 1234. Sie werden ziemlich allgemein seit dem sechzehnten. Zuerst
erschienen die Gesetze gegen die Trunkenheit (Reform. Polizei 1530),
dann 1548. Aufwandgesetze in Kursachsen schon seit 1482; Ritterorden
gegen das Trinken 1517; Verbote des Tabakrauchens 1652; Verbot
des heftigen Tanzens; Kleiderordnungen u. a. m. Hübsche Sammlung
bei Frank, Medicinalpolizei III. 3. 1. und 2. -- Ebenso Sorge für
Schwangere ebendas. III. 3. Berg, Polizeirecht II. III. 2. 3. -- Höchst
reichhaltig an allerlei Vorschriften der Art über Erhitzung, Spiele u. s. w.
Kopetz, Polizeigesetze Bd. II. §. 654--663. Ein Theil davon führt
ein Scheinleben in Stubenrauch, Oesterr. Verwaltungsgesetzkunde II.
§. 264 ff. Ebenso ausführlich, wohlgemeint und zugleich unpraktisch war
die Gesetzgebung in Württemberg (Roller, Polizeigesetze §§. 128. 225
u. a. O.) Gegenwärtig ist von diesen Dingen wohl keine Rede mehr,
so weit es sich nicht um Sicherheitspolizei oder niedere Gesundheitspolizei
handelt.

Die Vorschriften über die Arbeit der Kinder in den Fabriken
stammen aus unserem Jahrhundert. Sie gehören allerdings zugleich dem
Unterrichts-, wie dem Hülfswesen und dem Gewerbewesen an. Hier nun
ist kaum zweifelhaft, daß das was Frankreich geleistet hat, nicht bloß
weit über dem englischen steht, sondern selbst für die Gesetzgebung der
Deutschen den Anstoß gegeben hat, so weit eine solche besteht, und volle
Anerkennung und Nachahmung verdient. Der ganze Gang dieser Maß-
regeln und Gesetzgebungen ist in einem sehr guten Artikel von Tar-
dieu
(Dictionnaire de l'hyg. publ. a. travail) und kürzer und ein-
facher in einem zweiten von Legoyt im (Dictionnaire de l'Admin.)
dargelegt. Die wesentlichen Punkte sind folgende. In den dreißiger
Jahren, zum Theil in Folge der Cholera, zum Theil angeregt durch die
sociale Bewegung überhaupt, nahm die Regierung die Sache in die
Hand. Es ward eine Commission zur Untersuchung der Frage nieder-
gesetzt, für welche Villerme den Bericht erstattete, dessen Tableau de
l'etat physique et moral des ouvriers dans les manufactures
1840,
als Ausgangspunkt aller sanitären und socialen Maßregeln in Beziehung
auf die Fabriken angesehen werden muß. Daraus nun ging das Gesetz
vom 22. März 1841 hervor, das die Grundlage der späteren Bestimmungen

wiſſenſchaftlich zu formuliren, als vielmehr darauf, ihnen praktiſche ge-
ſetzliche Geltung zu verſchaffen, was allerdings ſchon einen hohen Stand-
punkt der allgemeinen ſanitären Bildung eines Volkes vorausſetzt.


Die polizeilichen Verbote in Beziehung auf die Geſundheit beginnen
ſchon einzeln mit dem dreizehnten Jahrhundert; Speiſegeſetze in Arrago-
nien 1234. Sie werden ziemlich allgemein ſeit dem ſechzehnten. Zuerſt
erſchienen die Geſetze gegen die Trunkenheit (Reform. Polizei 1530),
dann 1548. Aufwandgeſetze in Kurſachſen ſchon ſeit 1482; Ritterorden
gegen das Trinken 1517; Verbote des Tabakrauchens 1652; Verbot
des heftigen Tanzens; Kleiderordnungen u. a. m. Hübſche Sammlung
bei Frank, Medicinalpolizei III. 3. 1. und 2. — Ebenſo Sorge für
Schwangere ebendaſ. III. 3. Berg, Polizeirecht II. III. 2. 3. — Höchſt
reichhaltig an allerlei Vorſchriften der Art über Erhitzung, Spiele u. ſ. w.
Kopetz, Polizeigeſetze Bd. II. §. 654—663. Ein Theil davon führt
ein Scheinleben in Stubenrauch, Oeſterr. Verwaltungsgeſetzkunde II.
§. 264 ff. Ebenſo ausführlich, wohlgemeint und zugleich unpraktiſch war
die Geſetzgebung in Württemberg (Roller, Polizeigeſetze §§. 128. 225
u. a. O.) Gegenwärtig iſt von dieſen Dingen wohl keine Rede mehr,
ſo weit es ſich nicht um Sicherheitspolizei oder niedere Geſundheitspolizei
handelt.

Die Vorſchriften über die Arbeit der Kinder in den Fabriken
ſtammen aus unſerem Jahrhundert. Sie gehören allerdings zugleich dem
Unterrichts-, wie dem Hülfsweſen und dem Gewerbeweſen an. Hier nun
iſt kaum zweifelhaft, daß das was Frankreich geleiſtet hat, nicht bloß
weit über dem engliſchen ſteht, ſondern ſelbſt für die Geſetzgebung der
Deutſchen den Anſtoß gegeben hat, ſo weit eine ſolche beſteht, und volle
Anerkennung und Nachahmung verdient. Der ganze Gang dieſer Maß-
regeln und Geſetzgebungen iſt in einem ſehr guten Artikel von Tar-
dieu
(Dictionnaire de l’hyg. publ. a. travail) und kürzer und ein-
facher in einem zweiten von Legoyt im (Dictionnaire de l’Admin.)
dargelegt. Die weſentlichen Punkte ſind folgende. In den dreißiger
Jahren, zum Theil in Folge der Cholera, zum Theil angeregt durch die
ſociale Bewegung überhaupt, nahm die Regierung die Sache in die
Hand. Es ward eine Commiſſion zur Unterſuchung der Frage nieder-
geſetzt, für welche Villermé den Bericht erſtattete, deſſen Tableau de
l’état physique et moral des ouvriers dans les manufactures
1840,
als Ausgangspunkt aller ſanitären und ſocialen Maßregeln in Beziehung
auf die Fabriken angeſehen werden muß. Daraus nun ging das Geſetz
vom 22. März 1841 hervor, das die Grundlage der ſpäteren Beſtimmungen

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[74/0090] wiſſenſchaftlich zu formuliren, als vielmehr darauf, ihnen praktiſche ge- ſetzliche Geltung zu verſchaffen, was allerdings ſchon einen hohen Stand- punkt der allgemeinen ſanitären Bildung eines Volkes vorausſetzt. Die polizeilichen Verbote in Beziehung auf die Geſundheit beginnen ſchon einzeln mit dem dreizehnten Jahrhundert; Speiſegeſetze in Arrago- nien 1234. Sie werden ziemlich allgemein ſeit dem ſechzehnten. Zuerſt erſchienen die Geſetze gegen die Trunkenheit (Reform. Polizei 1530), dann 1548. Aufwandgeſetze in Kurſachſen ſchon ſeit 1482; Ritterorden gegen das Trinken 1517; Verbote des Tabakrauchens 1652; Verbot des heftigen Tanzens; Kleiderordnungen u. a. m. Hübſche Sammlung bei Frank, Medicinalpolizei III. 3. 1. und 2. — Ebenſo Sorge für Schwangere ebendaſ. III. 3. Berg, Polizeirecht II. III. 2. 3. — Höchſt reichhaltig an allerlei Vorſchriften der Art über Erhitzung, Spiele u. ſ. w. Kopetz, Polizeigeſetze Bd. II. §. 654—663. Ein Theil davon führt ein Scheinleben in Stubenrauch, Oeſterr. Verwaltungsgeſetzkunde II. §. 264 ff. Ebenſo ausführlich, wohlgemeint und zugleich unpraktiſch war die Geſetzgebung in Württemberg (Roller, Polizeigeſetze §§. 128. 225 u. a. O.) Gegenwärtig iſt von dieſen Dingen wohl keine Rede mehr, ſo weit es ſich nicht um Sicherheitspolizei oder niedere Geſundheitspolizei handelt. Die Vorſchriften über die Arbeit der Kinder in den Fabriken ſtammen aus unſerem Jahrhundert. Sie gehören allerdings zugleich dem Unterrichts-, wie dem Hülfsweſen und dem Gewerbeweſen an. Hier nun iſt kaum zweifelhaft, daß das was Frankreich geleiſtet hat, nicht bloß weit über dem engliſchen ſteht, ſondern ſelbſt für die Geſetzgebung der Deutſchen den Anſtoß gegeben hat, ſo weit eine ſolche beſteht, und volle Anerkennung und Nachahmung verdient. Der ganze Gang dieſer Maß- regeln und Geſetzgebungen iſt in einem ſehr guten Artikel von Tar- dieu (Dictionnaire de l’hyg. publ. a. travail) und kürzer und ein- facher in einem zweiten von Legoyt im (Dictionnaire de l’Admin.) dargelegt. Die weſentlichen Punkte ſind folgende. In den dreißiger Jahren, zum Theil in Folge der Cholera, zum Theil angeregt durch die ſociale Bewegung überhaupt, nahm die Regierung die Sache in die Hand. Es ward eine Commiſſion zur Unterſuchung der Frage nieder- geſetzt, für welche Villermé den Bericht erſtattete, deſſen Tableau de l’état physique et moral des ouvriers dans les manufactures 1840, als Ausgangspunkt aller ſanitären und ſocialen Maßregeln in Beziehung auf die Fabriken angeſehen werden muß. Daraus nun ging das Geſetz vom 22. März 1841 hervor, das die Grundlage der ſpäteren Beſtimmungen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/90>, abgerufen am 22.11.2024.