diesen Cameralwissenschaften ein höchst werthvolles Stück der prak- tischen Verwaltungsaufgabe liege. Und so entstand die Richtung, in welcher die Frage nach Inhalt und Aufgabe der Verwaltung des Innern, die Frage nach demjenigen was der Staat für das Wohl der Staatsbürger zu thun habe, in ihrer positiven, mate- riellen Seite zum Theile eine Frage der Cameralwissenschaft ward. Die "Cameralia" wurden das zwar systemlose, ungeordnete, aber keines- wegs einflußlose Gebiet, in das die letzten Reste der Verwaltung des Innern fortlebten. Es ist von diesem, aber fast auch nur von diesem Gesichtspunkt von Interesse, die historische Entwicklung der Cameral- wissenschaften als den kindlichen, ungebildeten Träger der Theorie der innern Verwaltung zu verfolgen.
Allerdings nun würde zur gründlichen und umfassenden Darstellung dieses Theiles des wissenschaftlichen Lebens ein viel größerer Raum ge- hören, als wir daran zu wenden haben. Auch wird die Arbeit selbst erst dann rechten Werth gewinnen, wenn Begriff und Inhalt der Verwal- tung in der gesammten Staatsauffassung recht feststehen, und wir dürfen daher dieß ganze Gebiet berufenen Händen überlassen. Wir begnügen uns daher, Wesen und Werth dieser Richtung, und den Grund ihres Vorschreitens anzugeben.
Aus der reinen, materiellen Praxis entstanden, hatte diese ganze Richtung kaum die geringste Kenntniß einer höhern philosophischen Auf- fassung. Der Werth dessen was sie leistete, bestand ihr von vornherein in dem Preise, für den sie das Geleistete verkaufen konnte. Sie begrün- det nichts durch den Staatsbegriff, sie übernimmt keine wie immer ge- artete Verantwortlichkeit für eine Staatsidee, sie führt keinen ihrer Sätze auf das Wesen des Staats zurück. Es fehlt ihr namentlich jener Schwung, jene Wärme der wahren Wissenschaft, die selbst die trockene Wohlfahrts- idee sich bewahrt hatte. Sie ist daher genau im Einzelnen, aber gleich- gültig für das Ganze. Sie hat nicht nur kein System, sie hat auch kein Bedürfniß nach demselben; ja es ist ihr ein solches unbequem, da sie es nicht zu verwenden wüßte, während sie doch bis zu einem ge- wissen Grade von ihm beherrscht und bestimmt wäre. Sie ist deßhalb zum Theil geradezu negativ gegen dasselbe, und in ihren spätern, theils auch gegenwärtigen Formationen wird sie sogar negativ gegen jede, auf das höhere Leben und Wesen des Staats gerichtete Anschauung, die sich in der Verwaltung Bahn brechen will. Sie ist die rein mate- rielle, die eigentlich realistische Methode der Staatsverwaltung. Nun hat zwar jedes an irgend einem Orte seinen Platz und Werth; aber ohne einen Staatsbegriff kann auch im Gebiete dieser Lehre denn doch auf die Dauer dem wirklichen Staate so wenig als der Wissenschaft
dieſen Cameralwiſſenſchaften ein höchſt werthvolles Stück der prak- tiſchen Verwaltungsaufgabe liege. Und ſo entſtand die Richtung, in welcher die Frage nach Inhalt und Aufgabe der Verwaltung des Innern, die Frage nach demjenigen was der Staat für das Wohl der Staatsbürger zu thun habe, in ihrer poſitiven, mate- riellen Seite zum Theile eine Frage der Cameralwiſſenſchaft ward. Die „Cameralia“ wurden das zwar ſyſtemloſe, ungeordnete, aber keines- wegs einflußloſe Gebiet, in das die letzten Reſte der Verwaltung des Innern fortlebten. Es iſt von dieſem, aber faſt auch nur von dieſem Geſichtspunkt von Intereſſe, die hiſtoriſche Entwicklung der Cameral- wiſſenſchaften als den kindlichen, ungebildeten Träger der Theorie der innern Verwaltung zu verfolgen.
Allerdings nun würde zur gründlichen und umfaſſenden Darſtellung dieſes Theiles des wiſſenſchaftlichen Lebens ein viel größerer Raum ge- hören, als wir daran zu wenden haben. Auch wird die Arbeit ſelbſt erſt dann rechten Werth gewinnen, wenn Begriff und Inhalt der Verwal- tung in der geſammten Staatsauffaſſung recht feſtſtehen, und wir dürfen daher dieß ganze Gebiet berufenen Händen überlaſſen. Wir begnügen uns daher, Weſen und Werth dieſer Richtung, und den Grund ihres Vorſchreitens anzugeben.
Aus der reinen, materiellen Praxis entſtanden, hatte dieſe ganze Richtung kaum die geringſte Kenntniß einer höhern philoſophiſchen Auf- faſſung. Der Werth deſſen was ſie leiſtete, beſtand ihr von vornherein in dem Preiſe, für den ſie das Geleiſtete verkaufen konnte. Sie begrün- det nichts durch den Staatsbegriff, ſie übernimmt keine wie immer ge- artete Verantwortlichkeit für eine Staatsidee, ſie führt keinen ihrer Sätze auf das Weſen des Staats zurück. Es fehlt ihr namentlich jener Schwung, jene Wärme der wahren Wiſſenſchaft, die ſelbſt die trockene Wohlfahrts- idee ſich bewahrt hatte. Sie iſt daher genau im Einzelnen, aber gleich- gültig für das Ganze. Sie hat nicht nur kein Syſtem, ſie hat auch kein Bedürfniß nach demſelben; ja es iſt ihr ein ſolches unbequem, da ſie es nicht zu verwenden wüßte, während ſie doch bis zu einem ge- wiſſen Grade von ihm beherrſcht und beſtimmt wäre. Sie iſt deßhalb zum Theil geradezu negativ gegen daſſelbe, und in ihren ſpätern, theils auch gegenwärtigen Formationen wird ſie ſogar negativ gegen jede, auf das höhere Leben und Weſen des Staats gerichtete Anſchauung, die ſich in der Verwaltung Bahn brechen will. Sie iſt die rein mate- rielle, die eigentlich realiſtiſche Methode der Staatsverwaltung. Nun hat zwar jedes an irgend einem Orte ſeinen Platz und Werth; aber ohne einen Staatsbegriff kann auch im Gebiete dieſer Lehre denn doch auf die Dauer dem wirklichen Staate ſo wenig als der Wiſſenſchaft
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[32/0054]
dieſen Cameralwiſſenſchaften ein höchſt werthvolles Stück der prak-
tiſchen Verwaltungsaufgabe liege. Und ſo entſtand die Richtung,
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des Innern, die Frage nach demjenigen was der Staat für das
Wohl der Staatsbürger zu thun habe, in ihrer poſitiven, mate-
riellen Seite zum Theile eine Frage der Cameralwiſſenſchaft ward.
Die „Cameralia“ wurden das zwar ſyſtemloſe, ungeordnete, aber keines-
wegs einflußloſe Gebiet, in das die letzten Reſte der Verwaltung des
Innern fortlebten. Es iſt von dieſem, aber faſt auch nur von dieſem
Geſichtspunkt von Intereſſe, die hiſtoriſche Entwicklung der Cameral-
wiſſenſchaften als den kindlichen, ungebildeten Träger der Theorie der
innern Verwaltung zu verfolgen.
Allerdings nun würde zur gründlichen und umfaſſenden Darſtellung
dieſes Theiles des wiſſenſchaftlichen Lebens ein viel größerer Raum ge-
hören, als wir daran zu wenden haben. Auch wird die Arbeit ſelbſt
erſt dann rechten Werth gewinnen, wenn Begriff und Inhalt der Verwal-
tung in der geſammten Staatsauffaſſung recht feſtſtehen, und wir dürfen
daher dieß ganze Gebiet berufenen Händen überlaſſen. Wir begnügen
uns daher, Weſen und Werth dieſer Richtung, und den Grund ihres
Vorſchreitens anzugeben.
Aus der reinen, materiellen Praxis entſtanden, hatte dieſe ganze
Richtung kaum die geringſte Kenntniß einer höhern philoſophiſchen Auf-
faſſung. Der Werth deſſen was ſie leiſtete, beſtand ihr von vornherein
in dem Preiſe, für den ſie das Geleiſtete verkaufen konnte. Sie begrün-
det nichts durch den Staatsbegriff, ſie übernimmt keine wie immer ge-
artete Verantwortlichkeit für eine Staatsidee, ſie führt keinen ihrer Sätze
auf das Weſen des Staats zurück. Es fehlt ihr namentlich jener Schwung,
jene Wärme der wahren Wiſſenſchaft, die ſelbſt die trockene Wohlfahrts-
idee ſich bewahrt hatte. Sie iſt daher genau im Einzelnen, aber gleich-
gültig für das Ganze. Sie hat nicht nur kein Syſtem, ſie hat auch
kein Bedürfniß nach demſelben; ja es iſt ihr ein ſolches unbequem, da
ſie es nicht zu verwenden wüßte, während ſie doch bis zu einem ge-
wiſſen Grade von ihm beherrſcht und beſtimmt wäre. Sie iſt deßhalb
zum Theil geradezu negativ gegen daſſelbe, und in ihren ſpätern, theils
auch gegenwärtigen Formationen wird ſie ſogar negativ gegen jede,
auf das höhere Leben und Weſen des Staats gerichtete Anſchauung,
die ſich in der Verwaltung Bahn brechen will. Sie iſt die rein mate-
rielle, die eigentlich realiſtiſche Methode der Staatsverwaltung.
Nun hat zwar jedes an irgend einem Orte ſeinen Platz und Werth;
aber ohne einen Staatsbegriff kann auch im Gebiete dieſer Lehre denn
doch auf die Dauer dem wirklichen Staate ſo wenig als der Wiſſenſchaft
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/54>, abgerufen am 24.02.2025.
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