Quesnay nicht eingefallen, seine Theorie um der Volkswirthschaft willen aufzustellen. Er wollte vielmehr nur die Gesetze der Volkswirth- schaft als die einzige und wahre Grundlage für die Auf- gabe der Verwaltung darlegen. Der Reichthum und die Macht von König und Staat war der Zweck seiner Arbeiten, das Princip seiner Lehre, und nur dadurch wird sie eigentlich verständlich. Es ist nicht unsere Sache, dieß genauer aufzuführen. Wohl aber liegt der tiefe Unterschied der damals noch herrschenden eudämonistischen Staats- idee und seiner Schule klar genug vor. Diese sucht die Wohlfahrt in einer abstracten Idee der sittlichen Vollendung des Menschen; die Physio- kraten sind die ersten, welche die Begründung derselben durch die Gesetze der Volkswirthschaft systematisch entwickelten. Mag man sonst über ihre Meinungen und Lehren denken, wie man will, auf diesem Punkte haben sie gewaltige Bahn gebrochen. Durch sie ist die Verschmelzung der systematischen Volkswirthschaftslehre zu einer hundert Jahre hindurch in Europa herrschenden Thatsache geworden. Wenn Europa auch nicht ihre Theorie annahm, das Ziel derselben ward allenthalben angenommen. Und diese Richtung kam nun zum ent- scheidenden Siege, als Adam Smith von seinem ursprünglich rein philo- sophischen, abstracten Standpunkt aus, den Bucle in seiner History of the Civilisation of England so wahr als den des schottischen Geistes bezeichnet, sein Werk über den Reichthum schrieb. Wie es Quesnay nicht eingefallen war, eine Nationalökonomie zu lehren, so fiel es Smith nicht ein, eine Verwaltungslehre zu schreiben. Und dennoch hat Quesnay einen entscheidenden Einfluß auf die Volkswirthschaft gehabt, und Adam Smith ist es, der der Verwaltung und der Verwaltungslehre zum Theil eine neue Gestalt gegeben hat. Sein ganzes Werk beginnt auf jedem Punkt mit den Principien der Volkswirthschaft, und endet mit den leitenden Grundsätzen für die Verwaltung. Selbst sein größter Gedanke, der des Freihandels, wird eine administrative Forderung. Es ist unmöglich, dieß Werk zu lesen, ohne das auf jeder Seite, in jedem seiner reichen Citate zu verkennen, wenn man weiß, was Verwaltung ist. Hat man aber den Begriff derselben nicht, oder fragt man nicht darnach, so ist es freilich auch klar, daß die Verwaltung, die sich so unbedingt der Nationalökonomie hingibt, dabei selbst nichts anderes werden kann als eben ein natürlicher Theil der Nationalökonomie. Und jenen Begriff hatte man eben nicht, als jene französisch-englische Be- wegung nach Deutschland kam. Es war im Anfang unseres Jahrhun- derts. Der Wohlfahrtsstaat war zu Grunde gegangen, der Rechtsstaat begann sich mit seiner vollen Gleichgültigkeit gegen die Verwaltung zu entwickeln; das Verwaltungsrecht, welches allein die Idee der letztern
Quesnay nicht eingefallen, ſeine Theorie um der Volkswirthſchaft willen aufzuſtellen. Er wollte vielmehr nur die Geſetze der Volkswirth- ſchaft als die einzige und wahre Grundlage für die Auf- gabe der Verwaltung darlegen. Der Reichthum und die Macht von König und Staat war der Zweck ſeiner Arbeiten, das Princip ſeiner Lehre, und nur dadurch wird ſie eigentlich verſtändlich. Es iſt nicht unſere Sache, dieß genauer aufzuführen. Wohl aber liegt der tiefe Unterſchied der damals noch herrſchenden eudämoniſtiſchen Staats- idee und ſeiner Schule klar genug vor. Dieſe ſucht die Wohlfahrt in einer abſtracten Idee der ſittlichen Vollendung des Menſchen; die Phyſio- kraten ſind die erſten, welche die Begründung derſelben durch die Geſetze der Volkswirthſchaft ſyſtematiſch entwickelten. Mag man ſonſt über ihre Meinungen und Lehren denken, wie man will, auf dieſem Punkte haben ſie gewaltige Bahn gebrochen. Durch ſie iſt die Verſchmelzung der ſyſtematiſchen Volkswirthſchaftslehre zu einer hundert Jahre hindurch in Europa herrſchenden Thatſache geworden. Wenn Europa auch nicht ihre Theorie annahm, das Ziel derſelben ward allenthalben angenommen. Und dieſe Richtung kam nun zum ent- ſcheidenden Siege, als Adam Smith von ſeinem urſprünglich rein philo- ſophiſchen, abſtracten Standpunkt aus, den Bucle in ſeiner History of the Civilisation of England ſo wahr als den des ſchottiſchen Geiſtes bezeichnet, ſein Werk über den Reichthum ſchrieb. Wie es Quesnay nicht eingefallen war, eine Nationalökonomie zu lehren, ſo fiel es Smith nicht ein, eine Verwaltungslehre zu ſchreiben. Und dennoch hat Quesnay einen entſcheidenden Einfluß auf die Volkswirthſchaft gehabt, und Adam Smith iſt es, der der Verwaltung und der Verwaltungslehre zum Theil eine neue Geſtalt gegeben hat. Sein ganzes Werk beginnt auf jedem Punkt mit den Principien der Volkswirthſchaft, und endet mit den leitenden Grundſätzen für die Verwaltung. Selbſt ſein größter Gedanke, der des Freihandels, wird eine adminiſtrative Forderung. Es iſt unmöglich, dieß Werk zu leſen, ohne das auf jeder Seite, in jedem ſeiner reichen Citate zu verkennen, wenn man weiß, was Verwaltung iſt. Hat man aber den Begriff derſelben nicht, oder fragt man nicht darnach, ſo iſt es freilich auch klar, daß die Verwaltung, die ſich ſo unbedingt der Nationalökonomie hingibt, dabei ſelbſt nichts anderes werden kann als eben ein natürlicher Theil der Nationalökonomie. Und jenen Begriff hatte man eben nicht, als jene franzöſiſch-engliſche Be- wegung nach Deutſchland kam. Es war im Anfang unſeres Jahrhun- derts. Der Wohlfahrtsſtaat war zu Grunde gegangen, der Rechtsſtaat begann ſich mit ſeiner vollen Gleichgültigkeit gegen die Verwaltung zu entwickeln; das Verwaltungsrecht, welches allein die Idee der letztern
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Quesnay nicht eingefallen, ſeine Theorie um der Volkswirthſchaft willen
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gabe der Verwaltung darlegen. Der Reichthum und die Macht
von König und Staat war der Zweck ſeiner Arbeiten, das Princip
ſeiner Lehre, und nur dadurch wird ſie eigentlich verſtändlich. Es iſt
nicht unſere Sache, dieß genauer aufzuführen. Wohl aber liegt der
tiefe Unterſchied der damals noch herrſchenden eudämoniſtiſchen Staats-
idee und ſeiner Schule klar genug vor. Dieſe ſucht die Wohlfahrt in
einer abſtracten Idee der ſittlichen Vollendung des Menſchen; die Phyſio-
kraten ſind die erſten, welche die Begründung derſelben durch
die Geſetze der Volkswirthſchaft ſyſtematiſch entwickelten. Mag
man ſonſt über ihre Meinungen und Lehren denken, wie man will, auf
dieſem Punkte haben ſie gewaltige Bahn gebrochen. Durch ſie iſt die
Verſchmelzung der ſyſtematiſchen Volkswirthſchaftslehre zu einer hundert
Jahre hindurch in Europa herrſchenden Thatſache geworden. Wenn
Europa auch nicht ihre Theorie annahm, das Ziel derſelben ward
allenthalben angenommen. Und dieſe Richtung kam nun zum ent-
ſcheidenden Siege, als Adam Smith von ſeinem urſprünglich rein philo-
ſophiſchen, abſtracten Standpunkt aus, den Bucle in ſeiner History
of the Civilisation of England ſo wahr als den des ſchottiſchen Geiſtes
bezeichnet, ſein Werk über den Reichthum ſchrieb. Wie es Quesnay
nicht eingefallen war, eine Nationalökonomie zu lehren, ſo fiel es Smith
nicht ein, eine Verwaltungslehre zu ſchreiben. Und dennoch hat Quesnay
einen entſcheidenden Einfluß auf die Volkswirthſchaft gehabt, und Adam
Smith iſt es, der der Verwaltung und der Verwaltungslehre zum Theil
eine neue Geſtalt gegeben hat. Sein ganzes Werk beginnt auf jedem
Punkt mit den Principien der Volkswirthſchaft, und endet mit den
leitenden Grundſätzen für die Verwaltung. Selbſt ſein größter
Gedanke, der des Freihandels, wird eine adminiſtrative Forderung. Es
iſt unmöglich, dieß Werk zu leſen, ohne das auf jeder Seite, in jedem
ſeiner reichen Citate zu verkennen, wenn man weiß, was Verwaltung
iſt. Hat man aber den Begriff derſelben nicht, oder fragt man
nicht darnach, ſo iſt es freilich auch klar, daß die Verwaltung, die ſich
ſo unbedingt der Nationalökonomie hingibt, dabei ſelbſt nichts anderes
werden kann als eben ein natürlicher Theil der Nationalökonomie. Und
jenen Begriff hatte man eben nicht, als jene franzöſiſch-engliſche Be-
wegung nach Deutſchland kam. Es war im Anfang unſeres Jahrhun-
derts. Der Wohlfahrtsſtaat war zu Grunde gegangen, der Rechtsſtaat
begann ſich mit ſeiner vollen Gleichgültigkeit gegen die Verwaltung zu
entwickeln; das Verwaltungsrecht, welches allein die Idee der letztern
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/62>, abgerufen am 09.11.2024.
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