gemeinden eine eigene Gesetzgebung machen zu müssen, ohne doch eine eigene Verwaltung des Armenwesens herzustellen. Preußen hat dadurch dem durchgreifenden Charakter der deutschen Armenverwaltung in jenem nicht glücklichen Sinne entschieden, und es wird lange Zeit brauchen, ehe wir darüber hinauskommen. Sein Recht ist es, welches eben den charakteristischen Unterschied zwischen der englischen, französischen und deutschen Armenpflege constituirt, und bei welchem alle deutschen Staaten dann bis auf die allerneueste Zeit stehen geblieben sind. Aller- dings gehört die genauere Darstellung dieses Rechts der Lehre vom Armenwesen; allein das Princip desselben ist zugleich constitutiv für diesen ganzen Theil der administrativen Bevölkerung, und wir müssen es um so mehr hervorheben, als weder Döhl, noch selbst Rönne und Bitzer es erkannt haben. Der leitende Grundsatz der Armenverwaltung Preußens ist nämlich der, daß die Aufgabe der Verwaltung überhaupt in Be- ziehung auf das Armenwesen nicht weiter gehe, als bis zur ad- ministrativen Ueberweisung der Armen an die zur Unter- haltung derselben verpflichtete Ortsgemeinde. Wie sich die Ortsgemeinde dieser Pflicht entledigt, ist dann lediglich ihre eigene Sache. Die Staatsverwaltung kümmert sich darum nicht. Die Armengesetz- gebung hat es nach diesem preußischen Princip daher auch nur mit der Aufstellung derjenigen Grundsätze zu thun, vermöge deren die Armenzuständigkeit für die Ortsgemeinden geregelt werden soll. An der örtlichen Gränze der Gemeinde hört die Thätigkeit der Armen- verwaltung auf. Es ist keine Spur einer höheren socialen Auffassung, kein ethischer Anklang in diesen Gesetzen. Sie sind das erste System der Manipulation mit der Armenzuständigkeit, dem ganzen inneren Organismus des preußischen Staats entsprechend. Daher verstehen auch die preußischen Staatsrechtslehrer, wie Rönne und Döhl unter dem Armenwesen im Grunde nichts, als die Ordnung der Armenzustän- digkeit, und da ihnen gar nicht die Frage kommt, ob denn nicht Ver- waltung der Ortsgemeinde und der Armengemeinde möglicher Weise etwas Verschiedenes sein könnte, so sprechen sie gar nicht vom Armen- wesen, sondern nur von der Armenpflege, während sie andrerseits die Armenzuständigkeit an die Ortsgemeinde wieder ganz von der Gemeindeangehörigkeit und dem Gemeindewesen sondern. Preußens Armenpflegerecht ist ein Schematismus der zur Armenpflege Berechtigten und Verpflichteten, und es wird lange dauern, bis diese Auffassung selbst, und mit ihr die Organisation eine höhere und edlere werden wird. Diesen Charakter hat Preußens Heimaths- und Armenrecht schon von Anfang an. Das Edikt von 1696, die Armen- und Bettlerord- nung von 1701, die neue von 1708 enthalten die gesetzliche Verpflichtung
gemeinden eine eigene Geſetzgebung machen zu müſſen, ohne doch eine eigene Verwaltung des Armenweſens herzuſtellen. Preußen hat dadurch dem durchgreifenden Charakter der deutſchen Armenverwaltung in jenem nicht glücklichen Sinne entſchieden, und es wird lange Zeit brauchen, ehe wir darüber hinauskommen. Sein Recht iſt es, welches eben den charakteriſtiſchen Unterſchied zwiſchen der engliſchen, franzöſiſchen und deutſchen Armenpflege conſtituirt, und bei welchem alle deutſchen Staaten dann bis auf die allerneueſte Zeit ſtehen geblieben ſind. Aller- dings gehört die genauere Darſtellung dieſes Rechts der Lehre vom Armenweſen; allein das Princip deſſelben iſt zugleich conſtitutiv für dieſen ganzen Theil der adminiſtrativen Bevölkerung, und wir müſſen es um ſo mehr hervorheben, als weder Döhl, noch ſelbſt Rönne und Bitzer es erkannt haben. Der leitende Grundſatz der Armenverwaltung Preußens iſt nämlich der, daß die Aufgabe der Verwaltung überhaupt in Be- ziehung auf das Armenweſen nicht weiter gehe, als bis zur ad- miniſtrativen Ueberweiſung der Armen an die zur Unter- haltung derſelben verpflichtete Ortsgemeinde. Wie ſich die Ortsgemeinde dieſer Pflicht entledigt, iſt dann lediglich ihre eigene Sache. Die Staatsverwaltung kümmert ſich darum nicht. Die Armengeſetz- gebung hat es nach dieſem preußiſchen Princip daher auch nur mit der Aufſtellung derjenigen Grundſätze zu thun, vermöge deren die Armenzuſtändigkeit für die Ortsgemeinden geregelt werden ſoll. An der örtlichen Gränze der Gemeinde hört die Thätigkeit der Armen- verwaltung auf. Es iſt keine Spur einer höheren ſocialen Auffaſſung, kein ethiſcher Anklang in dieſen Geſetzen. Sie ſind das erſte Syſtem der Manipulation mit der Armenzuſtändigkeit, dem ganzen inneren Organismus des preußiſchen Staats entſprechend. Daher verſtehen auch die preußiſchen Staatsrechtslehrer, wie Rönne und Döhl unter dem Armenweſen im Grunde nichts, als die Ordnung der Armenzuſtän- digkeit, und da ihnen gar nicht die Frage kommt, ob denn nicht Ver- waltung der Ortsgemeinde und der Armengemeinde möglicher Weiſe etwas Verſchiedenes ſein könnte, ſo ſprechen ſie gar nicht vom Armen- weſen, ſondern nur von der Armenpflege, während ſie andrerſeits die Armenzuſtändigkeit an die Ortsgemeinde wieder ganz von der Gemeindeangehörigkeit und dem Gemeindeweſen ſondern. Preußens Armenpflegerecht iſt ein Schematismus der zur Armenpflege Berechtigten und Verpflichteten, und es wird lange dauern, bis dieſe Auffaſſung ſelbſt, und mit ihr die Organiſation eine höhere und edlere werden wird. Dieſen Charakter hat Preußens Heimaths- und Armenrecht ſchon von Anfang an. Das Edikt von 1696, die Armen- und Bettlerord- nung von 1701, die neue von 1708 enthalten die geſetzliche Verpflichtung
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gemeinden eine eigene Geſetzgebung machen zu müſſen, ohne doch
eine eigene Verwaltung des Armenweſens herzuſtellen. Preußen hat
dadurch dem durchgreifenden Charakter der deutſchen Armenverwaltung
in jenem nicht glücklichen Sinne entſchieden, und es wird lange Zeit
brauchen, ehe wir darüber hinauskommen. Sein Recht iſt es, welches
eben den charakteriſtiſchen Unterſchied zwiſchen der engliſchen, franzöſiſchen
und deutſchen Armenpflege conſtituirt, und bei welchem alle deutſchen
Staaten dann bis auf die allerneueſte Zeit ſtehen geblieben ſind. Aller-
dings gehört die genauere Darſtellung dieſes Rechts der Lehre vom
Armenweſen; allein das Princip deſſelben iſt zugleich conſtitutiv für dieſen
ganzen Theil der adminiſtrativen Bevölkerung, und wir müſſen es um
ſo mehr hervorheben, als weder Döhl, noch ſelbſt Rönne und Bitzer
es erkannt haben. Der leitende Grundſatz der Armenverwaltung Preußens
iſt nämlich der, daß die Aufgabe der Verwaltung überhaupt in Be-
ziehung auf das Armenweſen nicht weiter gehe, als bis zur ad-
miniſtrativen Ueberweiſung der Armen an die zur Unter-
haltung derſelben verpflichtete Ortsgemeinde. Wie ſich die
Ortsgemeinde dieſer Pflicht entledigt, iſt dann lediglich ihre eigene Sache.
Die Staatsverwaltung kümmert ſich darum nicht. Die Armengeſetz-
gebung hat es nach dieſem preußiſchen Princip daher auch nur mit
der Aufſtellung derjenigen Grundſätze zu thun, vermöge deren die
Armenzuſtändigkeit für die Ortsgemeinden geregelt werden ſoll.
An der örtlichen Gränze der Gemeinde hört die Thätigkeit der Armen-
verwaltung auf. Es iſt keine Spur einer höheren ſocialen Auffaſſung,
kein ethiſcher Anklang in dieſen Geſetzen. Sie ſind das erſte Syſtem
der Manipulation mit der Armenzuſtändigkeit, dem ganzen inneren
Organismus des preußiſchen Staats entſprechend. Daher verſtehen
auch die preußiſchen Staatsrechtslehrer, wie Rönne und Döhl unter
dem Armenweſen im Grunde nichts, als die Ordnung der Armenzuſtän-
digkeit, und da ihnen gar nicht die Frage kommt, ob denn nicht Ver-
waltung der Ortsgemeinde und der Armengemeinde möglicher Weiſe
etwas Verſchiedenes ſein könnte, ſo ſprechen ſie gar nicht vom Armen-
weſen, ſondern nur von der Armenpflege, während ſie andrerſeits
die Armenzuſtändigkeit an die Ortsgemeinde wieder ganz von der
Gemeindeangehörigkeit und dem Gemeindeweſen ſondern. Preußens
Armenpflegerecht iſt ein Schematismus der zur Armenpflege Berechtigten
und Verpflichteten, und es wird lange dauern, bis dieſe Auffaſſung
ſelbſt, und mit ihr die Organiſation eine höhere und edlere werden
wird. Dieſen Charakter hat Preußens Heimaths- und Armenrecht ſchon
von Anfang an. Das Edikt von 1696, die Armen- und Bettlerord-
nung von 1701, die neue von 1708 enthalten die geſetzliche Verpflichtung
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/365>, abgerufen am 26.11.2024.
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