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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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offenbar die Einführung der bürgerlichen Ehe, die dazu bestimmt ist,
nicht bloß die confessionellen, sondern auch die wirthschaftlichen Ehever-
bote der früheren Epoche zu beseitigen. Wir erkennen dabei vollständig
die edle Absicht an, wenn Männer wie Knies auch jetzt noch allerlei
Vorschläge aufstellen, welche das Eingehen leichtsinniger Ehen, die zur
Verarmung führen, von Guthaben in der Sparcasse, Betheiligung an
Unterstützungsvereinen u. dergl. abhängig machen wollen. (Knies, über
Armenpflege und Heimathsrecht, Zeitschrift für Staatswissenschaft, 1853,
Seite 323.) Allein wie man sich über die Erfolglosigkeit dieser Dinge
täuschen, oder auch nur wie Bitzer, doch noch ein wenig zweifelhaft
bleiben kann (Freizügigkeit, Seite 85--88), das verstehen wir in der
That nicht, schon dem ganz unwiderleglichen Argumente der wilden
Ehe und dem der unehelichen Kinder gegenüber, die kaum eine weitere
Discussion zulassen. Eine andere Frage freilich ist die, ob die Er-
leichterung der Ehescheidung
nicht das einzig wahre und natürliche
Mittel ist, der Ehe ihre wahre Freiheit -- die Freiheit der Selbstbe-
stimmung -- zurückzugeben. Wir halten fest an der Ueberzeugung, daß
die Zukunft des Eherechts nicht in den Bedingungen der Eingehung,
sondern in denen der Auflösung der Ehe liegt.

Dieß ist das, was wir als das System der Freiheit und der Ord-
nung des öffentlichen Eherechts der staatsbürgerlichen Gesellschaft zu
bezeichnen haben. Wir dürfen wiederholen, daß dasselbe in seiner Be-
deutung und seinem Werth nur in seinem historischen Verhältniß richtig
verstanden werden kann.

Man kann wohl sagen, daß das öffentliche Eherecht unserer Zeit in dem
obigen Sinne noch gar keine Literatur hat. Das was Mohl und Gerstner
sagen, enthält ein principienloses Wohlmeinen, in dem beide Epochen vermischt
sind. Die Verwaltungsgesetzkunden sind gezwungen, von früher her das formell
Bestehende anzuführen, und die Frage unerörtert zu lassen, wie viel davon noch
gegenwärtig beachtet wird. Man sieht aber schon aus dem Obigen, wie sehr
es zu schiefen Vorstellungen Anlaß gibt, wenn z. B. Roscher sagt, daß man
in Preußen, Frankreich und England auf jede obrigkeitliche Erschwerung der
Ehe verzichtet hat (§. 258). Es ist klar, daß er dabei nur an den Bürgerstand
im Besondern und nicht an die Bevölkerung als Ganzes gedacht hat. Die eng-
lische Gesetzgebung hat sogar ganz ausdrücklich "jede Ehe für nichtig und un-
gültig erklärt," welche ohne einen "Erlaubnißschein" des Registrars geschlossen
wird (6. 7. Will. IV. 85. s. unten). Eben so ist sein Urtheil über die standes-
mäßigen Ehebeschränkungen (ib. N. 6) einseitig. Uebrigens hat die Theorie
gerade auf diesem Gebiete viel gewirkt, und es ist wesentlich, den Gang dersel-
ben vor Augen zu haben. Bekanntlich nämlich trat dem populationistischen
Wunsche der polizeilichen Epoche nach möglichster Vermehrung der Ehe, den am
meisten Süßmilch zum Ausdruck brachte, zuerst der Instinkt der Verwaltungen

Stein, die Verwaltungslehre. II. 11

offenbar die Einführung der bürgerlichen Ehe, die dazu beſtimmt iſt,
nicht bloß die confeſſionellen, ſondern auch die wirthſchaftlichen Ehever-
bote der früheren Epoche zu beſeitigen. Wir erkennen dabei vollſtändig
die edle Abſicht an, wenn Männer wie Knies auch jetzt noch allerlei
Vorſchläge aufſtellen, welche das Eingehen leichtſinniger Ehen, die zur
Verarmung führen, von Guthaben in der Sparcaſſe, Betheiligung an
Unterſtützungsvereinen u. dergl. abhängig machen wollen. (Knies, über
Armenpflege und Heimathsrecht, Zeitſchrift für Staatswiſſenſchaft, 1853,
Seite 323.) Allein wie man ſich über die Erfolgloſigkeit dieſer Dinge
täuſchen, oder auch nur wie Bitzer, doch noch ein wenig zweifelhaft
bleiben kann (Freizügigkeit, Seite 85—88), das verſtehen wir in der
That nicht, ſchon dem ganz unwiderleglichen Argumente der wilden
Ehe und dem der unehelichen Kinder gegenüber, die kaum eine weitere
Discuſſion zulaſſen. Eine andere Frage freilich iſt die, ob die Er-
leichterung der Eheſcheidung
nicht das einzig wahre und natürliche
Mittel iſt, der Ehe ihre wahre Freiheit — die Freiheit der Selbſtbe-
ſtimmung — zurückzugeben. Wir halten feſt an der Ueberzeugung, daß
die Zukunft des Eherechts nicht in den Bedingungen der Eingehung,
ſondern in denen der Auflöſung der Ehe liegt.

Dieß iſt das, was wir als das Syſtem der Freiheit und der Ord-
nung des öffentlichen Eherechts der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft zu
bezeichnen haben. Wir dürfen wiederholen, daß daſſelbe in ſeiner Be-
deutung und ſeinem Werth nur in ſeinem hiſtoriſchen Verhältniß richtig
verſtanden werden kann.

Man kann wohl ſagen, daß das öffentliche Eherecht unſerer Zeit in dem
obigen Sinne noch gar keine Literatur hat. Das was Mohl und Gerſtner
ſagen, enthält ein principienloſes Wohlmeinen, in dem beide Epochen vermiſcht
ſind. Die Verwaltungsgeſetzkunden ſind gezwungen, von früher her das formell
Beſtehende anzuführen, und die Frage unerörtert zu laſſen, wie viel davon noch
gegenwärtig beachtet wird. Man ſieht aber ſchon aus dem Obigen, wie ſehr
es zu ſchiefen Vorſtellungen Anlaß gibt, wenn z. B. Roſcher ſagt, daß man
in Preußen, Frankreich und England auf jede obrigkeitliche Erſchwerung der
Ehe verzichtet hat (§. 258). Es iſt klar, daß er dabei nur an den Bürgerſtand
im Beſondern und nicht an die Bevölkerung als Ganzes gedacht hat. Die eng-
liſche Geſetzgebung hat ſogar ganz ausdrücklich „jede Ehe für nichtig und un-
gültig erklärt,“ welche ohne einen „Erlaubnißſchein“ des Regiſtrars geſchloſſen
wird (6. 7. Will. IV. 85. ſ. unten). Eben ſo iſt ſein Urtheil über die ſtandes-
mäßigen Ehebeſchränkungen (ib. N. 6) einſeitig. Uebrigens hat die Theorie
gerade auf dieſem Gebiete viel gewirkt, und es iſt weſentlich, den Gang derſel-
ben vor Augen zu haben. Bekanntlich nämlich trat dem populationiſtiſchen
Wunſche der polizeilichen Epoche nach möglichſter Vermehrung der Ehe, den am
meiſten Süßmilch zum Ausdruck brachte, zuerſt der Inſtinkt der Verwaltungen

Stein, die Verwaltungslehre. II. 11
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[161/0183] offenbar die Einführung der bürgerlichen Ehe, die dazu beſtimmt iſt, nicht bloß die confeſſionellen, ſondern auch die wirthſchaftlichen Ehever- bote der früheren Epoche zu beſeitigen. Wir erkennen dabei vollſtändig die edle Abſicht an, wenn Männer wie Knies auch jetzt noch allerlei Vorſchläge aufſtellen, welche das Eingehen leichtſinniger Ehen, die zur Verarmung führen, von Guthaben in der Sparcaſſe, Betheiligung an Unterſtützungsvereinen u. dergl. abhängig machen wollen. (Knies, über Armenpflege und Heimathsrecht, Zeitſchrift für Staatswiſſenſchaft, 1853, Seite 323.) Allein wie man ſich über die Erfolgloſigkeit dieſer Dinge täuſchen, oder auch nur wie Bitzer, doch noch ein wenig zweifelhaft bleiben kann (Freizügigkeit, Seite 85—88), das verſtehen wir in der That nicht, ſchon dem ganz unwiderleglichen Argumente der wilden Ehe und dem der unehelichen Kinder gegenüber, die kaum eine weitere Discuſſion zulaſſen. Eine andere Frage freilich iſt die, ob die Er- leichterung der Eheſcheidung nicht das einzig wahre und natürliche Mittel iſt, der Ehe ihre wahre Freiheit — die Freiheit der Selbſtbe- ſtimmung — zurückzugeben. Wir halten feſt an der Ueberzeugung, daß die Zukunft des Eherechts nicht in den Bedingungen der Eingehung, ſondern in denen der Auflöſung der Ehe liegt. Dieß iſt das, was wir als das Syſtem der Freiheit und der Ord- nung des öffentlichen Eherechts der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft zu bezeichnen haben. Wir dürfen wiederholen, daß daſſelbe in ſeiner Be- deutung und ſeinem Werth nur in ſeinem hiſtoriſchen Verhältniß richtig verſtanden werden kann. Man kann wohl ſagen, daß das öffentliche Eherecht unſerer Zeit in dem obigen Sinne noch gar keine Literatur hat. Das was Mohl und Gerſtner ſagen, enthält ein principienloſes Wohlmeinen, in dem beide Epochen vermiſcht ſind. Die Verwaltungsgeſetzkunden ſind gezwungen, von früher her das formell Beſtehende anzuführen, und die Frage unerörtert zu laſſen, wie viel davon noch gegenwärtig beachtet wird. Man ſieht aber ſchon aus dem Obigen, wie ſehr es zu ſchiefen Vorſtellungen Anlaß gibt, wenn z. B. Roſcher ſagt, daß man in Preußen, Frankreich und England auf jede obrigkeitliche Erſchwerung der Ehe verzichtet hat (§. 258). Es iſt klar, daß er dabei nur an den Bürgerſtand im Beſondern und nicht an die Bevölkerung als Ganzes gedacht hat. Die eng- liſche Geſetzgebung hat ſogar ganz ausdrücklich „jede Ehe für nichtig und un- gültig erklärt,“ welche ohne einen „Erlaubnißſchein“ des Regiſtrars geſchloſſen wird (6. 7. Will. IV. 85. ſ. unten). Eben ſo iſt ſein Urtheil über die ſtandes- mäßigen Ehebeſchränkungen (ib. N. 6) einſeitig. Uebrigens hat die Theorie gerade auf dieſem Gebiete viel gewirkt, und es iſt weſentlich, den Gang derſel- ben vor Augen zu haben. Bekanntlich nämlich trat dem populationiſtiſchen Wunſche der polizeilichen Epoche nach möglichſter Vermehrung der Ehe, den am meiſten Süßmilch zum Ausdruck brachte, zuerſt der Inſtinkt der Verwaltungen Stein, die Verwaltungslehre. II. 11

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/183>, abgerufen am 24.11.2024.