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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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gar keine feste juristische Substanz darbietet, so weit es sich nicht um
Vertheilung der Gemeindegründe, die aber ja vorübergehend ist, um
das Gemeindebürgerrecht, das aber nur den Antheil an der Verfassung der
Gemeinde bildet, und das Heimathswesen handelt. Auch hier herrschte daher
das einfache deutsche Princip, die Ortsgemeinde oder Armenverwaltungs-
gemeinde zu erhalten, und daher mit der Ansässigmachung den Erwerb
des Heimathsrechts, also die Armenzuständigkeit zu verbinden. Nun
hatte die Verordnung vom 17. November 1816 das Armenwesen ge-
ordnet, und die Unterstützung unbedingt der Ortsgemeinde überwiesen,
während die Aufnahme in die letztere ihr selbst zwar für das Bürger-
recht, nicht aber für das Schutzrecht
, also nicht für das Hei-
mathsrecht, belassen war. Die Folge war, daß die Gemeinden jetzt,
um durch das Schutzbürgerthum, dessen Erwerb von ihnen nicht ab-
hängig war, sich nicht eine unbestimmte Masse von Verpflichtungen auf-
zuladen, anfingen gegen die freie Niederlassung als solche zu kämpfen
und daß dadurch zugleich das Heimathsrecht in Frage kam. Die Re-
gierung ward dadurch gezwungen, neben der Gemeindeordnung und dem
Armenpflegerecht noch ein Gesetz über das Heimathsrecht (vom
11. September 1825) zu erlassen, dessen Grundgedanke es war, die
Armenzuständigkeit mit der Angehörigkeit an die Gemeinde allerdings
zu identificiren. Das war an sich recht gut, allein das Heimathsgesetz
bestimmte, daß das Heimathsrecht und also die mit ihm jetzt identische
Armenzuständigkeit durch die erlangte Ansässigkeit erworben werde,
und jetzt concentrirte sich daher die Frage darin, wann eben diese An-
sässigkeit erworben sein solle
. Diese Frage, immer die Kern-
frage im ganzen Heimathrecht, erzeugte demnach ein neues Gesetz über
die Ansässigmachung und Verehelichung
, das mit der General-
ordnung von 1834 zugleich revidirt ward, und bei Weiske der letztern
hinzugefügt ist. Nach diesem letzteren Gesetz erscheint nun das eigen-
thümliche Verhältniß, daß die Ansässigmachung in Bayern nicht bloß
dieselben, sondern noch größere Schwierigkeiten hat als der Er-
werb des Gemeindebürgerrechts, indem dieselbe von den "Vorbedingun-
gen" des "guten Leumunds" und sogar der Vollendung des "vorschrift-
mäßigen Schulbesuchs" abhängen soll! (§. 1.) Man sieht ganz deutlich
die Kleinlichkeit und Hartnäckigkeit des Kampfes der Gemeinden gegen
die Uebernahme der Armenzuständigkeit vermöge der Niederlassung, deren
Folge dann wieder im Aufhören der freien Bewegung der Bevölkerung
mit all ihnen nicht günstigen Consequenzen ist. Und doch beruht dieß
ganze System auf dem Grundsatz, daß die Ortsgemeinde zugleich die
Verwaltungsgemeinde des Armenwesens (Armengemeinde) sein soll, was
weder dem großen Unterschiede in der Größe und dem Besitz der

gar keine feſte juriſtiſche Subſtanz darbietet, ſo weit es ſich nicht um
Vertheilung der Gemeindegründe, die aber ja vorübergehend iſt, um
das Gemeindebürgerrecht, das aber nur den Antheil an der Verfaſſung der
Gemeinde bildet, und das Heimathsweſen handelt. Auch hier herrſchte daher
das einfache deutſche Princip, die Ortsgemeinde oder Armenverwaltungs-
gemeinde zu erhalten, und daher mit der Anſäſſigmachung den Erwerb
des Heimathsrechts, alſo die Armenzuſtändigkeit zu verbinden. Nun
hatte die Verordnung vom 17. November 1816 das Armenweſen ge-
ordnet, und die Unterſtützung unbedingt der Ortsgemeinde überwieſen,
während die Aufnahme in die letztere ihr ſelbſt zwar für das Bürger-
recht, nicht aber für das Schutzrecht
, alſo nicht für das Hei-
mathsrecht, belaſſen war. Die Folge war, daß die Gemeinden jetzt,
um durch das Schutzbürgerthum, deſſen Erwerb von ihnen nicht ab-
hängig war, ſich nicht eine unbeſtimmte Maſſe von Verpflichtungen auf-
zuladen, anfingen gegen die freie Niederlaſſung als ſolche zu kämpfen
und daß dadurch zugleich das Heimathsrecht in Frage kam. Die Re-
gierung ward dadurch gezwungen, neben der Gemeindeordnung und dem
Armenpflegerecht noch ein Geſetz über das Heimathsrecht (vom
11. September 1825) zu erlaſſen, deſſen Grundgedanke es war, die
Armenzuſtändigkeit mit der Angehörigkeit an die Gemeinde allerdings
zu identificiren. Das war an ſich recht gut, allein das Heimathsgeſetz
beſtimmte, daß das Heimathsrecht und alſo die mit ihm jetzt identiſche
Armenzuſtändigkeit durch die erlangte Anſäſſigkeit erworben werde,
und jetzt concentrirte ſich daher die Frage darin, wann eben dieſe An-
ſäſſigkeit erworben ſein ſolle
. Dieſe Frage, immer die Kern-
frage im ganzen Heimathrecht, erzeugte demnach ein neues Geſetz über
die Anſäſſigmachung und Verehelichung
, das mit der General-
ordnung von 1834 zugleich revidirt ward, und bei Weiske der letztern
hinzugefügt iſt. Nach dieſem letzteren Geſetz erſcheint nun das eigen-
thümliche Verhältniß, daß die Anſäſſigmachung in Bayern nicht bloß
dieſelben, ſondern noch größere Schwierigkeiten hat als der Er-
werb des Gemeindebürgerrechts, indem dieſelbe von den „Vorbedingun-
gen“ des „guten Leumunds“ und ſogar der Vollendung des „vorſchrift-
mäßigen Schulbeſuchs“ abhängen ſoll! (§. 1.) Man ſieht ganz deutlich
die Kleinlichkeit und Hartnäckigkeit des Kampfes der Gemeinden gegen
die Uebernahme der Armenzuſtändigkeit vermöge der Niederlaſſung, deren
Folge dann wieder im Aufhören der freien Bewegung der Bevölkerung
mit all ihnen nicht günſtigen Conſequenzen iſt. Und doch beruht dieß
ganze Syſtem auf dem Grundſatz, daß die Ortsgemeinde zugleich die
Verwaltungsgemeinde des Armenweſens (Armengemeinde) ſein ſoll, was
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[346/0368] gar keine feſte juriſtiſche Subſtanz darbietet, ſo weit es ſich nicht um Vertheilung der Gemeindegründe, die aber ja vorübergehend iſt, um das Gemeindebürgerrecht, das aber nur den Antheil an der Verfaſſung der Gemeinde bildet, und das Heimathsweſen handelt. Auch hier herrſchte daher das einfache deutſche Princip, die Ortsgemeinde oder Armenverwaltungs- gemeinde zu erhalten, und daher mit der Anſäſſigmachung den Erwerb des Heimathsrechts, alſo die Armenzuſtändigkeit zu verbinden. Nun hatte die Verordnung vom 17. November 1816 das Armenweſen ge- ordnet, und die Unterſtützung unbedingt der Ortsgemeinde überwieſen, während die Aufnahme in die letztere ihr ſelbſt zwar für das Bürger- recht, nicht aber für das Schutzrecht, alſo nicht für das Hei- mathsrecht, belaſſen war. Die Folge war, daß die Gemeinden jetzt, um durch das Schutzbürgerthum, deſſen Erwerb von ihnen nicht ab- hängig war, ſich nicht eine unbeſtimmte Maſſe von Verpflichtungen auf- zuladen, anfingen gegen die freie Niederlaſſung als ſolche zu kämpfen und daß dadurch zugleich das Heimathsrecht in Frage kam. Die Re- gierung ward dadurch gezwungen, neben der Gemeindeordnung und dem Armenpflegerecht noch ein Geſetz über das Heimathsrecht (vom 11. September 1825) zu erlaſſen, deſſen Grundgedanke es war, die Armenzuſtändigkeit mit der Angehörigkeit an die Gemeinde allerdings zu identificiren. Das war an ſich recht gut, allein das Heimathsgeſetz beſtimmte, daß das Heimathsrecht und alſo die mit ihm jetzt identiſche Armenzuſtändigkeit durch die erlangte Anſäſſigkeit erworben werde, und jetzt concentrirte ſich daher die Frage darin, wann eben dieſe An- ſäſſigkeit erworben ſein ſolle. Dieſe Frage, immer die Kern- frage im ganzen Heimathrecht, erzeugte demnach ein neues Geſetz über die Anſäſſigmachung und Verehelichung, das mit der General- ordnung von 1834 zugleich revidirt ward, und bei Weiske der letztern hinzugefügt iſt. Nach dieſem letzteren Geſetz erſcheint nun das eigen- thümliche Verhältniß, daß die Anſäſſigmachung in Bayern nicht bloß dieſelben, ſondern noch größere Schwierigkeiten hat als der Er- werb des Gemeindebürgerrechts, indem dieſelbe von den „Vorbedingun- gen“ des „guten Leumunds“ und ſogar der Vollendung des „vorſchrift- mäßigen Schulbeſuchs“ abhängen ſoll! (§. 1.) Man ſieht ganz deutlich die Kleinlichkeit und Hartnäckigkeit des Kampfes der Gemeinden gegen die Uebernahme der Armenzuſtändigkeit vermöge der Niederlaſſung, deren Folge dann wieder im Aufhören der freien Bewegung der Bevölkerung mit all ihnen nicht günſtigen Conſequenzen iſt. Und doch beruht dieß ganze Syſtem auf dem Grundſatz, daß die Ortsgemeinde zugleich die Verwaltungsgemeinde des Armenweſens (Armengemeinde) ſein ſoll, was weder dem großen Unterſchiede in der Größe und dem Beſitz der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/368>, abgerufen am 26.11.2024.