Armenordnung in seiner ohnehin nicht umsichtig angelegten Sammlung aufgenommen, ist nicht abzusehen.
Hannover. Während in Sachsen die freie örtliche Bewegung der Bevölkerung durch die Erhebung der Armengemeinde über die Orts- gemeinde ermöglicht worden ist, zeigt Hannover in einem höchst lehr- reichen Beispiel, wie die besten Intentionen der Regierung zu keinem rechten Resultat führen, so lange beide noch identisch sind. Es ist kein Zweifel, daß die Idee des Wohnorts oder Aufenthaltsgesetzes vom 6. Juli 1827 wie das Ausschreiben der Landdrostei Lüneburg vom 6. October 1840 ausdrücklich sagt, "auf Beförderung der Frei- zügigkeit" gerichtet war. Allein da die enge Ortsgemeinde zugleich Armengemeinde blieb, so entstanden beständige Streitigkeiten theils unter den Gemeinden, theils zwischen Einzelnen und Gemeinden, für welche dann der Grundsatz angenommen ward, daß das Recht des Auf- enthalts nicht von der Gemeinde, sondern von der polizeilichen Er- laubniß abhänge; die Armenzuständigkeit wird dann erst (wie in Sachsen) mit fünf Jahren erworben. Hat die Gemeinde Bedenken, so muß und kann sie dafür sorgen, daß der Betreffende vor Ablauf dieser Frist ausgewiesen werde, ein Verhältniß, in welchem die Elemente der Freiheit der Bewegung bei der Obrigkeit, die der Beschränkung bei den Gemeinden liegen. Uebrigens ist das Verhältniß in den verschiedenen Theilen des Königreichs hier wie an andern Punkten wieder sehr ver- schieden, was nicht bloß die Uebersicht für die Theorie, sondern auch die gute Verwaltung in der Praxis wesentlich erschwert. Weiske hat wunderlicher Weise als Quelle nichts anzuführen gewußt, als das Landesverfassungsgesetz vom 6. August 1840. Doch existirt eine ziemlich reiche Sammlung von Ekhardt, Gesetze, Verordnungen und Aus- schreiben für das Königreich Hannover, 1840, in 7 Bänden. Bitzers Darstellung (S. 216--226) übersieht die noch geltenden Verschiedenheiten. Das Ganze ist ein neuer Beweis von der bedeutsamen Thatsache, wie wenig die deutsche Staatswissenschaft von Deutschland weiß!
Wir würden jetzt gerne diese Aufzählung weiter auf die einzelnen Staaten ausdehnen. Allein theils scheinen uns die wichtigsten und herrschenden Modalitäten in dem Obigen erschöpft, theils stehen uns auch keine ausreichenden Quellen zu Gebote, da bekanntlich das innere Verwaltungsrecht der kleinen deutschen Bundesstaaten selten oder gar nicht bearbeitet ist. Nach dem was uns vorliegt, dürften die Grund- formen sowohl der Gemeindeangehörigkeit als der Armenangehörigkeit in dem eben Enthaltenen gegeben sein. Es bleiben uns daher nur zwei Wünsche übrig.
Der erste wäre der, daß wenn für die ausreichende Kunde des
Armenordnung in ſeiner ohnehin nicht umſichtig angelegten Sammlung aufgenommen, iſt nicht abzuſehen.
Hannover. Während in Sachſen die freie örtliche Bewegung der Bevölkerung durch die Erhebung der Armengemeinde über die Orts- gemeinde ermöglicht worden iſt, zeigt Hannover in einem höchſt lehr- reichen Beiſpiel, wie die beſten Intentionen der Regierung zu keinem rechten Reſultat führen, ſo lange beide noch identiſch ſind. Es iſt kein Zweifel, daß die Idee des Wohnorts oder Aufenthaltsgeſetzes vom 6. Juli 1827 wie das Ausſchreiben der Landdroſtei Lüneburg vom 6. October 1840 ausdrücklich ſagt, „auf Beförderung der Frei- zügigkeit“ gerichtet war. Allein da die enge Ortsgemeinde zugleich Armengemeinde blieb, ſo entſtanden beſtändige Streitigkeiten theils unter den Gemeinden, theils zwiſchen Einzelnen und Gemeinden, für welche dann der Grundſatz angenommen ward, daß das Recht des Auf- enthalts nicht von der Gemeinde, ſondern von der polizeilichen Er- laubniß abhänge; die Armenzuſtändigkeit wird dann erſt (wie in Sachſen) mit fünf Jahren erworben. Hat die Gemeinde Bedenken, ſo muß und kann ſie dafür ſorgen, daß der Betreffende vor Ablauf dieſer Friſt ausgewieſen werde, ein Verhältniß, in welchem die Elemente der Freiheit der Bewegung bei der Obrigkeit, die der Beſchränkung bei den Gemeinden liegen. Uebrigens iſt das Verhältniß in den verſchiedenen Theilen des Königreichs hier wie an andern Punkten wieder ſehr ver- ſchieden, was nicht bloß die Ueberſicht für die Theorie, ſondern auch die gute Verwaltung in der Praxis weſentlich erſchwert. Weiske hat wunderlicher Weiſe als Quelle nichts anzuführen gewußt, als das Landesverfaſſungsgeſetz vom 6. Auguſt 1840. Doch exiſtirt eine ziemlich reiche Sammlung von Ekhardt, Geſetze, Verordnungen und Aus- ſchreiben für das Königreich Hannover, 1840, in 7 Bänden. Bitzers Darſtellung (S. 216—226) überſieht die noch geltenden Verſchiedenheiten. Das Ganze iſt ein neuer Beweis von der bedeutſamen Thatſache, wie wenig die deutſche Staatswiſſenſchaft von Deutſchland weiß!
Wir würden jetzt gerne dieſe Aufzählung weiter auf die einzelnen Staaten ausdehnen. Allein theils ſcheinen uns die wichtigſten und herrſchenden Modalitäten in dem Obigen erſchöpft, theils ſtehen uns auch keine ausreichenden Quellen zu Gebote, da bekanntlich das innere Verwaltungsrecht der kleinen deutſchen Bundesſtaaten ſelten oder gar nicht bearbeitet iſt. Nach dem was uns vorliegt, dürften die Grund- formen ſowohl der Gemeindeangehörigkeit als der Armenangehörigkeit in dem eben Enthaltenen gegeben ſein. Es bleiben uns daher nur zwei Wünſche übrig.
Der erſte wäre der, daß wenn für die ausreichende Kunde des
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Armenordnung in ſeiner ohnehin nicht umſichtig angelegten Sammlung
aufgenommen, iſt nicht abzuſehen.
Hannover. Während in Sachſen die freie örtliche Bewegung
der Bevölkerung durch die Erhebung der Armengemeinde über die Orts-
gemeinde ermöglicht worden iſt, zeigt Hannover in einem höchſt lehr-
reichen Beiſpiel, wie die beſten Intentionen der Regierung zu keinem
rechten Reſultat führen, ſo lange beide noch identiſch ſind. Es iſt kein
Zweifel, daß die Idee des Wohnorts oder Aufenthaltsgeſetzes
vom 6. Juli 1827 wie das Ausſchreiben der Landdroſtei Lüneburg
vom 6. October 1840 ausdrücklich ſagt, „auf Beförderung der Frei-
zügigkeit“ gerichtet war. Allein da die enge Ortsgemeinde zugleich
Armengemeinde blieb, ſo entſtanden beſtändige Streitigkeiten theils
unter den Gemeinden, theils zwiſchen Einzelnen und Gemeinden, für
welche dann der Grundſatz angenommen ward, daß das Recht des Auf-
enthalts nicht von der Gemeinde, ſondern von der polizeilichen Er-
laubniß abhänge; die Armenzuſtändigkeit wird dann erſt (wie in
Sachſen) mit fünf Jahren erworben. Hat die Gemeinde Bedenken, ſo
muß und kann ſie dafür ſorgen, daß der Betreffende vor Ablauf dieſer
Friſt ausgewieſen werde, ein Verhältniß, in welchem die Elemente
der Freiheit der Bewegung bei der Obrigkeit, die der Beſchränkung bei
den Gemeinden liegen. Uebrigens iſt das Verhältniß in den verſchiedenen
Theilen des Königreichs hier wie an andern Punkten wieder ſehr ver-
ſchieden, was nicht bloß die Ueberſicht für die Theorie, ſondern auch
die gute Verwaltung in der Praxis weſentlich erſchwert. Weiske hat
wunderlicher Weiſe als Quelle nichts anzuführen gewußt, als das
Landesverfaſſungsgeſetz vom 6. Auguſt 1840. Doch exiſtirt eine ziemlich
reiche Sammlung von Ekhardt, Geſetze, Verordnungen und Aus-
ſchreiben für das Königreich Hannover, 1840, in 7 Bänden. Bitzers
Darſtellung (S. 216—226) überſieht die noch geltenden Verſchiedenheiten.
Das Ganze iſt ein neuer Beweis von der bedeutſamen Thatſache, wie
wenig die deutſche Staatswiſſenſchaft von Deutſchland weiß!
Wir würden jetzt gerne dieſe Aufzählung weiter auf die einzelnen
Staaten ausdehnen. Allein theils ſcheinen uns die wichtigſten und
herrſchenden Modalitäten in dem Obigen erſchöpft, theils ſtehen uns
auch keine ausreichenden Quellen zu Gebote, da bekanntlich das innere
Verwaltungsrecht der kleinen deutſchen Bundesſtaaten ſelten oder gar
nicht bearbeitet iſt. Nach dem was uns vorliegt, dürften die Grund-
formen ſowohl der Gemeindeangehörigkeit als der Armenangehörigkeit
in dem eben Enthaltenen gegeben ſein. Es bleiben uns daher nur
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/374>, abgerufen am 16.07.2024.
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