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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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Grundsätzen des ständischen Gewerberechts. Das öffentliche verwaltungs-
mäßige Recht der Praxis entsteht erst, wo der Gedanke zur Geltung
kommt, daß man die berufsmäßige Bildung zur Voraussetzung jeder
heilkundigen Thätigkeit machen müsse. Das erste Auftreten desselben
erscheint daher in einer möglichst strengen Gränzbestimmung der
Praxis je nach dem Grade der Bildung, mit der Ausschließung der
niederen ärztlichen Klassen von den Funktionen der höheren, sowie in
der Verfolgung der Kurpfuscherei. Auf diesem Standpunkt steht
das vorige Jahrhundert. Erst das gegenwärtige hat unter Aufhebung
jener Unterschiede das Recht zur Praxis für alle Heilungen und alle
Classen der Aerzte gleich gemacht und die gemeingültigen Grundsätze des
Rechts der Praxis sind demnach jetzt folgende.

Zuerst ist jeder geprüfte Arzt zu jeder Art der Praxis berechtigt.
Jedoch ist die Verleihung dieses Rechts grundsätzlich durch das Be-
stehen der öffentlichen Prüfungen bedingt; daneben findet in einzelnen
Staaten (Preußen, Frankreich) noch eine behördliche specielle Aufnahme
als ausübender Arzt statt. -- Zweitens haben nur die geprüften
Aerzte die fides publica für Beweise im Strafproceß. -- Das Dis-
pensationsrecht
, das Recht, selbständig die Recepte zu bereiten,
gehört drittens an sich nicht zum Recht der Praxis, sondern dem
Apothekerwesen; doch ist es wohl allenthalben ausnahmsweise gestattet.
-- Viertens: Fremde bedürfen einer eigenen Aufnahme. -- Fünf-
tens
ist der Grundsatz der ärztlichen Taxen seit dem Entstehen der
berufsmäßigen Heilkunde festgehalten und diesen Taxen ein Vorrecht
vor allen andern Forderungen eingeräumt. -- Das Recht der Praxis
enthält weiter sechstens das Princip der Freiheit der Heilmethode.

Das öffentliche Recht der Heilmethode läßt sich in drei Punkten zu-
sammenfassen. Zuerst hat sich allmählig auf Grundlage der Wissen-
schaft der Grundsatz festgestellt, daß administrative Verbote von Heil-
methoden nichts nützen, sondern daß allein die Wissenschaft das Verkehrte
zu beseitigen fähig ist. Zweitens aber erscheinen für außerordentliche
Fälle, namentlich für Epidemien, allgemeine örtliche Instruktionen
noch immer als zweckmäßig, welche der Arzt wenigstens so weit zu
befolgen verpflichtet erscheint, daß seine Heilmethode nicht mit ihnen im
Widerspruche stehe. Drittens endlich hat der ursprünglich römische
Grundsatz durchgegriffen, daß jeder Arzt für den Schaden, den er durch
seine Heilungen mit nachweisbarer Fahrlässigkeit anrichtet, strafrechtlich
haftet.

Daran nun schließt sich endlich ein wenig ausgebildetes, unklares
und einer gründlichen Revision bedürftiges Gebiet, nämlich das der
Disciplin der Aerzte, das wesentlich aus der berufsmäßigen Stellung

Grundſätzen des ſtändiſchen Gewerberechts. Das öffentliche verwaltungs-
mäßige Recht der Praxis entſteht erſt, wo der Gedanke zur Geltung
kommt, daß man die berufsmäßige Bildung zur Vorausſetzung jeder
heilkundigen Thätigkeit machen müſſe. Das erſte Auftreten deſſelben
erſcheint daher in einer möglichſt ſtrengen Gränzbeſtimmung der
Praxis je nach dem Grade der Bildung, mit der Ausſchließung der
niederen ärztlichen Klaſſen von den Funktionen der höheren, ſowie in
der Verfolgung der Kurpfuſcherei. Auf dieſem Standpunkt ſteht
das vorige Jahrhundert. Erſt das gegenwärtige hat unter Aufhebung
jener Unterſchiede das Recht zur Praxis für alle Heilungen und alle
Claſſen der Aerzte gleich gemacht und die gemeingültigen Grundſätze des
Rechts der Praxis ſind demnach jetzt folgende.

Zuerſt iſt jeder geprüfte Arzt zu jeder Art der Praxis berechtigt.
Jedoch iſt die Verleihung dieſes Rechts grundſätzlich durch das Be-
ſtehen der öffentlichen Prüfungen bedingt; daneben findet in einzelnen
Staaten (Preußen, Frankreich) noch eine behördliche ſpecielle Aufnahme
als ausübender Arzt ſtatt. — Zweitens haben nur die geprüften
Aerzte die fides publica für Beweiſe im Strafproceß. — Das Dis-
penſationsrecht
, das Recht, ſelbſtändig die Recepte zu bereiten,
gehört drittens an ſich nicht zum Recht der Praxis, ſondern dem
Apothekerweſen; doch iſt es wohl allenthalben ausnahmsweiſe geſtattet.
Viertens: Fremde bedürfen einer eigenen Aufnahme. — Fünf-
tens
iſt der Grundſatz der ärztlichen Taxen ſeit dem Entſtehen der
berufsmäßigen Heilkunde feſtgehalten und dieſen Taxen ein Vorrecht
vor allen andern Forderungen eingeräumt. — Das Recht der Praxis
enthält weiter ſechstens das Princip der Freiheit der Heilmethode.

Das öffentliche Recht der Heilmethode läßt ſich in drei Punkten zu-
ſammenfaſſen. Zuerſt hat ſich allmählig auf Grundlage der Wiſſen-
ſchaft der Grundſatz feſtgeſtellt, daß adminiſtrative Verbote von Heil-
methoden nichts nützen, ſondern daß allein die Wiſſenſchaft das Verkehrte
zu beſeitigen fähig iſt. Zweitens aber erſcheinen für außerordentliche
Fälle, namentlich für Epidemien, allgemeine örtliche Inſtruktionen
noch immer als zweckmäßig, welche der Arzt wenigſtens ſo weit zu
befolgen verpflichtet erſcheint, daß ſeine Heilmethode nicht mit ihnen im
Widerſpruche ſtehe. Drittens endlich hat der urſprünglich römiſche
Grundſatz durchgegriffen, daß jeder Arzt für den Schaden, den er durch
ſeine Heilungen mit nachweisbarer Fahrläſſigkeit anrichtet, ſtrafrechtlich
haftet.

Daran nun ſchließt ſich endlich ein wenig ausgebildetes, unklares
und einer gründlichen Reviſion bedürftiges Gebiet, nämlich das der
Disciplin der Aerzte, das weſentlich aus der berufsmäßigen Stellung

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[106/0122] Grundſätzen des ſtändiſchen Gewerberechts. Das öffentliche verwaltungs- mäßige Recht der Praxis entſteht erſt, wo der Gedanke zur Geltung kommt, daß man die berufsmäßige Bildung zur Vorausſetzung jeder heilkundigen Thätigkeit machen müſſe. Das erſte Auftreten deſſelben erſcheint daher in einer möglichſt ſtrengen Gränzbeſtimmung der Praxis je nach dem Grade der Bildung, mit der Ausſchließung der niederen ärztlichen Klaſſen von den Funktionen der höheren, ſowie in der Verfolgung der Kurpfuſcherei. Auf dieſem Standpunkt ſteht das vorige Jahrhundert. Erſt das gegenwärtige hat unter Aufhebung jener Unterſchiede das Recht zur Praxis für alle Heilungen und alle Claſſen der Aerzte gleich gemacht und die gemeingültigen Grundſätze des Rechts der Praxis ſind demnach jetzt folgende. Zuerſt iſt jeder geprüfte Arzt zu jeder Art der Praxis berechtigt. Jedoch iſt die Verleihung dieſes Rechts grundſätzlich durch das Be- ſtehen der öffentlichen Prüfungen bedingt; daneben findet in einzelnen Staaten (Preußen, Frankreich) noch eine behördliche ſpecielle Aufnahme als ausübender Arzt ſtatt. — Zweitens haben nur die geprüften Aerzte die fides publica für Beweiſe im Strafproceß. — Das Dis- penſationsrecht, das Recht, ſelbſtändig die Recepte zu bereiten, gehört drittens an ſich nicht zum Recht der Praxis, ſondern dem Apothekerweſen; doch iſt es wohl allenthalben ausnahmsweiſe geſtattet. — Viertens: Fremde bedürfen einer eigenen Aufnahme. — Fünf- tens iſt der Grundſatz der ärztlichen Taxen ſeit dem Entſtehen der berufsmäßigen Heilkunde feſtgehalten und dieſen Taxen ein Vorrecht vor allen andern Forderungen eingeräumt. — Das Recht der Praxis enthält weiter ſechstens das Princip der Freiheit der Heilmethode. Das öffentliche Recht der Heilmethode läßt ſich in drei Punkten zu- ſammenfaſſen. Zuerſt hat ſich allmählig auf Grundlage der Wiſſen- ſchaft der Grundſatz feſtgeſtellt, daß adminiſtrative Verbote von Heil- methoden nichts nützen, ſondern daß allein die Wiſſenſchaft das Verkehrte zu beſeitigen fähig iſt. Zweitens aber erſcheinen für außerordentliche Fälle, namentlich für Epidemien, allgemeine örtliche Inſtruktionen noch immer als zweckmäßig, welche der Arzt wenigſtens ſo weit zu befolgen verpflichtet erſcheint, daß ſeine Heilmethode nicht mit ihnen im Widerſpruche ſtehe. Drittens endlich hat der urſprünglich römiſche Grundſatz durchgegriffen, daß jeder Arzt für den Schaden, den er durch ſeine Heilungen mit nachweisbarer Fahrläſſigkeit anrichtet, ſtrafrechtlich haftet. Daran nun ſchließt ſich endlich ein wenig ausgebildetes, unklares und einer gründlichen Reviſion bedürftiges Gebiet, nämlich das der Disciplin der Aerzte, das weſentlich aus der berufsmäßigen Stellung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/122>, abgerufen am 22.11.2024.