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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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in dem zweiten Theile der Verwaltung der Bevölkerung einem ganz
andern Verhältniß.

In der Bevölkerungspolitik erscheint die Bevölkerung noch als eine,
bloß in ihren quantitativen Verhältnissen wechselnde Masse. Sie ist
offenbar mehr. Es leben in ihr große, diese ganze Masse durchdrin-
gende Verschiedenheiten. Diese Verschiedenheiten sind theils persönlicher,
theils wirthschaftlicher, theils gesellschaftlicher Natur. Die Gesammtheit
der Wirkungen, welche diese Unterschiede im Ganzen wie für den Ein-
zelnen hervorbringen, nennen wir das Leben der Bevölkerung. In-
sofern wir sie aber in einem bestimmten einzelnen Augenblicke auffassen,
und die Bevölkerung mit all ihren Unterschieden für einen Moment
als ein gegebenes, stillstehendes Ganze betrachten, können wir von der
Gestalt der Bevölkerung reden, da der Ausdruck "Zustand" nicht ganz
eine solche Vorstellung wiedergibt. Indem wir nun erkennen, daß diese
Gestalt der Bevölkerung nicht etwa eine zufällige ist, sondern auf be-
stimmten, festen Grundlagen ruht, reden wir von einer Ordnung
der Bevölkerung.

Das Verhältniß der Verwaltung zu dieser Gestalt und Ordnung
der Bevölkerung muß nun als ein doppeltes aufgefaßt werden.

Zuerst ist ohne Zweifel diese Ordnung der Bevölkerung in der
That die Ordnung des persönlichen Staatskörpers selbst. Der Staat,
um seine eigenen Lebensverhältnisse mit seinem eigenen Willen und
seiner eigenen That, seinen Gesetzen und seiner Verwaltung, beherrschen
zu können, muß jene Ordnung kennen. Diese Kenntniß ist kein Akt
der Verwaltung, sondern eine Bedingung derselben. Und wir haben
schon im Eingange diejenige Thätigkeit des Staats bezeichnet, welche
der Verwaltung diese Bedingung schafft. Das ist die Statistik, die
wir als die Anwendung der Wissenschaft der Thatsachen auf das Staats-
leben bestimmt haben.

Allein zweitens ist diese Ordnung der Bevölkerung, indem sie
Grundlage aller großen Thätigkeiten der Verwaltung ist, zugleich von
nicht geringerer Wichtigkeit für das Leben des Individuums. Das
Individuum bildet nicht bloß den Grundstoff der Gemeinschaft; es ist
vielmehr auf allen Punkten von derselben beherrscht und bestimmt;
und es ist klar, daß dieß auch in Beziehung auf jene Ordnung der
Bevölkerung der Fall ist. Denn die Stellung, welche das Individuum
in der Welt einnimmt, ist eben eine Stellung innerhalb jener Ordnung;
der Wechsel, die Bewegung, der Platz, den andere in derselben ein-
nehmen, wird zu einer der Voraussetzungen seines persönlichen Lebens.
Jene Ordnung wird dadurch aus einer bloß statistischen Thatsache zu
einem Faktor der persönlichen Entwicklung, und es ist daher natürlich,

in dem zweiten Theile der Verwaltung der Bevölkerung einem ganz
andern Verhältniß.

In der Bevölkerungspolitik erſcheint die Bevölkerung noch als eine,
bloß in ihren quantitativen Verhältniſſen wechſelnde Maſſe. Sie iſt
offenbar mehr. Es leben in ihr große, dieſe ganze Maſſe durchdrin-
gende Verſchiedenheiten. Dieſe Verſchiedenheiten ſind theils perſönlicher,
theils wirthſchaftlicher, theils geſellſchaftlicher Natur. Die Geſammtheit
der Wirkungen, welche dieſe Unterſchiede im Ganzen wie für den Ein-
zelnen hervorbringen, nennen wir das Leben der Bevölkerung. In-
ſofern wir ſie aber in einem beſtimmten einzelnen Augenblicke auffaſſen,
und die Bevölkerung mit all ihren Unterſchieden für einen Moment
als ein gegebenes, ſtillſtehendes Ganze betrachten, können wir von der
Geſtalt der Bevölkerung reden, da der Ausdruck „Zuſtand“ nicht ganz
eine ſolche Vorſtellung wiedergibt. Indem wir nun erkennen, daß dieſe
Geſtalt der Bevölkerung nicht etwa eine zufällige iſt, ſondern auf be-
ſtimmten, feſten Grundlagen ruht, reden wir von einer Ordnung
der Bevölkerung.

Das Verhältniß der Verwaltung zu dieſer Geſtalt und Ordnung
der Bevölkerung muß nun als ein doppeltes aufgefaßt werden.

Zuerſt iſt ohne Zweifel dieſe Ordnung der Bevölkerung in der
That die Ordnung des perſönlichen Staatskörpers ſelbſt. Der Staat,
um ſeine eigenen Lebensverhältniſſe mit ſeinem eigenen Willen und
ſeiner eigenen That, ſeinen Geſetzen und ſeiner Verwaltung, beherrſchen
zu können, muß jene Ordnung kennen. Dieſe Kenntniß iſt kein Akt
der Verwaltung, ſondern eine Bedingung derſelben. Und wir haben
ſchon im Eingange diejenige Thätigkeit des Staats bezeichnet, welche
der Verwaltung dieſe Bedingung ſchafft. Das iſt die Statiſtik, die
wir als die Anwendung der Wiſſenſchaft der Thatſachen auf das Staats-
leben beſtimmt haben.

Allein zweitens iſt dieſe Ordnung der Bevölkerung, indem ſie
Grundlage aller großen Thätigkeiten der Verwaltung iſt, zugleich von
nicht geringerer Wichtigkeit für das Leben des Individuums. Das
Individuum bildet nicht bloß den Grundſtoff der Gemeinſchaft; es iſt
vielmehr auf allen Punkten von derſelben beherrſcht und beſtimmt;
und es iſt klar, daß dieß auch in Beziehung auf jene Ordnung der
Bevölkerung der Fall iſt. Denn die Stellung, welche das Individuum
in der Welt einnimmt, iſt eben eine Stellung innerhalb jener Ordnung;
der Wechſel, die Bewegung, der Platz, den andere in derſelben ein-
nehmen, wird zu einer der Vorausſetzungen ſeines perſönlichen Lebens.
Jene Ordnung wird dadurch aus einer bloß ſtatiſtiſchen Thatſache zu
einem Faktor der perſönlichen Entwicklung, und es iſt daher natürlich,

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[210/0232] in dem zweiten Theile der Verwaltung der Bevölkerung einem ganz andern Verhältniß. In der Bevölkerungspolitik erſcheint die Bevölkerung noch als eine, bloß in ihren quantitativen Verhältniſſen wechſelnde Maſſe. Sie iſt offenbar mehr. Es leben in ihr große, dieſe ganze Maſſe durchdrin- gende Verſchiedenheiten. Dieſe Verſchiedenheiten ſind theils perſönlicher, theils wirthſchaftlicher, theils geſellſchaftlicher Natur. Die Geſammtheit der Wirkungen, welche dieſe Unterſchiede im Ganzen wie für den Ein- zelnen hervorbringen, nennen wir das Leben der Bevölkerung. In- ſofern wir ſie aber in einem beſtimmten einzelnen Augenblicke auffaſſen, und die Bevölkerung mit all ihren Unterſchieden für einen Moment als ein gegebenes, ſtillſtehendes Ganze betrachten, können wir von der Geſtalt der Bevölkerung reden, da der Ausdruck „Zuſtand“ nicht ganz eine ſolche Vorſtellung wiedergibt. Indem wir nun erkennen, daß dieſe Geſtalt der Bevölkerung nicht etwa eine zufällige iſt, ſondern auf be- ſtimmten, feſten Grundlagen ruht, reden wir von einer Ordnung der Bevölkerung. Das Verhältniß der Verwaltung zu dieſer Geſtalt und Ordnung der Bevölkerung muß nun als ein doppeltes aufgefaßt werden. Zuerſt iſt ohne Zweifel dieſe Ordnung der Bevölkerung in der That die Ordnung des perſönlichen Staatskörpers ſelbſt. Der Staat, um ſeine eigenen Lebensverhältniſſe mit ſeinem eigenen Willen und ſeiner eigenen That, ſeinen Geſetzen und ſeiner Verwaltung, beherrſchen zu können, muß jene Ordnung kennen. Dieſe Kenntniß iſt kein Akt der Verwaltung, ſondern eine Bedingung derſelben. Und wir haben ſchon im Eingange diejenige Thätigkeit des Staats bezeichnet, welche der Verwaltung dieſe Bedingung ſchafft. Das iſt die Statiſtik, die wir als die Anwendung der Wiſſenſchaft der Thatſachen auf das Staats- leben beſtimmt haben. Allein zweitens iſt dieſe Ordnung der Bevölkerung, indem ſie Grundlage aller großen Thätigkeiten der Verwaltung iſt, zugleich von nicht geringerer Wichtigkeit für das Leben des Individuums. Das Individuum bildet nicht bloß den Grundſtoff der Gemeinſchaft; es iſt vielmehr auf allen Punkten von derſelben beherrſcht und beſtimmt; und es iſt klar, daß dieß auch in Beziehung auf jene Ordnung der Bevölkerung der Fall iſt. Denn die Stellung, welche das Individuum in der Welt einnimmt, iſt eben eine Stellung innerhalb jener Ordnung; der Wechſel, die Bewegung, der Platz, den andere in derſelben ein- nehmen, wird zu einer der Vorausſetzungen ſeines perſönlichen Lebens. Jene Ordnung wird dadurch aus einer bloß ſtatiſtiſchen Thatſache zu einem Faktor der perſönlichen Entwicklung, und es iſt daher natürlich,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/232>, abgerufen am 24.11.2024.