gearteten Menschen wird der Regel nach der mehr Besitzende in allem, wodurch das Individuum für das Ganze Werth, Einfluß und Macht hat, höher stehen, als der weniger Besitzende. Das ist kein Zweifel. Es ist ferner kein Zweifel, daß diese Größe des Besitzes nicht etwa eine bloße Thatsache ist, sondern daß sie auch zu einem höchst mächtig wir- kenden Faktor für das Leben der Menschen wird. Dieselben Menschen werden, je nachdem sie viel oder wenig besitzen, anderes thun, anderes lernen, anderes erstreben, anderes lieben und hassen. Auch das leidet keinen Zweifel. Und da es nun im Wesen der Menschen liegt, daß die Gleichartigkeit der Interessen die Gemeinschaft des Wollens und Strebens erzeugt, erst die innere und dann auch die äußere, so entstehen auf Grundlage der verschiedenen Vertheilung des Besitzes unter den Menschen Gruppen des Gesammtlebens, welche wir mit dem Ausdruck der gesellschaftlichen Classen bezeichnen. Wir erkennen nun nach den Kategorien der Größe des Besitzes drei solcher Classen, die höhere, die mittlere und die niedere Classe. Wie gesagt aber, sind diese Classen nicht etwa bloß Thatsachen und Zustände, sondern eine jede hat ihr eigenthümliches inneres Leben, dessen Elemente und Bewegungen wir eben an dem bezeichneten Orte auseinandergesetzt haben. Wir haben die Wirkung dieser Classenunterschiede für die Verfassung und die sich daran anschließenden Kämpfe eben dort organisch entwickelt; wir stehen jetzt vor der Aufgabe, den Einfluß derselben auf die Verwaltung des Staats nachzuweisen, die ohne sie gar nicht zu begreifen ist. Das wird sich im Folgenden fast in jedem Theile der Verwaltungslehre zeigen; hier zunächst erscheint dieser gesellschaftliche Grundsatz des Classenunter- schiedes nur erst in der Auswanderungslehre.
Um nun aber die rechte Bedeutung desselben zu würdigen, muß man hier zuerst die Verbindung des Classenunterschiedes mit den Ordnungen der Gesellschaft wieder hervorheben.
Wir haben die Geschlechterordnung, die ständische und die staats- bürgerliche Ordnung als die drei Grundformen der Gesellschaftsord- nungen stets unterschieden. Offenbar aber ist allen diesen drei Ord- nungen bei aller tiefer geistigen Verschiedenheit das Element des Besitzes gemein. Mithin erscheint in jeder Ordnung mit dem Besitze auch die Verschiedenheit desselben; und diese wird natürlich innerhalb jeder Ord- nung ihrer Natur nach stets gleichartig wirken. Das heißt, es werden sich nothwendig in jeder Gesellschaftsordnung die drei Classen- unterschiede wieder erzeugen. Die Geschlechterordnung sowohl als die ständische, und ebenso die staatsbürgerliche werden eine höhere, eine mittlere und eine niedere Classe haben. Und da nun, wie gesagt, diese Classenunterschiede ihr eigenes Leben und ihre Gegensätze
gearteten Menſchen wird der Regel nach der mehr Beſitzende in allem, wodurch das Individuum für das Ganze Werth, Einfluß und Macht hat, höher ſtehen, als der weniger Beſitzende. Das iſt kein Zweifel. Es iſt ferner kein Zweifel, daß dieſe Größe des Beſitzes nicht etwa eine bloße Thatſache iſt, ſondern daß ſie auch zu einem höchſt mächtig wir- kenden Faktor für das Leben der Menſchen wird. Dieſelben Menſchen werden, je nachdem ſie viel oder wenig beſitzen, anderes thun, anderes lernen, anderes erſtreben, anderes lieben und haſſen. Auch das leidet keinen Zweifel. Und da es nun im Weſen der Menſchen liegt, daß die Gleichartigkeit der Intereſſen die Gemeinſchaft des Wollens und Strebens erzeugt, erſt die innere und dann auch die äußere, ſo entſtehen auf Grundlage der verſchiedenen Vertheilung des Beſitzes unter den Menſchen Gruppen des Geſammtlebens, welche wir mit dem Ausdruck der geſellſchaftlichen Claſſen bezeichnen. Wir erkennen nun nach den Kategorien der Größe des Beſitzes drei ſolcher Claſſen, die höhere, die mittlere und die niedere Claſſe. Wie geſagt aber, ſind dieſe Claſſen nicht etwa bloß Thatſachen und Zuſtände, ſondern eine jede hat ihr eigenthümliches inneres Leben, deſſen Elemente und Bewegungen wir eben an dem bezeichneten Orte auseinandergeſetzt haben. Wir haben die Wirkung dieſer Claſſenunterſchiede für die Verfaſſung und die ſich daran anſchließenden Kämpfe eben dort organiſch entwickelt; wir ſtehen jetzt vor der Aufgabe, den Einfluß derſelben auf die Verwaltung des Staats nachzuweiſen, die ohne ſie gar nicht zu begreifen iſt. Das wird ſich im Folgenden faſt in jedem Theile der Verwaltungslehre zeigen; hier zunächſt erſcheint dieſer geſellſchaftliche Grundſatz des Claſſenunter- ſchiedes nur erſt in der Auswanderungslehre.
Um nun aber die rechte Bedeutung deſſelben zu würdigen, muß man hier zuerſt die Verbindung des Claſſenunterſchiedes mit den Ordnungen der Geſellſchaft wieder hervorheben.
Wir haben die Geſchlechterordnung, die ſtändiſche und die ſtaats- bürgerliche Ordnung als die drei Grundformen der Geſellſchaftsord- nungen ſtets unterſchieden. Offenbar aber iſt allen dieſen drei Ord- nungen bei aller tiefer geiſtigen Verſchiedenheit das Element des Beſitzes gemein. Mithin erſcheint in jeder Ordnung mit dem Beſitze auch die Verſchiedenheit deſſelben; und dieſe wird natürlich innerhalb jeder Ord- nung ihrer Natur nach ſtets gleichartig wirken. Das heißt, es werden ſich nothwendig in jeder Geſellſchaftsordnung die drei Claſſen- unterſchiede wieder erzeugen. Die Geſchlechterordnung ſowohl als die ſtändiſche, und ebenſo die ſtaatsbürgerliche werden eine höhere, eine mittlere und eine niedere Claſſe haben. Und da nun, wie geſagt, dieſe Claſſenunterſchiede ihr eigenes Leben und ihre Gegenſätze
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gearteten Menſchen wird der Regel nach der mehr Beſitzende in allem,
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Es iſt ferner kein Zweifel, daß dieſe Größe des Beſitzes nicht etwa eine
bloße Thatſache iſt, ſondern daß ſie auch zu einem höchſt mächtig wir-
kenden Faktor für das Leben der Menſchen wird. Dieſelben Menſchen
werden, je nachdem ſie viel oder wenig beſitzen, anderes thun, anderes
lernen, anderes erſtreben, anderes lieben und haſſen. Auch das leidet
keinen Zweifel. Und da es nun im Weſen der Menſchen liegt, daß
die Gleichartigkeit der Intereſſen die Gemeinſchaft des Wollens und
Strebens erzeugt, erſt die innere und dann auch die äußere, ſo entſtehen
auf Grundlage der verſchiedenen Vertheilung des Beſitzes unter den
Menſchen Gruppen des Geſammtlebens, welche wir mit dem Ausdruck
der geſellſchaftlichen Claſſen bezeichnen. Wir erkennen nun nach
den Kategorien der Größe des Beſitzes drei ſolcher Claſſen, die höhere,
die mittlere und die niedere Claſſe. Wie geſagt aber, ſind dieſe
Claſſen nicht etwa bloß Thatſachen und Zuſtände, ſondern eine jede
hat ihr eigenthümliches inneres Leben, deſſen Elemente und Bewegungen
wir eben an dem bezeichneten Orte auseinandergeſetzt haben. Wir haben
die Wirkung dieſer Claſſenunterſchiede für die Verfaſſung und die ſich
daran anſchließenden Kämpfe eben dort organiſch entwickelt; wir ſtehen
jetzt vor der Aufgabe, den Einfluß derſelben auf die Verwaltung des
Staats nachzuweiſen, die ohne ſie gar nicht zu begreifen iſt. Das wird
ſich im Folgenden faſt in jedem Theile der Verwaltungslehre zeigen;
hier zunächſt erſcheint dieſer geſellſchaftliche Grundſatz des Claſſenunter-
ſchiedes nur erſt in der Auswanderungslehre.
Um nun aber die rechte Bedeutung deſſelben zu würdigen, muß
man hier zuerſt die Verbindung des Claſſenunterſchiedes mit den
Ordnungen der Geſellſchaft wieder hervorheben.
Wir haben die Geſchlechterordnung, die ſtändiſche und die ſtaats-
bürgerliche Ordnung als die drei Grundformen der Geſellſchaftsord-
nungen ſtets unterſchieden. Offenbar aber iſt allen dieſen drei Ord-
nungen bei aller tiefer geiſtigen Verſchiedenheit das Element des Beſitzes
gemein. Mithin erſcheint in jeder Ordnung mit dem Beſitze auch die
Verſchiedenheit deſſelben; und dieſe wird natürlich innerhalb jeder Ord-
nung ihrer Natur nach ſtets gleichartig wirken. Das heißt, es werden
ſich nothwendig in jeder Geſellſchaftsordnung die drei Claſſen-
unterſchiede wieder erzeugen. Die Geſchlechterordnung ſowohl
als die ſtändiſche, und ebenſo die ſtaatsbürgerliche werden eine höhere,
eine mittlere und eine niedere Claſſe haben. Und da nun, wie
geſagt, dieſe Claſſenunterſchiede ihr eigenes Leben und ihre Gegenſätze
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/206>, abgerufen am 27.07.2024.
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