Gegensatze zur amtlichen Ehepolizei, entstand, von gar keiner Seite, weder von den Organen der Verwaltung, noch von der Theorie aus, dagegen ein Einspruch erhoben wurde. Dieß städtische Eherecht ist deßhalb fast so alt, wie die Rechtsbildung der Städte, und es ist ein großer Mangel, daß die Wissenschaft ihm und seiner Geschichte so wenig Aufmerksamkeit zugewendet hat. Um nicht hier zu weit zu gehen, wollen wir uns darauf beschränken, die drei großen Grundformen dieses Eherechts, die zugleich die drei großen Epochen in der öffentlichen recht- lichen Stellung der Städte überhaupt bedeuten, hier anzudeuten.
Die erste Form und Epoche dieses städtischen Eherechts beruhte auf dem Streben der Städte, an Volkszahl und damit an Kraft zuzu- nehmen. Die Folge war der ernstlichst vertheidigte Grundsatz, daß die städtische Angehörigkeit durch die Ehe mit einem Bürger gewonnen, und damit die Lösung von der grundherrlichen Abhängigkeit erzielt werde. In dieser Zeit wird die Stadt die Heimath der freien Ehe, wie sie die Trägerin der ursprünglichen Freizügigkeit geworden ist. Warum hat Mascher (Das deutsche Gewerbewesen von der frühesten Zeit bis auf die Gegenwart 1866) diese Verhältnisse nicht ernstlicher und auf die Quellen selbst zurückgehend an dem Punkte untersucht, wo er auf diese Frage zu sprechen kommt? Er hätte hier vielleicht nicht bloß einen Gedanken, sondern auch eine Thatsache zu den vielen hinzugefügt, die er in seinem sonst fleißigen Werke gesammelt hat? (Abschnitt III. Cap. 1 und 2.) -- Natürlich aber kommt in dieser Epoche das eigentliche Eherecht nicht zu eigener Form; das beginnt erst in der folgenden Epoche.
Diese zweite Epoche macht die Arbeit zünftig, und stellt unter den Bedingungen des selbständigen Betriebes das Angehören an die Stadt in die erste Reihe. Die Entscheidung über das letztere wird daher indirekt zu einer Entscheidung über die Theilnahme an dem zünftigen Gewerbebetrieb. Die Ausartung des Zunftrechts zu einem ausschließ- lichen Privilegium erzeugte daher die damals natürliche Folgerung, daß die Ehe, die jene Angehörigkeit erzeugte, nicht ohne Zustimmung der berechtigten Gewerbsmeister geschlossen werden dürfe. Anfangs mag dabei ein kräftiges ethisches Element zum Grunde gelegen haben; bald aber ward dasselbe vom kläglichsten Sonderinteresse des Zunftprivilegiums ausgebeutet. Der Sieg der Zünfte über die Geschlechter, der die ersteren zu Herren der Stadtverwaltung machte, gab ihnen das Mittel in die Hand, die darauf bezüglichen Rechtssätze in das geltende Verwaltungs- recht der Städte hineinzubringen, wo sie zwar nicht immer eine be- stimmte Formulirung fanden, aber doch in unbestrittener Geltung bestanden. Wir besitzen leider keine specielle Nachweisung über die
Gegenſatze zur amtlichen Ehepolizei, entſtand, von gar keiner Seite, weder von den Organen der Verwaltung, noch von der Theorie aus, dagegen ein Einſpruch erhoben wurde. Dieß ſtädtiſche Eherecht iſt deßhalb faſt ſo alt, wie die Rechtsbildung der Städte, und es iſt ein großer Mangel, daß die Wiſſenſchaft ihm und ſeiner Geſchichte ſo wenig Aufmerkſamkeit zugewendet hat. Um nicht hier zu weit zu gehen, wollen wir uns darauf beſchränken, die drei großen Grundformen dieſes Eherechts, die zugleich die drei großen Epochen in der öffentlichen recht- lichen Stellung der Städte überhaupt bedeuten, hier anzudeuten.
Die erſte Form und Epoche dieſes ſtädtiſchen Eherechts beruhte auf dem Streben der Städte, an Volkszahl und damit an Kraft zuzu- nehmen. Die Folge war der ernſtlichſt vertheidigte Grundſatz, daß die ſtädtiſche Angehörigkeit durch die Ehe mit einem Bürger gewonnen, und damit die Löſung von der grundherrlichen Abhängigkeit erzielt werde. In dieſer Zeit wird die Stadt die Heimath der freien Ehe, wie ſie die Trägerin der urſprünglichen Freizügigkeit geworden iſt. Warum hat Maſcher (Das deutſche Gewerbeweſen von der früheſten Zeit bis auf die Gegenwart 1866) dieſe Verhältniſſe nicht ernſtlicher und auf die Quellen ſelbſt zurückgehend an dem Punkte unterſucht, wo er auf dieſe Frage zu ſprechen kommt? Er hätte hier vielleicht nicht bloß einen Gedanken, ſondern auch eine Thatſache zu den vielen hinzugefügt, die er in ſeinem ſonſt fleißigen Werke geſammelt hat? (Abſchnitt III. Cap. 1 und 2.) — Natürlich aber kommt in dieſer Epoche das eigentliche Eherecht nicht zu eigener Form; das beginnt erſt in der folgenden Epoche.
Dieſe zweite Epoche macht die Arbeit zünftig, und ſtellt unter den Bedingungen des ſelbſtändigen Betriebes das Angehören an die Stadt in die erſte Reihe. Die Entſcheidung über das letztere wird daher indirekt zu einer Entſcheidung über die Theilnahme an dem zünftigen Gewerbebetrieb. Die Ausartung des Zunftrechts zu einem ausſchließ- lichen Privilegium erzeugte daher die damals natürliche Folgerung, daß die Ehe, die jene Angehörigkeit erzeugte, nicht ohne Zuſtimmung der berechtigten Gewerbsmeiſter geſchloſſen werden dürfe. Anfangs mag dabei ein kräftiges ethiſches Element zum Grunde gelegen haben; bald aber ward daſſelbe vom kläglichſten Sonderintereſſe des Zunftprivilegiums ausgebeutet. Der Sieg der Zünfte über die Geſchlechter, der die erſteren zu Herren der Stadtverwaltung machte, gab ihnen das Mittel in die Hand, die darauf bezüglichen Rechtsſätze in das geltende Verwaltungs- recht der Städte hineinzubringen, wo ſie zwar nicht immer eine be- ſtimmte Formulirung fanden, aber doch in unbeſtrittener Geltung beſtanden. Wir beſitzen leider keine ſpecielle Nachweiſung über die
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Gegenſatze zur amtlichen Ehepolizei, entſtand, von gar keiner Seite,
weder von den Organen der Verwaltung, noch von der Theorie aus,
dagegen ein Einſpruch erhoben wurde. Dieß ſtädtiſche Eherecht iſt
deßhalb faſt ſo alt, wie die Rechtsbildung der Städte, und es iſt ein
großer Mangel, daß die Wiſſenſchaft ihm und ſeiner Geſchichte ſo wenig
Aufmerkſamkeit zugewendet hat. Um nicht hier zu weit zu gehen,
wollen wir uns darauf beſchränken, die drei großen Grundformen dieſes
Eherechts, die zugleich die drei großen Epochen in der öffentlichen recht-
lichen Stellung der Städte überhaupt bedeuten, hier anzudeuten.
Die erſte Form und Epoche dieſes ſtädtiſchen Eherechts beruhte auf
dem Streben der Städte, an Volkszahl und damit an Kraft zuzu-
nehmen. Die Folge war der ernſtlichſt vertheidigte Grundſatz, daß die
ſtädtiſche Angehörigkeit durch die Ehe mit einem Bürger gewonnen, und
damit die Löſung von der grundherrlichen Abhängigkeit erzielt werde.
In dieſer Zeit wird die Stadt die Heimath der freien Ehe, wie ſie
die Trägerin der urſprünglichen Freizügigkeit geworden iſt. Warum hat
Maſcher (Das deutſche Gewerbeweſen von der früheſten Zeit bis auf
die Gegenwart 1866) dieſe Verhältniſſe nicht ernſtlicher und auf die
Quellen ſelbſt zurückgehend an dem Punkte unterſucht, wo er auf dieſe
Frage zu ſprechen kommt? Er hätte hier vielleicht nicht bloß einen
Gedanken, ſondern auch eine Thatſache zu den vielen hinzugefügt, die
er in ſeinem ſonſt fleißigen Werke geſammelt hat? (Abſchnitt III. Cap.
1 und 2.) — Natürlich aber kommt in dieſer Epoche das eigentliche
Eherecht nicht zu eigener Form; das beginnt erſt in der folgenden
Epoche.
Dieſe zweite Epoche macht die Arbeit zünftig, und ſtellt unter den
Bedingungen des ſelbſtändigen Betriebes das Angehören an die Stadt
in die erſte Reihe. Die Entſcheidung über das letztere wird daher
indirekt zu einer Entſcheidung über die Theilnahme an dem zünftigen
Gewerbebetrieb. Die Ausartung des Zunftrechts zu einem ausſchließ-
lichen Privilegium erzeugte daher die damals natürliche Folgerung, daß
die Ehe, die jene Angehörigkeit erzeugte, nicht ohne Zuſtimmung der
berechtigten Gewerbsmeiſter geſchloſſen werden dürfe. Anfangs mag
dabei ein kräftiges ethiſches Element zum Grunde gelegen haben; bald
aber ward daſſelbe vom kläglichſten Sonderintereſſe des Zunftprivilegiums
ausgebeutet. Der Sieg der Zünfte über die Geſchlechter, der die erſteren
zu Herren der Stadtverwaltung machte, gab ihnen das Mittel in die
Hand, die darauf bezüglichen Rechtsſätze in das geltende Verwaltungs-
recht der Städte hineinzubringen, wo ſie zwar nicht immer eine be-
ſtimmte Formulirung fanden, aber doch in unbeſtrittener Geltung
beſtanden. Wir beſitzen leider keine ſpecielle Nachweiſung über die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/172>, abgerufen am 24.11.2024.
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