Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.Wir wissen recht gut, daß der Ausdruck "Seuche" kein medi- I. Die Contagien und ihre Rechtsordnung. Das Verwaltungsrecht der Contagien beruht auf der Thatsache, Wir wiſſen recht gut, daß der Ausdruck „Seuche“ kein medi- I. Die Contagien und ihre Rechtsordnung. Das Verwaltungsrecht der Contagien beruht auf der Thatſache, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0059" n="43"/> <p>Wir wiſſen recht gut, daß der Ausdruck „Seuche“ kein medi-<lb/> ciniſcher iſt und daß ihn auch die bisherige Medicinalpolizei nicht<lb/> aufgenommen hat. Dennoch iſt er in ſeiner ſpecifiſchen adminiſtrativen<lb/> Bedeutung nicht zu entbehren, obwohl weder Frank, noch in neueſter Zeit<lb/> Horn und Andere ihn haben. Den beſten Beweis der Nothwendigkeit,<lb/> Sanitätspolizei und Seuchenweſen im Allgemeinen zu trennen, liefert<lb/> wohl <hi rendition="#g">Pappenheim</hi> in dem oben angeführten Artikel. Die rechtliche<lb/> Grundlage des Begriffes iſt die anerkannte Verpflichtung der Aerzte,<lb/> ausbrechende Seuchen ſofort <hi rendition="#g">anzuzeigen</hi>, wie ſie neulich wieder in<lb/><hi rendition="#g">Bayern</hi> (Verordnung vom 28. November 1865) ausdrücklich anerkannt<lb/> wurde. Jedenfalls dürfte das Folgende ein klares und auch vollſtändiges<lb/> Bild geben. In England iſt für das Seuchenweſen (<hi rendition="#aq">formidable epide-<lb/> mie, endemie or contagious disease</hi>) dem <hi rendition="#aq">Privy Council</hi> ſogar aus-<lb/> drücklich das beſondere Recht auf Erlaß von Specialregulativen, ſtets<lb/> gültig auf ſechs Monate, mit Strafbeſtimmungen gegeben (18, 19 <hi rendition="#aq">Vict.</hi><lb/> 116. <hi rendition="#g">Gneiſt</hi> <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 113). Aehnlich in <hi rendition="#g">Belgien</hi> (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">De Fooz</hi>, Droit<lb/> publique belge III. T. II.</hi>) nach der Conſtitution Art. 67.</p><lb/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Die Contagien und ihre Rechtsordnung.</hi> </head><lb/> <p>Das Verwaltungsrecht der Contagien beruht auf der Thatſache,<lb/> daß gewiſſe Krankheiten nur durch ſolche <hi rendition="#g">Berührung</hi> tödtliche An-<lb/> ſteckungen hervorbringen, gegen welche der Einzelne ſich nicht ſchützen<lb/> kann. Die Aufgabe derſelben iſt daher zunächſt, durch die Organe des<lb/> Geſundheitsweſens die richtige Diagnoſe der betreffenden contagiöſen<lb/> Krankheit zu ermitteln, dann die <hi rendition="#g">Art</hi> der Krankheit feſtzuſtellen und<lb/> dann durch definitive Abſperrung derſelben die Verbreitung der Krank-<lb/> heit zu hindern. Die urſprüngliche und jetzt beinahe einzige Form, in<lb/> der das Contagium mit Ausnahme der Blattern noch anerkannt wird<lb/> und ein eigenthümliches Verfahren hervorruft, ſind wohl die Peſt und<lb/> das gelbe Fieber. Die Aufgabe der Anzeige fällt hier daher auch meiſt<lb/> den Conſularbeamten zu. Das einfache und natürliche Mittel oder<lb/> das Recht dieſer — entſchiedenen — Contagien iſt nach wie vor die <hi rendition="#g">Ab-<lb/> ſperrung</hi>. Nur hat dieſelbe eine verſchiedene Geſtalt. Dieſe Abſper-<lb/> rung erſcheint für den Seeverkehr als <hi rendition="#g">Quarantäne</hi>, für den Land-<lb/> verkehr als <hi rendition="#g">Sanitätscordon</hi> an den Landesgränzen, für einzelne<lb/> Oertlichkeiten als polizeiliche <hi rendition="#g">Abſchließung</hi>. Jede dieſer Maßregeln<lb/> hat dann ihr eigenes verordnungsmäßiges Recht und Verfahren. Bis<lb/> auf die neueſte Zeit hielt man feſt an der Meinung, daß man <hi rendition="#g">jede</hi><lb/> Seuche mit der Abſperrung bekämpfen könne. Die Erkenntniß des<lb/> Unterſchiedes zwiſchen Contagien und Miasmen hat das ganze Syſtem<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0059]
Wir wiſſen recht gut, daß der Ausdruck „Seuche“ kein medi-
ciniſcher iſt und daß ihn auch die bisherige Medicinalpolizei nicht
aufgenommen hat. Dennoch iſt er in ſeiner ſpecifiſchen adminiſtrativen
Bedeutung nicht zu entbehren, obwohl weder Frank, noch in neueſter Zeit
Horn und Andere ihn haben. Den beſten Beweis der Nothwendigkeit,
Sanitätspolizei und Seuchenweſen im Allgemeinen zu trennen, liefert
wohl Pappenheim in dem oben angeführten Artikel. Die rechtliche
Grundlage des Begriffes iſt die anerkannte Verpflichtung der Aerzte,
ausbrechende Seuchen ſofort anzuzeigen, wie ſie neulich wieder in
Bayern (Verordnung vom 28. November 1865) ausdrücklich anerkannt
wurde. Jedenfalls dürfte das Folgende ein klares und auch vollſtändiges
Bild geben. In England iſt für das Seuchenweſen (formidable epide-
mie, endemie or contagious disease) dem Privy Council ſogar aus-
drücklich das beſondere Recht auf Erlaß von Specialregulativen, ſtets
gültig auf ſechs Monate, mit Strafbeſtimmungen gegeben (18, 19 Vict.
116. Gneiſt II. §. 113). Aehnlich in Belgien (De Fooz, Droit
publique belge III. T. II.) nach der Conſtitution Art. 67.
I. Die Contagien und ihre Rechtsordnung.
Das Verwaltungsrecht der Contagien beruht auf der Thatſache,
daß gewiſſe Krankheiten nur durch ſolche Berührung tödtliche An-
ſteckungen hervorbringen, gegen welche der Einzelne ſich nicht ſchützen
kann. Die Aufgabe derſelben iſt daher zunächſt, durch die Organe des
Geſundheitsweſens die richtige Diagnoſe der betreffenden contagiöſen
Krankheit zu ermitteln, dann die Art der Krankheit feſtzuſtellen und
dann durch definitive Abſperrung derſelben die Verbreitung der Krank-
heit zu hindern. Die urſprüngliche und jetzt beinahe einzige Form, in
der das Contagium mit Ausnahme der Blattern noch anerkannt wird
und ein eigenthümliches Verfahren hervorruft, ſind wohl die Peſt und
das gelbe Fieber. Die Aufgabe der Anzeige fällt hier daher auch meiſt
den Conſularbeamten zu. Das einfache und natürliche Mittel oder
das Recht dieſer — entſchiedenen — Contagien iſt nach wie vor die Ab-
ſperrung. Nur hat dieſelbe eine verſchiedene Geſtalt. Dieſe Abſper-
rung erſcheint für den Seeverkehr als Quarantäne, für den Land-
verkehr als Sanitätscordon an den Landesgränzen, für einzelne
Oertlichkeiten als polizeiliche Abſchließung. Jede dieſer Maßregeln
hat dann ihr eigenes verordnungsmäßiges Recht und Verfahren. Bis
auf die neueſte Zeit hielt man feſt an der Meinung, daß man jede
Seuche mit der Abſperrung bekämpfen könne. Die Erkenntniß des
Unterſchiedes zwiſchen Contagien und Miasmen hat das ganze Syſtem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |