obrigkeitliche Recht bedingt worden ist, das unseres Wissens in keinem andern Staate existirt. Jedenfalls ist im neuen Gesetz festgehalten, daß diese Ertheilung des Erwerbs des Heimathsrechts von Seiten der Obrigkeit nur unter Zustimmung der Organe der Heimathsgemeinde geschehen darf (§. 8). Der §. 9 und folgende bestimmten die Gesichtspunkte, welche für den Zweifel über das Eintreten der natürlichen Heimath (Ge- burt, Ehe u. s. w.) entscheiden müssen. Diese Bestimmungen sind aller- dings sehr genau ausgeführt, und ist namentlich die Sammlung der betreffenden Entscheidungen bei Funke (Bd. II. S. 284 ff.) ein Be- weis, daß die Beamteten das ihnen zustehende Recht mit großer Ge- wissenhaftigkeit anwenden. Unbedingt wird das Heimathsrecht durch fünfjährige Ansässigkeit (§. 8) erworben. Damit war für Sachsen jene Angst der Ortsgemeinde, als Armengemeinde die Unterstützungs- pflicht übernehmen zu müssen, gebrochen, und so wird es erklärlich, daß Sachsen neben der größten Freiheit in der örtlichen Bewegung zugleich die beste Armenverwaltung haben konnte, die wir in Deutschland kennen. Dieselbe gewann ihre definitive Gestalt durch das Gesetz vom 22. October 1840. Es ist nicht unsere Sache, hier auf dieselbe ein- zugehen. Allein gerade durch diese Armenordnung ward es klar, daß eine tüchtige Armenverwaltung ohne das Aufstellen von Armengemeinden nicht zu erreichen ist, während die letztern, wie Sachsen zeigt, allein im Stande sind, die große Unterscheidung zwischen der persönlichen und wirthschaftlichen Armuth, der Armuth erwerbsunfähiger und er- werbsfähiger Personen, auch in der Verwaltung durchzuführen, ein Grundsatz, auf dem unserer innigsten Ueberzeugung nach allein ein zugleich rationelles und ausreichendes System der Armenpflege er- richtet werden wird. Hätte Bitzer seiner schweren Arbeit über Bezirks- armenhäuser und Zwangsarmenhäuser diese Unterscheidung zum Grunde gelegt, so würde er wohl noch Bedeutenderes geleistet haben. Was nun endlich das Recht der Niederlassung in dieser so gebildeten Armen- gemeinde betrifft, so hat das Heimathsgesetz dieselben in §. 17 im Geiste des früheren Rechts dahin bestimmt, daß "Niemandem die Niederlassung in irgend einem Heimathsbezirk (Armenverwaltungsgemeinde) versagt werden darf, der einen Heimathschein und einen Verhaltschein (daß innerhalb eines Jahres keine Ausweisung gegen ihn stattgefunden) be- sitzt, wobei jedoch die polizeiliche Ausweisung wegen bloßer Dienst- losigkeit keinen Grund abgeben soll, die Niederlassung zu verweigern. Vortrefflich sind dabei die Vorschriften über das Verhalten der Hospi- täler, Arbeitshäuser u. s. w. in der Armenordnung §. 59. Es muß der Darstellung des Armenwesens überlassen bleiben, hier genauer einzugehen. -- Warum Weiske nicht das Heimathsgesetz und die
obrigkeitliche Recht bedingt worden iſt, das unſeres Wiſſens in keinem andern Staate exiſtirt. Jedenfalls iſt im neuen Geſetz feſtgehalten, daß dieſe Ertheilung des Erwerbs des Heimathsrechts von Seiten der Obrigkeit nur unter Zuſtimmung der Organe der Heimathsgemeinde geſchehen darf (§. 8). Der §. 9 und folgende beſtimmten die Geſichtspunkte, welche für den Zweifel über das Eintreten der natürlichen Heimath (Ge- burt, Ehe u. ſ. w.) entſcheiden müſſen. Dieſe Beſtimmungen ſind aller- dings ſehr genau ausgeführt, und iſt namentlich die Sammlung der betreffenden Entſcheidungen bei Funke (Bd. II. S. 284 ff.) ein Be- weis, daß die Beamteten das ihnen zuſtehende Recht mit großer Ge- wiſſenhaftigkeit anwenden. Unbedingt wird das Heimathsrecht durch fünfjährige Anſäſſigkeit (§. 8) erworben. Damit war für Sachſen jene Angſt der Ortsgemeinde, als Armengemeinde die Unterſtützungs- pflicht übernehmen zu müſſen, gebrochen, und ſo wird es erklärlich, daß Sachſen neben der größten Freiheit in der örtlichen Bewegung zugleich die beſte Armenverwaltung haben konnte, die wir in Deutſchland kennen. Dieſelbe gewann ihre definitive Geſtalt durch das Geſetz vom 22. October 1840. Es iſt nicht unſere Sache, hier auf dieſelbe ein- zugehen. Allein gerade durch dieſe Armenordnung ward es klar, daß eine tüchtige Armenverwaltung ohne das Aufſtellen von Armengemeinden nicht zu erreichen iſt, während die letztern, wie Sachſen zeigt, allein im Stande ſind, die große Unterſcheidung zwiſchen der perſönlichen und wirthſchaftlichen Armuth, der Armuth erwerbsunfähiger und er- werbsfähiger Perſonen, auch in der Verwaltung durchzuführen, ein Grundſatz, auf dem unſerer innigſten Ueberzeugung nach allein ein zugleich rationelles und ausreichendes Syſtem der Armenpflege er- richtet werden wird. Hätte Bitzer ſeiner ſchweren Arbeit über Bezirks- armenhäuſer und Zwangsarmenhäuſer dieſe Unterſcheidung zum Grunde gelegt, ſo würde er wohl noch Bedeutenderes geleiſtet haben. Was nun endlich das Recht der Niederlaſſung in dieſer ſo gebildeten Armen- gemeinde betrifft, ſo hat das Heimathsgeſetz dieſelben in §. 17 im Geiſte des früheren Rechts dahin beſtimmt, daß „Niemandem die Niederlaſſung in irgend einem Heimathsbezirk (Armenverwaltungsgemeinde) verſagt werden darf, der einen Heimathſchein und einen Verhaltſchein (daß innerhalb eines Jahres keine Ausweiſung gegen ihn ſtattgefunden) be- ſitzt, wobei jedoch die polizeiliche Ausweiſung wegen bloßer Dienſt- loſigkeit keinen Grund abgeben ſoll, die Niederlaſſung zu verweigern. Vortrefflich ſind dabei die Vorſchriften über das Verhalten der Hoſpi- täler, Arbeitshäuſer u. ſ. w. in der Armenordnung §. 59. Es muß der Darſtellung des Armenweſens überlaſſen bleiben, hier genauer einzugehen. — Warum Weiske nicht das Heimathsgeſetz und die
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obrigkeitliche Recht bedingt worden iſt, das unſeres Wiſſens in keinem
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Ertheilung des Erwerbs des Heimathsrechts von Seiten der Obrigkeit
nur unter Zuſtimmung der Organe der Heimathsgemeinde geſchehen
darf (§. 8). Der §. 9 und folgende beſtimmten die Geſichtspunkte, welche
für den Zweifel über das Eintreten der natürlichen Heimath (Ge-
burt, Ehe u. ſ. w.) entſcheiden müſſen. Dieſe Beſtimmungen ſind aller-
dings ſehr genau ausgeführt, und iſt namentlich die Sammlung der
betreffenden Entſcheidungen bei Funke (Bd. II. S. 284 ff.) ein Be-
weis, daß die Beamteten das ihnen zuſtehende Recht mit großer Ge-
wiſſenhaftigkeit anwenden. Unbedingt wird das Heimathsrecht durch
fünfjährige Anſäſſigkeit (§. 8) erworben. Damit war für Sachſen
jene Angſt der Ortsgemeinde, als Armengemeinde die Unterſtützungs-
pflicht übernehmen zu müſſen, gebrochen, und ſo wird es erklärlich, daß
Sachſen neben der größten Freiheit in der örtlichen Bewegung zugleich
die beſte Armenverwaltung haben konnte, die wir in Deutſchland
kennen. Dieſelbe gewann ihre definitive Geſtalt durch das Geſetz vom
22. October 1840. Es iſt nicht unſere Sache, hier auf dieſelbe ein-
zugehen. Allein gerade durch dieſe Armenordnung ward es klar, daß
eine tüchtige Armenverwaltung ohne das Aufſtellen von Armengemeinden
nicht zu erreichen iſt, während die letztern, wie Sachſen zeigt, allein
im Stande ſind, die große Unterſcheidung zwiſchen der perſönlichen und
wirthſchaftlichen Armuth, der Armuth erwerbsunfähiger und er-
werbsfähiger Perſonen, auch in der Verwaltung durchzuführen,
ein Grundſatz, auf dem unſerer innigſten Ueberzeugung nach allein
ein zugleich rationelles und ausreichendes Syſtem der Armenpflege er-
richtet werden wird. Hätte Bitzer ſeiner ſchweren Arbeit über Bezirks-
armenhäuſer und Zwangsarmenhäuſer dieſe Unterſcheidung zum Grunde
gelegt, ſo würde er wohl noch Bedeutenderes geleiſtet haben. Was nun
endlich das Recht der Niederlaſſung in dieſer ſo gebildeten Armen-
gemeinde betrifft, ſo hat das Heimathsgeſetz dieſelben in §. 17 im Geiſte
des früheren Rechts dahin beſtimmt, daß „Niemandem die Niederlaſſung
in irgend einem Heimathsbezirk (Armenverwaltungsgemeinde) verſagt
werden darf, der einen Heimathſchein und einen Verhaltſchein (daß
innerhalb eines Jahres keine Ausweiſung gegen ihn ſtattgefunden) be-
ſitzt, wobei jedoch die polizeiliche Ausweiſung wegen bloßer Dienſt-
loſigkeit keinen Grund abgeben ſoll, die Niederlaſſung zu verweigern.
Vortrefflich ſind dabei die Vorſchriften über das Verhalten der Hoſpi-
täler, Arbeitshäuſer u. ſ. w. in der Armenordnung §. 59. Es muß
der Darſtellung des Armenweſens überlaſſen bleiben, hier genauer
einzugehen. — Warum Weiske nicht das Heimathsgeſetz und die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/373>, abgerufen am 26.11.2024.
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