Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.vernachlässigt. Allein zweitens bedarf der junge Staat neben dieser juri- Damit war dem ersten Bedürfniß Genüge geleistet. Die Politik Während jenes nämlich geschieht, concentriren sich die Staaten; sie vernachläſſigt. Allein zweitens bedarf der junge Staat neben dieſer juri- Damit war dem erſten Bedürfniß Genüge geleiſtet. Die Politik Während jenes nämlich geſchieht, concentriren ſich die Staaten; ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0091" n="69"/> vernachläſſigt. Allein zweitens bedarf der junge Staat neben dieſer juri-<lb/> ſtiſchen Begründung für ſeine Thätigkeit einer theoretiſch begründeten<lb/> und wiſſenſchaftlich ſyſtemiſirten, kurz einer <hi rendition="#g">ethiſchen</hi> Grundlage ſeiner<lb/> praktiſchen Aufgabe. Und während nun das römiſche Reich ihm ſein<lb/> Recht im <hi rendition="#aq">Corpus Juris</hi> gab, trat die griechiſche Welt ihm in dieſem<lb/> Bedürfniß zur Seite, und gab ihm die griechiſchen Werke über die<lb/> Staatskunſt, die πολιτεια. Es handelte ſich bei dieſer πολιτεια na-<lb/> türlich nicht darum, gerade das auszuführen, was Plato und Ariſtoteles<lb/> geſagt hatten, ſo wenig wie es jemand einfiel, gerade das ganze römiſche<lb/> Recht zur Anwendung zu bringen. Es handelte ſich vielmehr nur dar-<lb/> um, der Thätigkeit des Staates und ſeiner Obrigkeiten eine hohe ethiſche<lb/> Autorität zum Grunde zu legen. Dieſe aber gaben ihm die Werke über<lb/> die <hi rendition="#aq">Politeia.</hi> So griffen dieſelben ſofort und auf das mächtigſte ein.<lb/> Die Staatskunſt erſchien als eine Wiſſenſchaft neben dem Recht; es<lb/> war natürlich, daß man dieſer Staatskunſt den angeſtammten Namen<lb/> gab; und ſo entſtanden die <hi rendition="#g">Politik</hi> oder die <hi rendition="#g">Polizei</hi>, urſprünglich aus<lb/> derſelben Quelle, eins und daſſelbe bedeutend.</p><lb/> <p>Damit war dem erſten Bedürfniß Genüge geleiſtet. Die Politik<lb/> umfaßt das <hi rendition="#g">ganze</hi> Staatsleben in der ethiſchen Begründung des neuen<lb/> Staatsrechts. Bald aber entwickelt ſich daraus ein neuer Proceß.</p><lb/> <p>Während jenes nämlich geſchieht, concentriren ſich die Staaten; ſie<lb/> gewinnen feſte Formen und Gränzen; ſie berühren ſich; es entſtehen<lb/> die ſpeciellen Intereſſen derſelben in dem ſich entwickelnden Geſammt-<lb/> leben Europa’s; es entſteht das, was wir das Staatenſyſtem nennen.<lb/> In dieſem Staatenſyſtem hat nun jeder Staat wieder ſeine Aufgabe<lb/> gegenüber den andern; und alle dieſe Aufgaben erſcheinen zuſammen-<lb/> gefaßt in demjenigen Momente, welches ſeinerſeits die Bedingung aller<lb/> iſt, der Machtbildung. Dieſe Machtbildung iſt aber eine Kunſt für<lb/> ſich; ſie erſcheint vor der Hand ganz gleichgültig gegen die innern Zu-<lb/> ſtände; ſie will für ſich verſtanden und gelehrt werden; und ſo trennt<lb/> ſich in der urſprünglich einfachen Staatskunſt das Gebiet der Staats-<lb/> kunſt der äußern Machtbildung, die Staatskunſt des Verkehrs der<lb/> Staaten untereinander von der innern Staatskunſt. Mit dieſer that-<lb/> ſächlichen Scheidung tritt die des Namens ein. Das Wort πολιτεια<lb/> ſpaltet ſich in zwei Theile. Die Staatskunſt des äußern Staaten-<lb/> verkehrs und der Machtbildung wird die <hi rendition="#g">Politik</hi>; die Staatskunſt des<lb/> innern Staatslebens wird die <hi rendition="#g">Polizei</hi>. Jene hat ihren Organismus<lb/> in der ſich allmählig ſelbſtändig entwickelnden Diplomatie, dieſe dagegen<lb/> iſt das wahre Gebiet der eigentlichen Obrigkeit. Und ſo hat jetzt<lb/> der Begriff der <hi rendition="#g">„Polizei“</hi> ſeine eigene, leicht verſtändliche Bedeu-<lb/> tung. Sie iſt durch den Gang der Dinge zur <hi rendition="#g">Geſammtheit aller<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0091]
vernachläſſigt. Allein zweitens bedarf der junge Staat neben dieſer juri-
ſtiſchen Begründung für ſeine Thätigkeit einer theoretiſch begründeten
und wiſſenſchaftlich ſyſtemiſirten, kurz einer ethiſchen Grundlage ſeiner
praktiſchen Aufgabe. Und während nun das römiſche Reich ihm ſein
Recht im Corpus Juris gab, trat die griechiſche Welt ihm in dieſem
Bedürfniß zur Seite, und gab ihm die griechiſchen Werke über die
Staatskunſt, die πολιτεια. Es handelte ſich bei dieſer πολιτεια na-
türlich nicht darum, gerade das auszuführen, was Plato und Ariſtoteles
geſagt hatten, ſo wenig wie es jemand einfiel, gerade das ganze römiſche
Recht zur Anwendung zu bringen. Es handelte ſich vielmehr nur dar-
um, der Thätigkeit des Staates und ſeiner Obrigkeiten eine hohe ethiſche
Autorität zum Grunde zu legen. Dieſe aber gaben ihm die Werke über
die Politeia. So griffen dieſelben ſofort und auf das mächtigſte ein.
Die Staatskunſt erſchien als eine Wiſſenſchaft neben dem Recht; es
war natürlich, daß man dieſer Staatskunſt den angeſtammten Namen
gab; und ſo entſtanden die Politik oder die Polizei, urſprünglich aus
derſelben Quelle, eins und daſſelbe bedeutend.
Damit war dem erſten Bedürfniß Genüge geleiſtet. Die Politik
umfaßt das ganze Staatsleben in der ethiſchen Begründung des neuen
Staatsrechts. Bald aber entwickelt ſich daraus ein neuer Proceß.
Während jenes nämlich geſchieht, concentriren ſich die Staaten; ſie
gewinnen feſte Formen und Gränzen; ſie berühren ſich; es entſtehen
die ſpeciellen Intereſſen derſelben in dem ſich entwickelnden Geſammt-
leben Europa’s; es entſteht das, was wir das Staatenſyſtem nennen.
In dieſem Staatenſyſtem hat nun jeder Staat wieder ſeine Aufgabe
gegenüber den andern; und alle dieſe Aufgaben erſcheinen zuſammen-
gefaßt in demjenigen Momente, welches ſeinerſeits die Bedingung aller
iſt, der Machtbildung. Dieſe Machtbildung iſt aber eine Kunſt für
ſich; ſie erſcheint vor der Hand ganz gleichgültig gegen die innern Zu-
ſtände; ſie will für ſich verſtanden und gelehrt werden; und ſo trennt
ſich in der urſprünglich einfachen Staatskunſt das Gebiet der Staats-
kunſt der äußern Machtbildung, die Staatskunſt des Verkehrs der
Staaten untereinander von der innern Staatskunſt. Mit dieſer that-
ſächlichen Scheidung tritt die des Namens ein. Das Wort πολιτεια
ſpaltet ſich in zwei Theile. Die Staatskunſt des äußern Staaten-
verkehrs und der Machtbildung wird die Politik; die Staatskunſt des
innern Staatslebens wird die Polizei. Jene hat ihren Organismus
in der ſich allmählig ſelbſtändig entwickelnden Diplomatie, dieſe dagegen
iſt das wahre Gebiet der eigentlichen Obrigkeit. Und ſo hat jetzt
der Begriff der „Polizei“ ſeine eigene, leicht verſtändliche Bedeu-
tung. Sie iſt durch den Gang der Dinge zur Geſammtheit aller
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |