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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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zur Verpflegung der Armen (ohne Unterschied) für die Ortsgemeinde.
Das Edikt vom 10. December 1720 führt die Geburtsheimath ein.
"Diese Armen- und Bettlerordnungen" sagt Bitzer S. 184 "hatten
überwiegend den Zweck, die Armen, namentlich die herumziehenden
Bettler, den bürgerlich kirchlichen Armenverbänden nach Grundsätzen
der ausgleichenden Gerechtigkeit zuzuweisen." Und so ist es
geblieben. Daß dabei eine große formale Klarheit gewonnen ward,
ist allerdings anzuerkennen; namentlich daß man sich bald darüber einig
ward, daß auch die "Gutsherrschaften" nichts anderes seien, als eine
bestimmte Form der Gemeinden und daher mit ihnen gleiche Verpflich-
tungen haben. Die nächste gleichfalls formale Folge war dann die,
daß die Gemeindeordnungen sich mit dem Armenwesen und speziell
mit dem Heimathsrecht gar nicht beschäftigen, sondern bei dem all-
gemeinen Begriff der "Mitglieder der Gemeinde" stehen blieben, wobei
dann die verschiedenen Systeme der Gemeindeordnungen verschiedene
Rechte haben. (Siehe Vollziehende Gewalt, Selbstverwaltungskörper
S. 431 ff., Rönne II. S. 428.) Bei einigen wird es jedoch ausdrück-
lich ausgesprochen, daß "in wiefern die Gemeinden einer anziehenden
Person die Niederlassung zu gestatten haben, nach den hierüber be-
stehenden besondern Vorschriften zu beurtheilen" sei. Westphälische
Land-Gemeinde-Ordnung §. 10. Weiske S. 14. Daraus entstand
dann das auch für die sonst so klare Gesetzgebung Preußens so uner-
quickliche Verhältniß, daß das Gemeindebürgerrecht und das Armen-
zuständigkeitsrecht zwar klar, das Recht der Niederlassung zum
Zweck der Erwerbung der gewerblichen Heimath
dagegen
im Grunde trotz des Gesetzes von 1842 eben so unsicher ist, als
im ganzen übrigen Deutschland (Rönne I. §. 90). -- Die natürliche
Folge der gänzlichen Abwesenheit eines Princips für die Armenverwal-
tung und für das damit unabänderlich verbundene Verhältniß von
Ortsgemeinde und Armengemeinde. Das schematische System der pfleg-
pflichtigen Ortsgemeinden, die also noch immer die Armenheimath sind,
hat sich dabei ziemlich festgestellt, namentlich nachdem die durch das
Landarmen-Reglement von 1797 begründeten und durch das Armen-
pflege-Gesetz
vom 31. December 1842 dann genauer ausgeführten
Landarmenverbände die Lücke in dem System der Armengemeinden
zwischen Dorf und Herrschaft formell ausgefüllt hatten. Was es darnach
mit dem abstrakt anerkannten, aber praktisch wieder in jedem einzelnen
Fall theils beschränkten, theils aufgehobenen Princip der Freizügig-
keit
auf sich hat, läßt sich leicht ermessen. Wir sind vollkommen außer
Stande, die Freizügigkeit mit der durch das Gesetz von 1842 erlassenen
Bestimmung zu vereinigen, daß diejenigen, welche nicht hinreichende

zur Verpflegung der Armen (ohne Unterſchied) für die Ortsgemeinde.
Das Edikt vom 10. December 1720 führt die Geburtsheimath ein.
„Dieſe Armen- und Bettlerordnungen“ ſagt Bitzer S. 184 „hatten
überwiegend den Zweck, die Armen, namentlich die herumziehenden
Bettler, den bürgerlich kirchlichen Armenverbänden nach Grundſätzen
der ausgleichenden Gerechtigkeit zuzuweiſen.“ Und ſo iſt es
geblieben. Daß dabei eine große formale Klarheit gewonnen ward,
iſt allerdings anzuerkennen; namentlich daß man ſich bald darüber einig
ward, daß auch die „Gutsherrſchaften“ nichts anderes ſeien, als eine
beſtimmte Form der Gemeinden und daher mit ihnen gleiche Verpflich-
tungen haben. Die nächſte gleichfalls formale Folge war dann die,
daß die Gemeindeordnungen ſich mit dem Armenweſen und ſpeziell
mit dem Heimathsrecht gar nicht beſchäftigen, ſondern bei dem all-
gemeinen Begriff der „Mitglieder der Gemeinde“ ſtehen blieben, wobei
dann die verſchiedenen Syſteme der Gemeindeordnungen verſchiedene
Rechte haben. (Siehe Vollziehende Gewalt, Selbſtverwaltungskörper
S. 431 ff., Rönne II. S. 428.) Bei einigen wird es jedoch ausdrück-
lich ausgeſprochen, daß „in wiefern die Gemeinden einer anziehenden
Perſon die Niederlaſſung zu geſtatten haben, nach den hierüber be-
ſtehenden beſondern Vorſchriften zu beurtheilen“ ſei. Weſtphäliſche
Land-Gemeinde-Ordnung §. 10. Weiske S. 14. Daraus entſtand
dann das auch für die ſonſt ſo klare Geſetzgebung Preußens ſo uner-
quickliche Verhältniß, daß das Gemeindebürgerrecht und das Armen-
zuſtändigkeitsrecht zwar klar, das Recht der Niederlaſſung zum
Zweck der Erwerbung der gewerblichen Heimath
dagegen
im Grunde trotz des Geſetzes von 1842 eben ſo unſicher iſt, als
im ganzen übrigen Deutſchland (Rönne I. §. 90). — Die natürliche
Folge der gänzlichen Abweſenheit eines Princips für die Armenverwal-
tung und für das damit unabänderlich verbundene Verhältniß von
Ortsgemeinde und Armengemeinde. Das ſchematiſche Syſtem der pfleg-
pflichtigen Ortsgemeinden, die alſo noch immer die Armenheimath ſind,
hat ſich dabei ziemlich feſtgeſtellt, namentlich nachdem die durch das
Landarmen-Reglement von 1797 begründeten und durch das Armen-
pflege-Geſetz
vom 31. December 1842 dann genauer ausgeführten
Landarmenverbände die Lücke in dem Syſtem der Armengemeinden
zwiſchen Dorf und Herrſchaft formell ausgefüllt hatten. Was es darnach
mit dem abſtrakt anerkannten, aber praktiſch wieder in jedem einzelnen
Fall theils beſchränkten, theils aufgehobenen Princip der Freizügig-
keit
auf ſich hat, läßt ſich leicht ermeſſen. Wir ſind vollkommen außer
Stande, die Freizügigkeit mit der durch das Geſetz von 1842 erlaſſenen
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[344/0366] zur Verpflegung der Armen (ohne Unterſchied) für die Ortsgemeinde. Das Edikt vom 10. December 1720 führt die Geburtsheimath ein. „Dieſe Armen- und Bettlerordnungen“ ſagt Bitzer S. 184 „hatten überwiegend den Zweck, die Armen, namentlich die herumziehenden Bettler, den bürgerlich kirchlichen Armenverbänden nach Grundſätzen der ausgleichenden Gerechtigkeit zuzuweiſen.“ Und ſo iſt es geblieben. Daß dabei eine große formale Klarheit gewonnen ward, iſt allerdings anzuerkennen; namentlich daß man ſich bald darüber einig ward, daß auch die „Gutsherrſchaften“ nichts anderes ſeien, als eine beſtimmte Form der Gemeinden und daher mit ihnen gleiche Verpflich- tungen haben. Die nächſte gleichfalls formale Folge war dann die, daß die Gemeindeordnungen ſich mit dem Armenweſen und ſpeziell mit dem Heimathsrecht gar nicht beſchäftigen, ſondern bei dem all- gemeinen Begriff der „Mitglieder der Gemeinde“ ſtehen blieben, wobei dann die verſchiedenen Syſteme der Gemeindeordnungen verſchiedene Rechte haben. (Siehe Vollziehende Gewalt, Selbſtverwaltungskörper S. 431 ff., Rönne II. S. 428.) Bei einigen wird es jedoch ausdrück- lich ausgeſprochen, daß „in wiefern die Gemeinden einer anziehenden Perſon die Niederlaſſung zu geſtatten haben, nach den hierüber be- ſtehenden beſondern Vorſchriften zu beurtheilen“ ſei. Weſtphäliſche Land-Gemeinde-Ordnung §. 10. Weiske S. 14. Daraus entſtand dann das auch für die ſonſt ſo klare Geſetzgebung Preußens ſo uner- quickliche Verhältniß, daß das Gemeindebürgerrecht und das Armen- zuſtändigkeitsrecht zwar klar, das Recht der Niederlaſſung zum Zweck der Erwerbung der gewerblichen Heimath dagegen im Grunde trotz des Geſetzes von 1842 eben ſo unſicher iſt, als im ganzen übrigen Deutſchland (Rönne I. §. 90). — Die natürliche Folge der gänzlichen Abweſenheit eines Princips für die Armenverwal- tung und für das damit unabänderlich verbundene Verhältniß von Ortsgemeinde und Armengemeinde. Das ſchematiſche Syſtem der pfleg- pflichtigen Ortsgemeinden, die alſo noch immer die Armenheimath ſind, hat ſich dabei ziemlich feſtgeſtellt, namentlich nachdem die durch das Landarmen-Reglement von 1797 begründeten und durch das Armen- pflege-Geſetz vom 31. December 1842 dann genauer ausgeführten Landarmenverbände die Lücke in dem Syſtem der Armengemeinden zwiſchen Dorf und Herrſchaft formell ausgefüllt hatten. Was es darnach mit dem abſtrakt anerkannten, aber praktiſch wieder in jedem einzelnen Fall theils beſchränkten, theils aufgehobenen Princip der Freizügig- keit auf ſich hat, läßt ſich leicht ermeſſen. Wir ſind vollkommen außer Stande, die Freizügigkeit mit der durch das Geſetz von 1842 erlaſſenen Beſtimmung zu vereinigen, daß diejenigen, welche nicht hinreichende

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/366>, abgerufen am 26.11.2024.