Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

erscheinen daher mit dem vorigen Jahrhundert als integrirender Theil
der Populationistik, und begleiten fast allenthalben die Theorien über
das öffentliche Recht der Ehe. Allein schon damals zeigt es sich, daß
sie, wenn sie auch mit ihrem letzten Zweck der Populationistik zufallen,
doch mit ihrem ganzen Inhalt zwei andern Gebieten angehören; einer-
seits dem Gesundheitswesen: dahin gehören die Vorschriften für
Schwangere, für die Ernährung der Kinder, für Hebammenwesen u. a.
-- und dem Hülfswesen, dem namentlich das Waisen- und Findel-
wesen angehört. Die Bestimmungen, welche die Bevölkerungspolitik in
diese Gebiete gebracht hat, sind ohne Zweifel den übrigen untergeordnet;
und wir werden sie deßhalb an ihrer Stelle behandeln, an der sich die
populationistischen Tendenzen den höheren Gesichtspunkten der Verwal-
tung von selbst einfügen.

Schon Mohl hat die Kinderpflege mit richtigem Takt aus dem Bevölke-
rungswesen weggelassen. Warum hat Gerstner sie wieder hineingebracht, zu
wenig um sie zu erschöpfen, zu viel um durch sie nicht zu stören? -- Es genügt,
daß man des Zusammenhangs dieser Vorschriften mit der Bevölkerungspolitik
sich bewußt sei.

III.
Einwanderung, Auswanderung und Colonisation.

(Die Zurückführung derselben auf die Gesellschaftsformen und die Elemente
der gesellschaftlichen Freiheit ist die Grundlage ihres Verständnisses im Allge-
meinen, und ihres öffentlichen Rechts im Besondern. Folgerungen, die sich
daraus ergeben.)

Seit es eine Populationistik gibt, bilden Einwanderung und Aus-
wanderung einen Haupttheil derselben. Wenn irgendwo, so scheint hier
das Gebiet, in welchem die Verwaltung unmittelbar eingreifen, und
durch ihre Maßregeln entweder die Bevölkerung vermehren oder ver-
mindern kann. Und während daher einerseits die Theorie reichhaltig
an Ansichten ist, ist die Gesetzgebung nicht minder reich an Vorschriften
und Maßregeln, welche sich auf jene Verhältnisse beziehen. Zugleich
aber scheint gar kein Theil der Verwaltung leichter zu verstehen als
dieser, denn einfache Gebote und Verbote scheinen hier zu genügen, und
der Erfolg scheint so bedeutend, daß es sich der Mühe lohnt, diese
Verwaltung genauer zu studiren.

Betrachtet man jedoch die Sache etwas näher, so sieht man bald,
daß sie in einem andern Lichte erscheint. Wie Einwanderung und
Auswanderung für sich, so haben auch Bestimmungen des öffentlichen
Rechts von jeher über dieselben bestanden; aber sie haben in hohem

erſcheinen daher mit dem vorigen Jahrhundert als integrirender Theil
der Populationiſtik, und begleiten faſt allenthalben die Theorien über
das öffentliche Recht der Ehe. Allein ſchon damals zeigt es ſich, daß
ſie, wenn ſie auch mit ihrem letzten Zweck der Populationiſtik zufallen,
doch mit ihrem ganzen Inhalt zwei andern Gebieten angehören; einer-
ſeits dem Geſundheitsweſen: dahin gehören die Vorſchriften für
Schwangere, für die Ernährung der Kinder, für Hebammenweſen u. a.
— und dem Hülfsweſen, dem namentlich das Waiſen- und Findel-
weſen angehört. Die Beſtimmungen, welche die Bevölkerungspolitik in
dieſe Gebiete gebracht hat, ſind ohne Zweifel den übrigen untergeordnet;
und wir werden ſie deßhalb an ihrer Stelle behandeln, an der ſich die
populationiſtiſchen Tendenzen den höheren Geſichtspunkten der Verwal-
tung von ſelbſt einfügen.

Schon Mohl hat die Kinderpflege mit richtigem Takt aus dem Bevölke-
rungsweſen weggelaſſen. Warum hat Gerſtner ſie wieder hineingebracht, zu
wenig um ſie zu erſchöpfen, zu viel um durch ſie nicht zu ſtören? — Es genügt,
daß man des Zuſammenhangs dieſer Vorſchriften mit der Bevölkerungspolitik
ſich bewußt ſei.

III.
Einwanderung, Auswanderung und Coloniſation.

(Die Zurückführung derſelben auf die Geſellſchaftsformen und die Elemente
der geſellſchaftlichen Freiheit iſt die Grundlage ihres Verſtändniſſes im Allge-
meinen, und ihres öffentlichen Rechts im Beſondern. Folgerungen, die ſich
daraus ergeben.)

Seit es eine Populationiſtik gibt, bilden Einwanderung und Aus-
wanderung einen Haupttheil derſelben. Wenn irgendwo, ſo ſcheint hier
das Gebiet, in welchem die Verwaltung unmittelbar eingreifen, und
durch ihre Maßregeln entweder die Bevölkerung vermehren oder ver-
mindern kann. Und während daher einerſeits die Theorie reichhaltig
an Anſichten iſt, iſt die Geſetzgebung nicht minder reich an Vorſchriften
und Maßregeln, welche ſich auf jene Verhältniſſe beziehen. Zugleich
aber ſcheint gar kein Theil der Verwaltung leichter zu verſtehen als
dieſer, denn einfache Gebote und Verbote ſcheinen hier zu genügen, und
der Erfolg ſcheint ſo bedeutend, daß es ſich der Mühe lohnt, dieſe
Verwaltung genauer zu ſtudiren.

Betrachtet man jedoch die Sache etwas näher, ſo ſieht man bald,
daß ſie in einem andern Lichte erſcheint. Wie Einwanderung und
Auswanderung für ſich, ſo haben auch Beſtimmungen des öffentlichen
Rechts von jeher über dieſelben beſtanden; aber ſie haben in hohem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0185" n="163"/>
er&#x017F;cheinen daher mit dem vorigen Jahrhundert als integrirender Theil<lb/>
der Populationi&#x017F;tik, und begleiten fa&#x017F;t allenthalben die Theorien über<lb/>
das öffentliche Recht der Ehe. Allein &#x017F;chon damals zeigt es &#x017F;ich, daß<lb/>
&#x017F;ie, wenn &#x017F;ie auch mit ihrem letzten Zweck der Populationi&#x017F;tik zufallen,<lb/>
doch mit ihrem ganzen Inhalt zwei andern Gebieten angehören; einer-<lb/>
&#x017F;eits dem <hi rendition="#g">Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;en</hi>: dahin gehören die Vor&#x017F;chriften für<lb/>
Schwangere, für die Ernährung der Kinder, für Hebammenwe&#x017F;en u. a.<lb/>
&#x2014; und dem <hi rendition="#g">Hülfswe&#x017F;en</hi>, dem namentlich das Wai&#x017F;en- und Findel-<lb/>
we&#x017F;en angehört. Die Be&#x017F;timmungen, welche die Bevölkerungspolitik in<lb/>
die&#x017F;e Gebiete gebracht hat, &#x017F;ind ohne Zweifel den übrigen untergeordnet;<lb/>
und wir werden &#x017F;ie deßhalb an ihrer Stelle behandeln, an der &#x017F;ich die<lb/>
populationi&#x017F;ti&#x017F;chen Tendenzen den höheren Ge&#x017F;ichtspunkten der Verwal-<lb/>
tung von &#x017F;elb&#x017F;t einfügen.</p><lb/>
                  <p>Schon <hi rendition="#g">Mohl</hi> hat die Kinderpflege mit richtigem Takt aus dem Bevölke-<lb/>
rungswe&#x017F;en weggela&#x017F;&#x017F;en. Warum hat <hi rendition="#g">Ger&#x017F;tner</hi> &#x017F;ie wieder hineingebracht, zu<lb/>
wenig um &#x017F;ie zu er&#x017F;chöpfen, zu viel um durch &#x017F;ie nicht zu &#x017F;tören? &#x2014; Es genügt,<lb/>
daß man des <hi rendition="#g">Zu&#x017F;ammenhangs</hi> die&#x017F;er Vor&#x017F;chriften mit der Bevölkerungspolitik<lb/>
&#x017F;ich bewußt &#x017F;ei.</p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
Einwanderung, Auswanderung und Coloni&#x017F;ation.</hi> </head><lb/>
                  <argument>
                    <p>(Die Zurückführung der&#x017F;elben auf die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsformen und die Elemente<lb/>
der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Freiheit i&#x017F;t die Grundlage ihres Ver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;es im Allge-<lb/>
meinen, und ihres öffentlichen Rechts im Be&#x017F;ondern. Folgerungen, die &#x017F;ich<lb/>
daraus ergeben.)</p>
                  </argument><lb/>
                  <p>Seit es eine Populationi&#x017F;tik gibt, bilden Einwanderung und Aus-<lb/>
wanderung einen Haupttheil der&#x017F;elben. Wenn irgendwo, &#x017F;o &#x017F;cheint hier<lb/>
das Gebiet, in welchem die Verwaltung unmittelbar eingreifen, und<lb/>
durch ihre Maßregeln entweder die Bevölkerung vermehren oder ver-<lb/>
mindern kann. Und während daher einer&#x017F;eits die Theorie reichhaltig<lb/>
an An&#x017F;ichten i&#x017F;t, i&#x017F;t die Ge&#x017F;etzgebung nicht minder reich an Vor&#x017F;chriften<lb/>
und Maßregeln, welche &#x017F;ich auf jene Verhältni&#x017F;&#x017F;e beziehen. Zugleich<lb/>
aber &#x017F;cheint gar kein Theil der Verwaltung leichter zu ver&#x017F;tehen als<lb/>
die&#x017F;er, denn einfache Gebote und Verbote &#x017F;cheinen hier zu genügen, und<lb/>
der Erfolg &#x017F;cheint &#x017F;o bedeutend, daß es &#x017F;ich der Mühe lohnt, die&#x017F;e<lb/>
Verwaltung genauer zu &#x017F;tudiren.</p><lb/>
                  <p>Betrachtet man jedoch die Sache etwas näher, &#x017F;o &#x017F;ieht man bald,<lb/>
daß &#x017F;ie in einem andern Lichte er&#x017F;cheint. Wie Einwanderung und<lb/>
Auswanderung für &#x017F;ich, &#x017F;o haben auch Be&#x017F;timmungen des öffentlichen<lb/>
Rechts von jeher über die&#x017F;elben be&#x017F;tanden; aber &#x017F;ie haben in <hi rendition="#g">hohem<lb/></hi></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0185] erſcheinen daher mit dem vorigen Jahrhundert als integrirender Theil der Populationiſtik, und begleiten faſt allenthalben die Theorien über das öffentliche Recht der Ehe. Allein ſchon damals zeigt es ſich, daß ſie, wenn ſie auch mit ihrem letzten Zweck der Populationiſtik zufallen, doch mit ihrem ganzen Inhalt zwei andern Gebieten angehören; einer- ſeits dem Geſundheitsweſen: dahin gehören die Vorſchriften für Schwangere, für die Ernährung der Kinder, für Hebammenweſen u. a. — und dem Hülfsweſen, dem namentlich das Waiſen- und Findel- weſen angehört. Die Beſtimmungen, welche die Bevölkerungspolitik in dieſe Gebiete gebracht hat, ſind ohne Zweifel den übrigen untergeordnet; und wir werden ſie deßhalb an ihrer Stelle behandeln, an der ſich die populationiſtiſchen Tendenzen den höheren Geſichtspunkten der Verwal- tung von ſelbſt einfügen. Schon Mohl hat die Kinderpflege mit richtigem Takt aus dem Bevölke- rungsweſen weggelaſſen. Warum hat Gerſtner ſie wieder hineingebracht, zu wenig um ſie zu erſchöpfen, zu viel um durch ſie nicht zu ſtören? — Es genügt, daß man des Zuſammenhangs dieſer Vorſchriften mit der Bevölkerungspolitik ſich bewußt ſei. III. Einwanderung, Auswanderung und Coloniſation. (Die Zurückführung derſelben auf die Geſellſchaftsformen und die Elemente der geſellſchaftlichen Freiheit iſt die Grundlage ihres Verſtändniſſes im Allge- meinen, und ihres öffentlichen Rechts im Beſondern. Folgerungen, die ſich daraus ergeben.) Seit es eine Populationiſtik gibt, bilden Einwanderung und Aus- wanderung einen Haupttheil derſelben. Wenn irgendwo, ſo ſcheint hier das Gebiet, in welchem die Verwaltung unmittelbar eingreifen, und durch ihre Maßregeln entweder die Bevölkerung vermehren oder ver- mindern kann. Und während daher einerſeits die Theorie reichhaltig an Anſichten iſt, iſt die Geſetzgebung nicht minder reich an Vorſchriften und Maßregeln, welche ſich auf jene Verhältniſſe beziehen. Zugleich aber ſcheint gar kein Theil der Verwaltung leichter zu verſtehen als dieſer, denn einfache Gebote und Verbote ſcheinen hier zu genügen, und der Erfolg ſcheint ſo bedeutend, daß es ſich der Mühe lohnt, dieſe Verwaltung genauer zu ſtudiren. Betrachtet man jedoch die Sache etwas näher, ſo ſieht man bald, daß ſie in einem andern Lichte erſcheint. Wie Einwanderung und Auswanderung für ſich, ſo haben auch Beſtimmungen des öffentlichen Rechts von jeher über dieſelben beſtanden; aber ſie haben in hohem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/185
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/185>, abgerufen am 22.12.2024.