XXXI. §. 26 ff.) Besseres hat man wohl nie über das Paßwesen und Unwesen gesagt, und man muß gestehen, daß die Neuern, namentlich Mohl, weder an Verständniß noch an Kraft der Meinung diesem Schrift- steller gleichkommen. Jedenfalls sieht man deutlich, wie sich das eigent- liche Paßwesen hier von dem Fremdenwesen in seinem Princip ablöst, und wie man gegen die unfreien Tendenzen, die sich in dem ersteren ausbilden, ankämpft. Aber die Unruhe der Zeiten ließ eine freiere Ge- staltung um so weniger zu, als auch in Frankreich das Paßwesen als theils politische, theils militärpolizeiliche Maßregel sich zu einer Schärfe entwickelte, die selbst damals nicht von den deutschen Staaten überboten ward, und gegenwärtig geradezu beispiellos ist. Deutschland blieb deß- halb auch nach den Napoleonischen Kriegen auf seinem strengpolizeilichen Standpunkte, und das ganze Paßwesen nimmt umsomehr den Charakter eines großen politischen Instituts an, das zur eigentlichen Aufgabe hat, die Reisen wegen ihrer politischen Bedeutung so streng als mög- lich zu controlliren, neben welchen dann das Fremdenwesen als innere, der niedern Sicherheitspolizei angehörige Institution seinen eigenen, freilich auch durch und durch polizeilichen Inhalt in einer großen Menge von Gesetzen entwickelt (s. unten). Der deutsche Bund kam auch in dieser Beziehung nicht weiter, als der Landfriede von 1548; seine "Freizügigkeit" war etwas so unbestimmtes, daß keine Maßregel eines einzelnen Staates dadurch beeinträchtigt ward (Art. 18). Das Paß- wesen ward daher von den einzelnen Staaten regulirt; und der Bundesbeschluß vom 5. Juli 1832 hat vielleicht am deutlichsten den allgemeinen Standpunkt des damaligen Paßwesens ausgesprochen. "Bei Fremden, welche sich wegen politischer Vergehen oder Ver- brechen in einen deutschen Bundesstaat begeben haben, sodann bei Einheimischen und Fremden, die aus Orten oder Gegenden kommen, wo sich Verbindungen zum Umsturz des Bundes oder der deutschen Regie- rungen gebildet haben -- sind überall in den Bundeslanden die be- stehenden Paßvorschriften auf das Genaueste zu beobachten und nöthigen- falls zu schärfen." In der That gestaltete sich das Paßwesen jetzt bei dieser Grundlage zunächst zu einem höchst lästigen Systeme (Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht II. §. 164), in welchem die großen Staaten mit großen und die kleinen mit kleinen Maßregeln -- die zu- gleich für die örtlichen Behörden sehr einträglich waren -- die freie Bewegung der Bevölkerung hemmten. Aber dennoch ließ es sich nicht verkennen, daß zum Theil gerade dadurch seit dem dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts das Fremdenwesen und Recht sich einfacher und freier gestaltete. Der innere Fortschritt der Communicationsanstalten machte es allmählig unmöglich, die Reisen im Inlande nach dem bisherigen
XXXI. §. 26 ff.) Beſſeres hat man wohl nie über das Paßweſen und Unweſen geſagt, und man muß geſtehen, daß die Neuern, namentlich Mohl, weder an Verſtändniß noch an Kraft der Meinung dieſem Schrift- ſteller gleichkommen. Jedenfalls ſieht man deutlich, wie ſich das eigent- liche Paßweſen hier von dem Fremdenweſen in ſeinem Princip ablöst, und wie man gegen die unfreien Tendenzen, die ſich in dem erſteren ausbilden, ankämpft. Aber die Unruhe der Zeiten ließ eine freiere Ge- ſtaltung um ſo weniger zu, als auch in Frankreich das Paßweſen als theils politiſche, theils militärpolizeiliche Maßregel ſich zu einer Schärfe entwickelte, die ſelbſt damals nicht von den deutſchen Staaten überboten ward, und gegenwärtig geradezu beiſpiellos iſt. Deutſchland blieb deß- halb auch nach den Napoleoniſchen Kriegen auf ſeinem ſtrengpolizeilichen Standpunkte, und das ganze Paßweſen nimmt umſomehr den Charakter eines großen politiſchen Inſtituts an, das zur eigentlichen Aufgabe hat, die Reiſen wegen ihrer politiſchen Bedeutung ſo ſtreng als mög- lich zu controlliren, neben welchen dann das Fremdenweſen als innere, der niedern Sicherheitspolizei angehörige Inſtitution ſeinen eigenen, freilich auch durch und durch polizeilichen Inhalt in einer großen Menge von Geſetzen entwickelt (ſ. unten). Der deutſche Bund kam auch in dieſer Beziehung nicht weiter, als der Landfriede von 1548; ſeine „Freizügigkeit“ war etwas ſo unbeſtimmtes, daß keine Maßregel eines einzelnen Staates dadurch beeinträchtigt ward (Art. 18). Das Paß- weſen ward daher von den einzelnen Staaten regulirt; und der Bundesbeſchluß vom 5. Juli 1832 hat vielleicht am deutlichſten den allgemeinen Standpunkt des damaligen Paßweſens ausgeſprochen. „Bei Fremden, welche ſich wegen politiſcher Vergehen oder Ver- brechen in einen deutſchen Bundesſtaat begeben haben, ſodann bei Einheimiſchen und Fremden, die aus Orten oder Gegenden kommen, wo ſich Verbindungen zum Umſturz des Bundes oder der deutſchen Regie- rungen gebildet haben — ſind überall in den Bundeslanden die be- ſtehenden Paßvorſchriften auf das Genaueſte zu beobachten und nöthigen- falls zu ſchärfen.“ In der That geſtaltete ſich das Paßweſen jetzt bei dieſer Grundlage zunächſt zu einem höchſt läſtigen Syſteme (Zachariä, Deutſches Staats- und Bundesrecht II. §. 164), in welchem die großen Staaten mit großen und die kleinen mit kleinen Maßregeln — die zu- gleich für die örtlichen Behörden ſehr einträglich waren — die freie Bewegung der Bevölkerung hemmten. Aber dennoch ließ es ſich nicht verkennen, daß zum Theil gerade dadurch ſeit dem dritten Jahrzehnt unſeres Jahrhunderts das Fremdenweſen und Recht ſich einfacher und freier geſtaltete. Der innere Fortſchritt der Communicationsanſtalten machte es allmählig unmöglich, die Reiſen im Inlande nach dem bisherigen
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XXXI. §. 26 ff.) Beſſeres hat man wohl nie über das Paßweſen und
Unweſen geſagt, und man muß geſtehen, daß die Neuern, namentlich
Mohl, weder an Verſtändniß noch an Kraft der Meinung dieſem Schrift-
ſteller gleichkommen. Jedenfalls ſieht man deutlich, wie ſich das eigent-
liche Paßweſen hier von dem Fremdenweſen in ſeinem Princip ablöst,
und wie man gegen die unfreien Tendenzen, die ſich in dem erſteren
ausbilden, ankämpft. Aber die Unruhe der Zeiten ließ eine freiere Ge-
ſtaltung um ſo weniger zu, als auch in Frankreich das Paßweſen als
theils politiſche, theils militärpolizeiliche Maßregel ſich zu einer Schärfe
entwickelte, die ſelbſt damals nicht von den deutſchen Staaten überboten
ward, und gegenwärtig geradezu beiſpiellos iſt. Deutſchland blieb deß-
halb auch nach den Napoleoniſchen Kriegen auf ſeinem ſtrengpolizeilichen
Standpunkte, und das ganze Paßweſen nimmt umſomehr den Charakter
eines großen politiſchen Inſtituts an, das zur eigentlichen Aufgabe
hat, die Reiſen wegen ihrer politiſchen Bedeutung ſo ſtreng als mög-
lich zu controlliren, neben welchen dann das Fremdenweſen als innere,
der niedern Sicherheitspolizei angehörige Inſtitution ſeinen eigenen,
freilich auch durch und durch polizeilichen Inhalt in einer großen Menge
von Geſetzen entwickelt (ſ. unten). Der deutſche Bund kam auch
in dieſer Beziehung nicht weiter, als der Landfriede von 1548; ſeine
„Freizügigkeit“ war etwas ſo unbeſtimmtes, daß keine Maßregel eines
einzelnen Staates dadurch beeinträchtigt ward (Art. 18). Das Paß-
weſen ward daher von den einzelnen Staaten regulirt; und der
Bundesbeſchluß vom 5. Juli 1832 hat vielleicht am deutlichſten
den allgemeinen Standpunkt des damaligen Paßweſens ausgeſprochen.
„Bei Fremden, welche ſich wegen politiſcher Vergehen oder Ver-
brechen in einen deutſchen Bundesſtaat begeben haben, ſodann bei
Einheimiſchen und Fremden, die aus Orten oder Gegenden kommen, wo
ſich Verbindungen zum Umſturz des Bundes oder der deutſchen Regie-
rungen gebildet haben — ſind überall in den Bundeslanden die be-
ſtehenden Paßvorſchriften auf das Genaueſte zu beobachten und nöthigen-
falls zu ſchärfen.“ In der That geſtaltete ſich das Paßweſen jetzt bei
dieſer Grundlage zunächſt zu einem höchſt läſtigen Syſteme (Zachariä,
Deutſches Staats- und Bundesrecht II. §. 164), in welchem die großen
Staaten mit großen und die kleinen mit kleinen Maßregeln — die zu-
gleich für die örtlichen Behörden ſehr einträglich waren — die freie
Bewegung der Bevölkerung hemmten. Aber dennoch ließ es ſich nicht
verkennen, daß zum Theil gerade dadurch ſeit dem dritten Jahrzehnt unſeres
Jahrhunderts das Fremdenweſen und Recht ſich einfacher und freier
geſtaltete. Der innere Fortſchritt der Communicationsanſtalten machte
es allmählig unmöglich, die Reiſen im Inlande nach dem bisherigen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/280>, abgerufen am 22.11.2024.
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