Persönlichkeit zu suchen; aber es ist jedenfalls nicht richtig, wenn Mohl und Funk jenen bezeichnenden Unterschied ganz zu übergehen. Während nun diese beiden Männer die Mitte des vorigen Jahrhunderts beherrschen, tritt am Ende desselben eine dritte bedeutende wissenschaftliche Erschei- nung auf, die den Uebergang zu der folgenden Epoche des Rechtsstaats bildet und die erste abschließt. Das ist Günther Heinrich von Berg, ein Mann, ohne dessen Werk eine Geschichte der Polizei und der Polizeiwissenschaft nicht denkbar ist, und der nach Gelehrsamkeit und Geist als würdiger Nebenbuhler neben den Moser und Möser dieser Epoche steht. Berg ist der erste, und er ist bis jetzt darin nirgends übertroffen, der das positive Verwaltungsrecht vom allgemeinen Stand- punkt der eudämonistischen Weltanschauung zu verarbeiten unternahm, während er zugleich schon die große Frage der folgenden Epoche, wie weit denn das Recht der "Polizei" gehe, mit in seine Arbeit aufzuneh- men verstand. Er ist der Mann, der ernstlich die Untersuchung über das was "Polizei" ist, wissenschaftlich behandelt, und der daneben zuerst die Idee verfolgte, das gesammte geltende Verwaltungs- oder Polizeirecht Deutschlands als ein Ganzes darzustellen. Und das war denn zugleich der Grund, weßhalb seine Arbeit, obwohl in der Form eine freie und zum Theil mit der Beredsamkeit des Herzens geschriebene, und im Inhalt reicher, gelehrter und zuverlässiger als irgend eine andere, dennoch die Fähigkeit nicht besaß, die Grundlage einer neuen festen Ge- stalt der Verwaltungslehre zu werden. Denn Berg hatte keinen Be- griff vom Staat, sondern nur eine Uebersicht über die administrativen Aufgaben desselben. Er hält zwar das eudämonistische Princip fest, aber er hat, am Ende des vorigen Jahrhunderts schreibend, doch schon die Ueberzeugung gewonnen, daß es nicht ausreicht. Er weiß, daß der Staat sehr viel für das Wohl thun kann und soll; allein er beginnt auch schon zu erkennen, daß es vom Uebel ist, wenn er zu viel thut. Er hat daher keinen festen Leitfaden in der gewaltigen Masse des Stoffes, die ihm in allen möglichen Reichstagsabschieden, Gesetzen, Ver- ordnungen, Erlassen, entgegen kommt. Er fühlt, daß er das Princip der bisherigen bevormundenden Verwaltung erschüttert, aber er hat doch kein rechtes neues an seine Stelle zu setzen. Die eudämonistische Systematik ist durch die größeren Ideen der Kantschen Philosophie ab- geblaßt und zweifelhaft geworden, allein die letztere hatte dabei nicht die Fähigkeit ein neues System zu geben. Das eudämonistische Princip der Wohlfahrt des Staats war zu positiv; das neue des Rechtsstaats war für einen Mann der Verwaltung zu negativ. Jenes gab dem Staat zu viel Aufgaben, dieses gab ihm zu wenig. Er fürchtete das erstere im Namen der individuellen Freiheit, die er kennt und vertritt,
Perſönlichkeit zu ſuchen; aber es iſt jedenfalls nicht richtig, wenn Mohl und Funk jenen bezeichnenden Unterſchied ganz zu übergehen. Während nun dieſe beiden Männer die Mitte des vorigen Jahrhunderts beherrſchen, tritt am Ende deſſelben eine dritte bedeutende wiſſenſchaftliche Erſchei- nung auf, die den Uebergang zu der folgenden Epoche des Rechtsſtaats bildet und die erſte abſchließt. Das iſt Günther Heinrich von Berg, ein Mann, ohne deſſen Werk eine Geſchichte der Polizei und der Polizeiwiſſenſchaft nicht denkbar iſt, und der nach Gelehrſamkeit und Geiſt als würdiger Nebenbuhler neben den Moſer und Möſer dieſer Epoche ſteht. Berg iſt der erſte, und er iſt bis jetzt darin nirgends übertroffen, der das poſitive Verwaltungsrecht vom allgemeinen Stand- punkt der eudämoniſtiſchen Weltanſchauung zu verarbeiten unternahm, während er zugleich ſchon die große Frage der folgenden Epoche, wie weit denn das Recht der „Polizei“ gehe, mit in ſeine Arbeit aufzuneh- men verſtand. Er iſt der Mann, der ernſtlich die Unterſuchung über das was „Polizei“ iſt, wiſſenſchaftlich behandelt, und der daneben zuerſt die Idee verfolgte, das geſammte geltende Verwaltungs- oder Polizeirecht Deutſchlands als ein Ganzes darzuſtellen. Und das war denn zugleich der Grund, weßhalb ſeine Arbeit, obwohl in der Form eine freie und zum Theil mit der Beredſamkeit des Herzens geſchriebene, und im Inhalt reicher, gelehrter und zuverläſſiger als irgend eine andere, dennoch die Fähigkeit nicht beſaß, die Grundlage einer neuen feſten Ge- ſtalt der Verwaltungslehre zu werden. Denn Berg hatte keinen Be- griff vom Staat, ſondern nur eine Ueberſicht über die adminiſtrativen Aufgaben deſſelben. Er hält zwar das eudämoniſtiſche Princip feſt, aber er hat, am Ende des vorigen Jahrhunderts ſchreibend, doch ſchon die Ueberzeugung gewonnen, daß es nicht ausreicht. Er weiß, daß der Staat ſehr viel für das Wohl thun kann und ſoll; allein er beginnt auch ſchon zu erkennen, daß es vom Uebel iſt, wenn er zu viel thut. Er hat daher keinen feſten Leitfaden in der gewaltigen Maſſe des Stoffes, die ihm in allen möglichen Reichstagsabſchieden, Geſetzen, Ver- ordnungen, Erlaſſen, entgegen kommt. Er fühlt, daß er das Princip der bisherigen bevormundenden Verwaltung erſchüttert, aber er hat doch kein rechtes neues an ſeine Stelle zu ſetzen. Die eudämoniſtiſche Syſtematik iſt durch die größeren Ideen der Kantſchen Philoſophie ab- geblaßt und zweifelhaft geworden, allein die letztere hatte dabei nicht die Fähigkeit ein neues Syſtem zu geben. Das eudämoniſtiſche Princip der Wohlfahrt des Staats war zu poſitiv; das neue des Rechtsſtaats war für einen Mann der Verwaltung zu negativ. Jenes gab dem Staat zu viel Aufgaben, dieſes gab ihm zu wenig. Er fürchtete das erſtere im Namen der individuellen Freiheit, die er kennt und vertritt,
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[16/0038]
Perſönlichkeit zu ſuchen; aber es iſt jedenfalls nicht richtig, wenn Mohl und
Funk jenen bezeichnenden Unterſchied ganz zu übergehen. Während nun
dieſe beiden Männer die Mitte des vorigen Jahrhunderts beherrſchen,
tritt am Ende deſſelben eine dritte bedeutende wiſſenſchaftliche Erſchei-
nung auf, die den Uebergang zu der folgenden Epoche des Rechtsſtaats
bildet und die erſte abſchließt. Das iſt Günther Heinrich von
Berg, ein Mann, ohne deſſen Werk eine Geſchichte der Polizei und der
Polizeiwiſſenſchaft nicht denkbar iſt, und der nach Gelehrſamkeit und
Geiſt als würdiger Nebenbuhler neben den Moſer und Möſer dieſer
Epoche ſteht. Berg iſt der erſte, und er iſt bis jetzt darin nirgends
übertroffen, der das poſitive Verwaltungsrecht vom allgemeinen Stand-
punkt der eudämoniſtiſchen Weltanſchauung zu verarbeiten unternahm,
während er zugleich ſchon die große Frage der folgenden Epoche, wie
weit denn das Recht der „Polizei“ gehe, mit in ſeine Arbeit aufzuneh-
men verſtand. Er iſt der Mann, der ernſtlich die Unterſuchung über
das was „Polizei“ iſt, wiſſenſchaftlich behandelt, und der daneben
zuerſt die Idee verfolgte, das geſammte geltende Verwaltungs- oder
Polizeirecht Deutſchlands als ein Ganzes darzuſtellen. Und das war
denn zugleich der Grund, weßhalb ſeine Arbeit, obwohl in der Form
eine freie und zum Theil mit der Beredſamkeit des Herzens geſchriebene,
und im Inhalt reicher, gelehrter und zuverläſſiger als irgend eine andere,
dennoch die Fähigkeit nicht beſaß, die Grundlage einer neuen feſten Ge-
ſtalt der Verwaltungslehre zu werden. Denn Berg hatte keinen Be-
griff vom Staat, ſondern nur eine Ueberſicht über die adminiſtrativen
Aufgaben deſſelben. Er hält zwar das eudämoniſtiſche Princip feſt,
aber er hat, am Ende des vorigen Jahrhunderts ſchreibend, doch ſchon
die Ueberzeugung gewonnen, daß es nicht ausreicht. Er weiß, daß der
Staat ſehr viel für das Wohl thun kann und ſoll; allein er beginnt
auch ſchon zu erkennen, daß es vom Uebel iſt, wenn er zu viel thut.
Er hat daher keinen feſten Leitfaden in der gewaltigen Maſſe des
Stoffes, die ihm in allen möglichen Reichstagsabſchieden, Geſetzen, Ver-
ordnungen, Erlaſſen, entgegen kommt. Er fühlt, daß er das Princip
der bisherigen bevormundenden Verwaltung erſchüttert, aber er hat
doch kein rechtes neues an ſeine Stelle zu ſetzen. Die eudämoniſtiſche
Syſtematik iſt durch die größeren Ideen der Kantſchen Philoſophie ab-
geblaßt und zweifelhaft geworden, allein die letztere hatte dabei nicht
die Fähigkeit ein neues Syſtem zu geben. Das eudämoniſtiſche Princip
der Wohlfahrt des Staats war zu poſitiv; das neue des Rechtsſtaats
war für einen Mann der Verwaltung zu negativ. Jenes gab dem
Staat zu viel Aufgaben, dieſes gab ihm zu wenig. Er fürchtete das
erſtere im Namen der individuellen Freiheit, die er kennt und vertritt,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/38>, abgerufen am 24.11.2024.
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