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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Kirchspiel. Allmählig übernahm dieselbe die übrigen localen Verwal-
tungsaufgaben, und ward somit allerdings die Grundform der Selbst-
verwaltung. Allein die Selbständigkeit der Verwaltungsaufgaben, und
damit die ursprüngliche Idee der Verwaltungsgemeinde erhält sich bis
zum gegenwärtigen Augenblicke in den Formen der Steuern, die
nicht wie auf dem Continent als Besteurung der Gemeinde als solcher,
sondern als eben so viel selbständige Steuerarten auftreten, als die
Gemeinde Zwecke hat. Daß sich die meisten in Steuerobject, Steuer-
einheit und Steuerfuß nach der Hauptsteuer conformiren, ist zwar
natürlich und daher auch ganz von selbst entstanden, aber weder noth-
wendig noch allgemein.

Das ist nun die allgemeine Grundlage für die Bildung des gelten-
den Heimathsrechts in England geworden.

Zu den großen Zwecken nämlich, welche im Wesen des Staats
liegen, und daher nach englischem Princip von diesen Verwaltungsgemein-
den in irgendeiner Weise erfüllt werden mußten, gehört nun unzweifelhaft
die Armenunterstützung. Sie unterscheidet sich von allen anderen
Leistungen der Verwaltung dadurch, daß sie stets ein einzelnes Indi-
viduum zum Object hat, und daher auch in diesem einzelnen Individuum
ganz bestimmte rechtliche Voraussetzungen fordert. Das Armenwesen
nun, dessen Princip und Darstellung der Verwaltung der Gesellschaft
angehört, hat in der ganzen christlich germanischen Welt sich ursprüng-
lich an die Kirche angeschlossen. Der Einfluß der Kirche auf seine Ver-
waltung bestand zunächst und vor allem darin, das Princip einer
sittlichen Pflicht
eines kirchlichen Körpers zur gemeinschaftlichen
Unterstützung der diesem Körper angehörigen Armen festzustellen. Jener
Körper war in England das Kirchspiel, das parish -- also gleich
anfangs nicht die Ortsgemeinde des Continents, sondern die kirch-
liche Verwaltungsgemeinde
, ein Unterschied, der für das ganze
Armenwesen natürlich von höchster Bedeutung werden mußte. Ehe sich
daher noch der Staat in irgend einer Weise mit der socialen Verwal-
tung des Armenwesens abgab, war dasselbe schon eine Aufgabe der
Selbstverwaltung für das Kirchspiel geworden, ohne daß dies ausdrück-
lich ausgesprochen, oder von irgend jemand bezweifelt worden wäre.
Nur waren das Maß und die Ordnung in dieser Unterstützung, oder
die wirkliche Verwaltung der Armenpflege, natürlich in dieser Epoche
noch ganz den Kirchenvorständen und der Versammlung der Kirchen-
bürger (der vestry) überlassen.

Da trat nun, in Schottland im 16., in England im 17., in Ir-
land allerdings erst im 19. Jahrhundert der Grundsatz gesetzlich ins
Leben, daß die Verwaltung der Armenpflege eine staatliche Pflicht

Kirchſpiel. Allmählig übernahm dieſelbe die übrigen localen Verwal-
tungsaufgaben, und ward ſomit allerdings die Grundform der Selbſt-
verwaltung. Allein die Selbſtändigkeit der Verwaltungsaufgaben, und
damit die urſprüngliche Idee der Verwaltungsgemeinde erhält ſich bis
zum gegenwärtigen Augenblicke in den Formen der Steuern, die
nicht wie auf dem Continent als Beſteurung der Gemeinde als ſolcher,
ſondern als eben ſo viel ſelbſtändige Steuerarten auftreten, als die
Gemeinde Zwecke hat. Daß ſich die meiſten in Steuerobject, Steuer-
einheit und Steuerfuß nach der Hauptſteuer conformiren, iſt zwar
natürlich und daher auch ganz von ſelbſt entſtanden, aber weder noth-
wendig noch allgemein.

Das iſt nun die allgemeine Grundlage für die Bildung des gelten-
den Heimathsrechts in England geworden.

Zu den großen Zwecken nämlich, welche im Weſen des Staats
liegen, und daher nach engliſchem Princip von dieſen Verwaltungsgemein-
den in irgendeiner Weiſe erfüllt werden mußten, gehört nun unzweifelhaft
die Armenunterſtützung. Sie unterſcheidet ſich von allen anderen
Leiſtungen der Verwaltung dadurch, daß ſie ſtets ein einzelnes Indi-
viduum zum Object hat, und daher auch in dieſem einzelnen Individuum
ganz beſtimmte rechtliche Vorausſetzungen fordert. Das Armenweſen
nun, deſſen Princip und Darſtellung der Verwaltung der Geſellſchaft
angehört, hat in der ganzen chriſtlich germaniſchen Welt ſich urſprüng-
lich an die Kirche angeſchloſſen. Der Einfluß der Kirche auf ſeine Ver-
waltung beſtand zunächſt und vor allem darin, das Princip einer
ſittlichen Pflicht
eines kirchlichen Körpers zur gemeinſchaftlichen
Unterſtützung der dieſem Körper angehörigen Armen feſtzuſtellen. Jener
Körper war in England das Kirchſpiel, das parish — alſo gleich
anfangs nicht die Ortsgemeinde des Continents, ſondern die kirch-
liche Verwaltungsgemeinde
, ein Unterſchied, der für das ganze
Armenweſen natürlich von höchſter Bedeutung werden mußte. Ehe ſich
daher noch der Staat in irgend einer Weiſe mit der ſocialen Verwal-
tung des Armenweſens abgab, war daſſelbe ſchon eine Aufgabe der
Selbſtverwaltung für das Kirchſpiel geworden, ohne daß dies ausdrück-
lich ausgeſprochen, oder von irgend jemand bezweifelt worden wäre.
Nur waren das Maß und die Ordnung in dieſer Unterſtützung, oder
die wirkliche Verwaltung der Armenpflege, natürlich in dieſer Epoche
noch ganz den Kirchenvorſtänden und der Verſammlung der Kirchen-
bürger (der vestry) überlaſſen.

Da trat nun, in Schottland im 16., in England im 17., in Ir-
land allerdings erſt im 19. Jahrhundert der Grundſatz geſetzlich ins
Leben, daß die Verwaltung der Armenpflege eine ſtaatliche Pflicht

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[292/0314] Kirchſpiel. Allmählig übernahm dieſelbe die übrigen localen Verwal- tungsaufgaben, und ward ſomit allerdings die Grundform der Selbſt- verwaltung. Allein die Selbſtändigkeit der Verwaltungsaufgaben, und damit die urſprüngliche Idee der Verwaltungsgemeinde erhält ſich bis zum gegenwärtigen Augenblicke in den Formen der Steuern, die nicht wie auf dem Continent als Beſteurung der Gemeinde als ſolcher, ſondern als eben ſo viel ſelbſtändige Steuerarten auftreten, als die Gemeinde Zwecke hat. Daß ſich die meiſten in Steuerobject, Steuer- einheit und Steuerfuß nach der Hauptſteuer conformiren, iſt zwar natürlich und daher auch ganz von ſelbſt entſtanden, aber weder noth- wendig noch allgemein. Das iſt nun die allgemeine Grundlage für die Bildung des gelten- den Heimathsrechts in England geworden. Zu den großen Zwecken nämlich, welche im Weſen des Staats liegen, und daher nach engliſchem Princip von dieſen Verwaltungsgemein- den in irgendeiner Weiſe erfüllt werden mußten, gehört nun unzweifelhaft die Armenunterſtützung. Sie unterſcheidet ſich von allen anderen Leiſtungen der Verwaltung dadurch, daß ſie ſtets ein einzelnes Indi- viduum zum Object hat, und daher auch in dieſem einzelnen Individuum ganz beſtimmte rechtliche Vorausſetzungen fordert. Das Armenweſen nun, deſſen Princip und Darſtellung der Verwaltung der Geſellſchaft angehört, hat in der ganzen chriſtlich germaniſchen Welt ſich urſprüng- lich an die Kirche angeſchloſſen. Der Einfluß der Kirche auf ſeine Ver- waltung beſtand zunächſt und vor allem darin, das Princip einer ſittlichen Pflicht eines kirchlichen Körpers zur gemeinſchaftlichen Unterſtützung der dieſem Körper angehörigen Armen feſtzuſtellen. Jener Körper war in England das Kirchſpiel, das parish — alſo gleich anfangs nicht die Ortsgemeinde des Continents, ſondern die kirch- liche Verwaltungsgemeinde, ein Unterſchied, der für das ganze Armenweſen natürlich von höchſter Bedeutung werden mußte. Ehe ſich daher noch der Staat in irgend einer Weiſe mit der ſocialen Verwal- tung des Armenweſens abgab, war daſſelbe ſchon eine Aufgabe der Selbſtverwaltung für das Kirchſpiel geworden, ohne daß dies ausdrück- lich ausgeſprochen, oder von irgend jemand bezweifelt worden wäre. Nur waren das Maß und die Ordnung in dieſer Unterſtützung, oder die wirkliche Verwaltung der Armenpflege, natürlich in dieſer Epoche noch ganz den Kirchenvorſtänden und der Verſammlung der Kirchen- bürger (der vestry) überlaſſen. Da trat nun, in Schottland im 16., in England im 17., in Ir- land allerdings erſt im 19. Jahrhundert der Grundſatz geſetzlich ins Leben, daß die Verwaltung der Armenpflege eine ſtaatliche Pflicht

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/314>, abgerufen am 28.11.2024.