der neuesten Zeit es dennoch gerade Deutschland ist, das sich von dem Rechtsprincip der ständischen Epoche bei weitem am wenigsten hat frei machen können. Wir sind aus einer Reihe von Gründen hier weit hinter England und Frankreich zurück, und müssen, um das zu bessern, damit beginnen, dieß anzuerkennen. Die ganze Summe von Unklar- heiten, an der die Theorie ihrerseits krankt, zeigt sich aber als eine ganz natürliche Folge des an sich widersprechenden Versuchs, Rechts- anschauungen verschiedener Perioden auf einfache Begriffe und Termi- nologien zurückzuführen. Das nun wird eben dadurch am deutlichsten, wenn man nicht mehr wie bisher das Recht der Competenzen, das Ge- meindebürgerrecht und das Heimathsrecht, als ganz selbständige und für sich zu betrachtende Rechtsgebiete hinstellt, sondern sie in ihrem organischen Zusammenhange mit dem Staatsbegriff und der Gesell- schaftsordnung hinstellt. Und das ist es, was wir hier im kürzesten Bilde versuchen wollen.
In der Geschlechterordnung zuerst ist der Staat nur noch in seiner abstrakten Form, als das Königthum und seine Würde, vorhanden. Er hat noch als solcher nichts zu thun; nur zwei Dinge leistet er, das ist die Vertheidigung nach Außen, und die Rechtspflege. Alles was sonst Verwaltung heißt, wird innerhalb des Geschlechts und durch das Geschlecht vollzogen; ja ursprünglich sind diese Geschlechter auch die Grundlagen für die Leistungen in Heer und Gericht. Es gibt keine Verwaltungsordnung der Bevölkerung, keine Competenz und kein Ge- meindebürgerrecht. Alles das wird ersetzt durch die Stammes- und Geschlechtsangehörigkeit, welche allein die Bevölkerung ordnen. Sie sind die Bedingungen für die Theilnahme an Verfassung und Ver- waltung; sie enthalten das Staatsbürgerrecht und das Indigenat, und zwar so, daß die Stammesangehörigkeit das erste, die Geschlechtsangehörigkeit das zweite gibt. Der rechtliche Inhalt des, dem Indigenat Entsprechenden ist aber das Recht, nach dem Rechte des Stammes gerichtet zu werden. Dieser einfache Satz wird der Ausgangspunkt der folgenden Ordnung.
Als die Völkerwanderung die Einheit der Stämme und Geschlechter zerbricht, entsteht die Frage, wie sich außerhalb der Gränzen Deutsch- lands nunmehr jene Angehörigkeit noch äußern solle, und wie man nach Zerstörung der örtlichen Gemeinschaft der Geschlechter und Stämme in den neu errichteten Staaten eine Verwaltungsordnung der neuen Be- völkerung sich zu denken habe. Denn natürlich war das unmittelbare Gefühl der Völker sich darüber auch ohne alle Theorie vollkommen klar, daß mitten in dem ungeheuren Durcheinander von Menschen und Ver- hältnissen dennoch die Aufstellung fester Grundsätze für die Verwaltung der Bevölkerungen unbedingt nothwendig sei.
der neueſten Zeit es dennoch gerade Deutſchland iſt, das ſich von dem Rechtsprincip der ſtändiſchen Epoche bei weitem am wenigſten hat frei machen können. Wir ſind aus einer Reihe von Gründen hier weit hinter England und Frankreich zurück, und müſſen, um das zu beſſern, damit beginnen, dieß anzuerkennen. Die ganze Summe von Unklar- heiten, an der die Theorie ihrerſeits krankt, zeigt ſich aber als eine ganz natürliche Folge des an ſich widerſprechenden Verſuchs, Rechts- anſchauungen verſchiedener Perioden auf einfache Begriffe und Termi- nologien zurückzuführen. Das nun wird eben dadurch am deutlichſten, wenn man nicht mehr wie bisher das Recht der Competenzen, das Ge- meindebürgerrecht und das Heimathsrecht, als ganz ſelbſtändige und für ſich zu betrachtende Rechtsgebiete hinſtellt, ſondern ſie in ihrem organiſchen Zuſammenhange mit dem Staatsbegriff und der Geſell- ſchaftsordnung hinſtellt. Und das iſt es, was wir hier im kürzeſten Bilde verſuchen wollen.
In der Geſchlechterordnung zuerſt iſt der Staat nur noch in ſeiner abſtrakten Form, als das Königthum und ſeine Würde, vorhanden. Er hat noch als ſolcher nichts zu thun; nur zwei Dinge leiſtet er, das iſt die Vertheidigung nach Außen, und die Rechtspflege. Alles was ſonſt Verwaltung heißt, wird innerhalb des Geſchlechts und durch das Geſchlecht vollzogen; ja urſprünglich ſind dieſe Geſchlechter auch die Grundlagen für die Leiſtungen in Heer und Gericht. Es gibt keine Verwaltungsordnung der Bevölkerung, keine Competenz und kein Ge- meindebürgerrecht. Alles das wird erſetzt durch die Stammes- und Geſchlechtsangehörigkeit, welche allein die Bevölkerung ordnen. Sie ſind die Bedingungen für die Theilnahme an Verfaſſung und Ver- waltung; ſie enthalten das Staatsbürgerrecht und das Indigenat, und zwar ſo, daß die Stammesangehörigkeit das erſte, die Geſchlechtsangehörigkeit das zweite gibt. Der rechtliche Inhalt des, dem Indigenat Entſprechenden iſt aber das Recht, nach dem Rechte des Stammes gerichtet zu werden. Dieſer einfache Satz wird der Ausgangspunkt der folgenden Ordnung.
Als die Völkerwanderung die Einheit der Stämme und Geſchlechter zerbricht, entſteht die Frage, wie ſich außerhalb der Gränzen Deutſch- lands nunmehr jene Angehörigkeit noch äußern ſolle, und wie man nach Zerſtörung der örtlichen Gemeinſchaft der Geſchlechter und Stämme in den neu errichteten Staaten eine Verwaltungsordnung der neuen Be- völkerung ſich zu denken habe. Denn natürlich war das unmittelbare Gefühl der Völker ſich darüber auch ohne alle Theorie vollkommen klar, daß mitten in dem ungeheuren Durcheinander von Menſchen und Ver- hältniſſen dennoch die Aufſtellung feſter Grundſätze für die Verwaltung der Bevölkerungen unbedingt nothwendig ſei.
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der neueſten Zeit es dennoch gerade Deutſchland iſt, das ſich von dem
Rechtsprincip der ſtändiſchen Epoche bei weitem am wenigſten hat frei
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hinter England und Frankreich zurück, und müſſen, um das zu beſſern,
damit beginnen, dieß anzuerkennen. Die ganze Summe von Unklar-
heiten, an der die Theorie ihrerſeits krankt, zeigt ſich aber als eine
ganz natürliche Folge des an ſich widerſprechenden Verſuchs, Rechts-
anſchauungen verſchiedener Perioden auf einfache Begriffe und Termi-
nologien zurückzuführen. Das nun wird eben dadurch am deutlichſten,
wenn man nicht mehr wie bisher das Recht der Competenzen, das Ge-
meindebürgerrecht und das Heimathsrecht, als ganz ſelbſtändige und
für ſich zu betrachtende Rechtsgebiete hinſtellt, ſondern ſie in ihrem
organiſchen Zuſammenhange mit dem Staatsbegriff und der Geſell-
ſchaftsordnung hinſtellt. Und das iſt es, was wir hier im kürzeſten
Bilde verſuchen wollen.
In der Geſchlechterordnung zuerſt iſt der Staat nur noch in ſeiner
abſtrakten Form, als das Königthum und ſeine Würde, vorhanden.
Er hat noch als ſolcher nichts zu thun; nur zwei Dinge leiſtet er,
das iſt die Vertheidigung nach Außen, und die Rechtspflege. Alles was
ſonſt Verwaltung heißt, wird innerhalb des Geſchlechts und durch das
Geſchlecht vollzogen; ja urſprünglich ſind dieſe Geſchlechter auch die
Grundlagen für die Leiſtungen in Heer und Gericht. Es gibt keine
Verwaltungsordnung der Bevölkerung, keine Competenz und kein Ge-
meindebürgerrecht. Alles das wird erſetzt durch die Stammes- und
Geſchlechtsangehörigkeit, welche allein die Bevölkerung ordnen.
Sie ſind die Bedingungen für die Theilnahme an Verfaſſung und Ver-
waltung; ſie enthalten das Staatsbürgerrecht und das Indigenat, und zwar
ſo, daß die Stammesangehörigkeit das erſte, die Geſchlechtsangehörigkeit
das zweite gibt. Der rechtliche Inhalt des, dem Indigenat Entſprechenden
iſt aber das Recht, nach dem Rechte des Stammes gerichtet zu werden.
Dieſer einfache Satz wird der Ausgangspunkt der folgenden Ordnung.
Als die Völkerwanderung die Einheit der Stämme und Geſchlechter
zerbricht, entſteht die Frage, wie ſich außerhalb der Gränzen Deutſch-
lands nunmehr jene Angehörigkeit noch äußern ſolle, und wie man nach
Zerſtörung der örtlichen Gemeinſchaft der Geſchlechter und Stämme in
den neu errichteten Staaten eine Verwaltungsordnung der neuen Be-
völkerung ſich zu denken habe. Denn natürlich war das unmittelbare
Gefühl der Völker ſich darüber auch ohne alle Theorie vollkommen klar,
daß mitten in dem ungeheuren Durcheinander von Menſchen und Ver-
hältniſſen dennoch die Aufſtellung feſter Grundſätze für die Verwaltung
der Bevölkerungen unbedingt nothwendig ſei.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/332>, abgerufen am 24.11.2024.
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