Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.Was zuerst die Bedingungen der Ehe betrifft, so beruhen die- Was dagegen die Ehebeschränkungen, soweit sie nicht auf Familien Was zuerſt die Bedingungen der Ehe betrifft, ſo beruhen die- Was dagegen die Ehebeſchränkungen, ſoweit ſie nicht auf Familien <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <pb facs="#f0182" n="160"/> <p>Was zuerſt die <hi rendition="#g">Bedingungen</hi> der Ehe betrifft, ſo beruhen die-<lb/> ſelben darauf, daß die Ehe als ein <hi rendition="#g">öffentlicher</hi> Akt betrachtet wird,<lb/> und daß daher die öffentliche <hi rendition="#g">Mittheilung</hi> derſelben als eine vom<lb/> Geſammtintereſſe geforderte Bedingung der Ehe erſcheint, die für ſo<lb/> nothwendig erachtet wird, daß in England und Frankreich die Ein-<lb/> gehung, ja das Recht der kirchlich <hi rendition="#g">geſchloſſenen</hi> Ehe von der Vornahme<lb/> derjenigen Akte abhängig gemacht wird, welche dieſe öffentliche Mitthei-<lb/> lung nach dem Geſetze enthalten ſollen. (S. unter <hi rendition="#g">Standesregiſter</hi><lb/> Frankreich und England.)</p><lb/> <p>Was dagegen die Ehebeſchränkungen, ſoweit ſie nicht auf Familien<lb/> und Beruf beruhen, anbelangt, ſo kann die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft<lb/> als ſolche nur <hi rendition="#g">Eine</hi> Ehebeſchränkung enthalten und durch ihr Princip<lb/> rechtfertigen. Es iſt die, welche aus der Verpflichtung folgt, daß die<lb/><hi rendition="#g">Gemeinde</hi> die <hi rendition="#g">Familie erhalten</hi> muß, wenn das Familienhaupt<lb/> es nicht vermag. Es iſt nun klar, daß es äußerlich nur <hi rendition="#g">Ein</hi> entſchei-<lb/> dendes Merkmal gibt, um dieß Unvermögen der Ehegatten zu conſta-<lb/> tiren. Das iſt die Thatſache der wirklichen <hi rendition="#g">Armenunterſtützung</hi>.<lb/> Es läßt ſich daher nicht läugnen, daß die Verweigerung drr Ehe da<lb/><hi rendition="#g">berechtigt</hi> iſt, wo die Ehegatten <hi rendition="#g">wirkliche</hi> Unterſtützung empfangen;<lb/> und dieß Recht dürfte auch wohl ein allgemein anerkanntes ſein, obwohl<lb/> es, ſoweit wir ſehen, nur ſelten ausdrücklich feſtgeſtellt iſt. Wo dagegen<lb/> eine ſolche Armenunterſtützung <hi rendition="#g">nicht vorhanden</hi> iſt, da kann auch<lb/> die Ehe nicht wegen der bloßen Wahrſcheinlichkeit oder Möglichkeit der<lb/> Verarmung <hi rendition="#g">nicht</hi> unterſagt werden. Und hier iſt der Punkt, wo die<lb/> polizeiliche Epoche von der ſtaatsbürgerlichen wenigſtens in Mitteleuropa<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi> ganz bewältigt erſcheint; denn mit der ſtaatsbürgerlichen Geſell-<lb/> ſchaft iſt zugleich das Bewußtſein des <hi rendition="#g">Claſſengegenſatzes</hi> wach ge-<lb/> worden, und hat die Furcht vor der <hi rendition="#g">Uebervölkerung</hi> erzeugt. Dieſe<lb/> aber iſt nichts als die Vorſtellung von der unorganiſchen <hi rendition="#g">Zunahme<lb/> der nichtbeſitzenden Claſſe gegenüber der beſitzenden</hi>; und<lb/> die Verwaltung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft glaubte ſich verpflichtet,<lb/> dieſer, ihrer Geſellſchaftsordnung eigenthümlichen Gefahr durch Verwal-<lb/> tungsmaßregeln zu begegnen. Auf dieſe Weiſe ward es, allerdings<lb/> unter unverkennbarer Mitwirkung großer gewerblicher Sonderintereſſen,<lb/> möglich, eine Reihe von rein <hi rendition="#g">wirthſchaftlichen</hi> Eheverboten gegen<lb/> Geſellen ꝛc. aufrecht zu halten (ſ. oben), deren Nutzloſigkeit in Beziehung<lb/> auf die Erzeugung von unverſorgten Kindern die Statiſtik genugſam<lb/> nachgewieſen hat, während die Vorſtellungen der früheren Epoche in<lb/> manchen Staaten die beſtehenden Vorſchriften der früheren Epoche noch<lb/> aufrecht halten. Es iſt mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß dieſe Reſte<lb/> der früheren Zeit bald verſchwinden werden. Das Mittel dafür iſt<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [160/0182]
Was zuerſt die Bedingungen der Ehe betrifft, ſo beruhen die-
ſelben darauf, daß die Ehe als ein öffentlicher Akt betrachtet wird,
und daß daher die öffentliche Mittheilung derſelben als eine vom
Geſammtintereſſe geforderte Bedingung der Ehe erſcheint, die für ſo
nothwendig erachtet wird, daß in England und Frankreich die Ein-
gehung, ja das Recht der kirchlich geſchloſſenen Ehe von der Vornahme
derjenigen Akte abhängig gemacht wird, welche dieſe öffentliche Mitthei-
lung nach dem Geſetze enthalten ſollen. (S. unter Standesregiſter
Frankreich und England.)
Was dagegen die Ehebeſchränkungen, ſoweit ſie nicht auf Familien
und Beruf beruhen, anbelangt, ſo kann die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft
als ſolche nur Eine Ehebeſchränkung enthalten und durch ihr Princip
rechtfertigen. Es iſt die, welche aus der Verpflichtung folgt, daß die
Gemeinde die Familie erhalten muß, wenn das Familienhaupt
es nicht vermag. Es iſt nun klar, daß es äußerlich nur Ein entſchei-
dendes Merkmal gibt, um dieß Unvermögen der Ehegatten zu conſta-
tiren. Das iſt die Thatſache der wirklichen Armenunterſtützung.
Es läßt ſich daher nicht läugnen, daß die Verweigerung drr Ehe da
berechtigt iſt, wo die Ehegatten wirkliche Unterſtützung empfangen;
und dieß Recht dürfte auch wohl ein allgemein anerkanntes ſein, obwohl
es, ſoweit wir ſehen, nur ſelten ausdrücklich feſtgeſtellt iſt. Wo dagegen
eine ſolche Armenunterſtützung nicht vorhanden iſt, da kann auch
die Ehe nicht wegen der bloßen Wahrſcheinlichkeit oder Möglichkeit der
Verarmung nicht unterſagt werden. Und hier iſt der Punkt, wo die
polizeiliche Epoche von der ſtaatsbürgerlichen wenigſtens in Mitteleuropa
nicht ganz bewältigt erſcheint; denn mit der ſtaatsbürgerlichen Geſell-
ſchaft iſt zugleich das Bewußtſein des Claſſengegenſatzes wach ge-
worden, und hat die Furcht vor der Uebervölkerung erzeugt. Dieſe
aber iſt nichts als die Vorſtellung von der unorganiſchen Zunahme
der nichtbeſitzenden Claſſe gegenüber der beſitzenden; und
die Verwaltung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft glaubte ſich verpflichtet,
dieſer, ihrer Geſellſchaftsordnung eigenthümlichen Gefahr durch Verwal-
tungsmaßregeln zu begegnen. Auf dieſe Weiſe ward es, allerdings
unter unverkennbarer Mitwirkung großer gewerblicher Sonderintereſſen,
möglich, eine Reihe von rein wirthſchaftlichen Eheverboten gegen
Geſellen ꝛc. aufrecht zu halten (ſ. oben), deren Nutzloſigkeit in Beziehung
auf die Erzeugung von unverſorgten Kindern die Statiſtik genugſam
nachgewieſen hat, während die Vorſtellungen der früheren Epoche in
manchen Staaten die beſtehenden Vorſchriften der früheren Epoche noch
aufrecht halten. Es iſt mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß dieſe Reſte
der früheren Zeit bald verſchwinden werden. Das Mittel dafür iſt
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