erscheint als das Recht der vollziehenden Gewalt, ein Recht, welches wir die verfassungsmäßige Verwaltung im weitesten Begriff, oder speciell die verfassungsmäßige Vollziehung in dem Sinne nannten, daß ein be- ständiger, in Verantwortlichkeit, Klage und Beschwerde bestehender Pro- ceß im Staatsleben rechtlich anerkannt ist, durch welchen die Harmonie zwischen Verwaltung und Gesetzgebung stets wieder hergestellt wird, wo sie im Einzelnen als gefährdet oder gebrochen erscheint. Dann haben wir diese vollziehende Gewalt als solche in ihrem selbständigen Organismus dargelegt, und zwar als die Vollziehung durch das Staats- oberhaupt, die rein staatliche, der individuellen Persönlichkeit des Staats angehörige Vollziehung im Staat mit seinem Ministerial- und Be- hördensystem, die vollziehende Gewalt der Selbstverwaltung, und end- lich den ganz freien Organismus derselben im Vereinswesen. Und so hat sich das gebildet, was wir die Lehre von der vollziehenden Gewalt und ihrem Rechte genannt haben.
Diese Vollziehung -- das reine Thun des Staats -- ward nun zur Verwaltung, insofern wir sie in Beziehung auf das wirk- liche Leben der menschlichen Gemeinschaft dachten. Der Begriff der Verwaltung enthält daher die Vollziehung als wirkliche That, die Gesammtheit aller wirklichen Akte der Vollziehung. Und hier haben wir wieder mit einem bekannten und vielgebrauchten Ausdruck einen bestimmten Sinn zu verbinden gehabt.
Wir bezeichneten nämlich diese Verwaltung als eine solche, die in der unendlichen Vielheit ihrer Thätigkeiten dennoch eine bestimmte Ein- heit und Harmonie des Wollens und Thuns, der Verordnungen also, der Organisationen und der materiellen Ausführung haben muß und hat. Und insofern wir die Verwaltung daher als eine solche, auf bestimmten Principien beruhende innerlich einheitliche und harmonische aufstellten, nannten wir sie die Regierung. Regierung und Verwal- tung sind daher äußerlich ununterschieden dasselbe; sie sind überhaupt nicht zu scheiden, so wenig als Seele und Körper; es kann gar keine Verwaltung geben, die nicht Regierung wäre, noch umgekehrt; aber eins und dasselbe sind sie gerade so wenig oder so viel als eben Seele und Körper es sind. Dabei ist es genügend, wenn man diese Unterscheidung nur im Allgemeinen festhält; denn es kommt im Grunde nur darauf an, die Ausdrücke Regierung und Verwaltung, Regierungsgewalt und Verwaltungsgewalt mit ihrer eigentlichen Bedeutung wissenschaftlich gegenwärtig zu haben, um durch die ununterschiedene Benutzung der- selben im gewöhnlichen Leben die Sache selbst nicht verwirren zu lassen. Aber trotz dieser Einheit von Regierung und Verwaltung giebt es den- noch einen, und zwar eben so wohl bekannten als leicht verständlichen
erſcheint als das Recht der vollziehenden Gewalt, ein Recht, welches wir die verfaſſungsmäßige Verwaltung im weiteſten Begriff, oder ſpeciell die verfaſſungsmäßige Vollziehung in dem Sinne nannten, daß ein be- ſtändiger, in Verantwortlichkeit, Klage und Beſchwerde beſtehender Pro- ceß im Staatsleben rechtlich anerkannt iſt, durch welchen die Harmonie zwiſchen Verwaltung und Geſetzgebung ſtets wieder hergeſtellt wird, wo ſie im Einzelnen als gefährdet oder gebrochen erſcheint. Dann haben wir dieſe vollziehende Gewalt als ſolche in ihrem ſelbſtändigen Organismus dargelegt, und zwar als die Vollziehung durch das Staats- oberhaupt, die rein ſtaatliche, der individuellen Perſönlichkeit des Staats angehörige Vollziehung im Staat mit ſeinem Miniſterial- und Be- hördenſyſtem, die vollziehende Gewalt der Selbſtverwaltung, und end- lich den ganz freien Organismus derſelben im Vereinsweſen. Und ſo hat ſich das gebildet, was wir die Lehre von der vollziehenden Gewalt und ihrem Rechte genannt haben.
Dieſe Vollziehung — das reine Thun des Staats — ward nun zur Verwaltung, inſofern wir ſie in Beziehung auf das wirk- liche Leben der menſchlichen Gemeinſchaft dachten. Der Begriff der Verwaltung enthält daher die Vollziehung als wirkliche That, die Geſammtheit aller wirklichen Akte der Vollziehung. Und hier haben wir wieder mit einem bekannten und vielgebrauchten Ausdruck einen beſtimmten Sinn zu verbinden gehabt.
Wir bezeichneten nämlich dieſe Verwaltung als eine ſolche, die in der unendlichen Vielheit ihrer Thätigkeiten dennoch eine beſtimmte Ein- heit und Harmonie des Wollens und Thuns, der Verordnungen alſo, der Organiſationen und der materiellen Ausführung haben muß und hat. Und inſofern wir die Verwaltung daher als eine ſolche, auf beſtimmten Principien beruhende innerlich einheitliche und harmoniſche aufſtellten, nannten wir ſie die Regierung. Regierung und Verwal- tung ſind daher äußerlich ununterſchieden daſſelbe; ſie ſind überhaupt nicht zu ſcheiden, ſo wenig als Seele und Körper; es kann gar keine Verwaltung geben, die nicht Regierung wäre, noch umgekehrt; aber eins und daſſelbe ſind ſie gerade ſo wenig oder ſo viel als eben Seele und Körper es ſind. Dabei iſt es genügend, wenn man dieſe Unterſcheidung nur im Allgemeinen feſthält; denn es kommt im Grunde nur darauf an, die Ausdrücke Regierung und Verwaltung, Regierungsgewalt und Verwaltungsgewalt mit ihrer eigentlichen Bedeutung wiſſenſchaftlich gegenwärtig zu haben, um durch die ununterſchiedene Benutzung der- ſelben im gewöhnlichen Leben die Sache ſelbſt nicht verwirren zu laſſen. Aber trotz dieſer Einheit von Regierung und Verwaltung giebt es den- noch einen, und zwar eben ſo wohl bekannten als leicht verſtändlichen
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[4/0026]
erſcheint als das Recht der vollziehenden Gewalt, ein Recht, welches wir
die verfaſſungsmäßige Verwaltung im weiteſten Begriff, oder ſpeciell
die verfaſſungsmäßige Vollziehung in dem Sinne nannten, daß ein be-
ſtändiger, in Verantwortlichkeit, Klage und Beſchwerde beſtehender Pro-
ceß im Staatsleben rechtlich anerkannt iſt, durch welchen die Harmonie
zwiſchen Verwaltung und Geſetzgebung ſtets wieder hergeſtellt wird,
wo ſie im Einzelnen als gefährdet oder gebrochen erſcheint. Dann
haben wir dieſe vollziehende Gewalt als ſolche in ihrem ſelbſtändigen
Organismus dargelegt, und zwar als die Vollziehung durch das Staats-
oberhaupt, die rein ſtaatliche, der individuellen Perſönlichkeit des Staats
angehörige Vollziehung im Staat mit ſeinem Miniſterial- und Be-
hördenſyſtem, die vollziehende Gewalt der Selbſtverwaltung, und end-
lich den ganz freien Organismus derſelben im Vereinsweſen. Und ſo
hat ſich das gebildet, was wir die Lehre von der vollziehenden Gewalt
und ihrem Rechte genannt haben.
Dieſe Vollziehung — das reine Thun des Staats — ward nun
zur Verwaltung, inſofern wir ſie in Beziehung auf das wirk-
liche Leben der menſchlichen Gemeinſchaft dachten. Der Begriff der
Verwaltung enthält daher die Vollziehung als wirkliche That, die
Geſammtheit aller wirklichen Akte der Vollziehung. Und hier haben
wir wieder mit einem bekannten und vielgebrauchten Ausdruck einen
beſtimmten Sinn zu verbinden gehabt.
Wir bezeichneten nämlich dieſe Verwaltung als eine ſolche, die in
der unendlichen Vielheit ihrer Thätigkeiten dennoch eine beſtimmte Ein-
heit und Harmonie des Wollens und Thuns, der Verordnungen alſo,
der Organiſationen und der materiellen Ausführung haben muß und
hat. Und inſofern wir die Verwaltung daher als eine ſolche, auf
beſtimmten Principien beruhende innerlich einheitliche und harmoniſche
aufſtellten, nannten wir ſie die Regierung. Regierung und Verwal-
tung ſind daher äußerlich ununterſchieden daſſelbe; ſie ſind überhaupt
nicht zu ſcheiden, ſo wenig als Seele und Körper; es kann gar keine
Verwaltung geben, die nicht Regierung wäre, noch umgekehrt; aber eins
und daſſelbe ſind ſie gerade ſo wenig oder ſo viel als eben Seele und
Körper es ſind. Dabei iſt es genügend, wenn man dieſe Unterſcheidung
nur im Allgemeinen feſthält; denn es kommt im Grunde nur darauf
an, die Ausdrücke Regierung und Verwaltung, Regierungsgewalt und
Verwaltungsgewalt mit ihrer eigentlichen Bedeutung wiſſenſchaftlich
gegenwärtig zu haben, um durch die ununterſchiedene Benutzung der-
ſelben im gewöhnlichen Leben die Sache ſelbſt nicht verwirren zu laſſen.
Aber trotz dieſer Einheit von Regierung und Verwaltung giebt es den-
noch einen, und zwar eben ſo wohl bekannten als leicht verſtändlichen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/26>, abgerufen am 23.11.2024.
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