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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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fast ausschließlich ein gesetzmäßiges. Die verordnende Gewalt hat grund-
sätzlich nur die reine Ausführung der Gesetze zum Inhalt. Die ganze
Gestalt des englischen Verwaltungsrechts beruht darauf, daß durch die
Verwaltung gar kein öffentliches Recht überhaupt geschaffen werden kann
und soll, selbst nicht das öffentliche Recht einer einzelnen Persönlichkeit
oder einer einzelnen Unternehmung. So wie es sich in irgend einer
Weise um dauernde Rechte handelt, muß die gesetzgebende Gewalt ein-
treten und die Verordnung in der Gestalt der Gesetze erlas-
sen
. Nur die ganz untergeordneten, dem täglichen und rein örtlichen
Wechsel angehörigen Verhältnisse bilden noch das Gebiet der Verord-
nung, und auch zu diesen haben die Organe der vollziehenden Gewalt
nur dann ein Recht, wenn es ihnen ausdrücklich zugestanden ist. Dieser
Charakter des englischen Verwaltungsrechts zeigt sich hauptsächlich in
drei Punkten. Erstlich darin, daß alles dasjenige, was wir unter
dem weiten Begriff der administrativen Genehmigung als Bewilligung,
Concessionen an Einzelne und Gesellschaften u. s. w. zusammenfassen,
in England Gegenstand der parlamentarischen Gesetzgebung ist. Alle
diese Entscheidungen, welche sonst in der Natur der Verwaltung liegen,
werden durch das Parlament in der vollen Form der Gesetze erlassen,
und bilden den zweiten, auch officiell geschiedenen Theil der jährlichen
Gesetzgebung als "Private Bills." Die Form dieser Gesetzgebung ist
zwar im Einzelnen verschieden von der eigentlichen Gesetzgebung, im
Wesentlichen jedoch dieselbe. Für jeden solchen Antrag wird nämlich
ein eigenes Comite aufgestellt, welches die Information der Sache
hat, seinerseits Sachverständige abhört, die Akten sammelt, die Ver-
handlungen leitet und den Schlußantrag beim Parlamente stellt, der
dann fast unbedingt von demselben angenommen wird. Das scheint
die freieste Form des Verordnungsrechts, ist aber in der That fast in
jeder Beziehung theurer und schlechter als die amtliche Verhandlung und
Entscheidung im Verordnungswege. -- Zweitens ist es dem obigen
Charakter nach unmöglich, daß je in einem Gesetze die aus Frankreich
stammende Vollzugsclausel "Unser Minister ist mit der Ausführung
dieses Gesetzes beauftragt" -- hinzugefügt werden könne. Denn, wie
wir bereits in der Darstellung der vollziehenden Gewalt gesehen, die
Vollziehung in England beruht auf dem System der öffentlichen Klage,
und auch bei dem Beamteten die Vollziehung des Gesetzes kann nur
der Richter mit seinem Urtheilsspruch die letztere hervorbringen. --
Drittens endlich hat die in Form der Gesetze erscheinende Verordnung
eben deßhalb auch ganz andere Gränzen als die continentale. So wie
ein Recht einer Selbstverwaltung oder eines Privattitels ihr gegenüber
steht, wird die englische Verordnung stets den Charakter des facultativen,

faſt ausſchließlich ein geſetzmäßiges. Die verordnende Gewalt hat grund-
ſätzlich nur die reine Ausführung der Geſetze zum Inhalt. Die ganze
Geſtalt des engliſchen Verwaltungsrechts beruht darauf, daß durch die
Verwaltung gar kein öffentliches Recht überhaupt geſchaffen werden kann
und ſoll, ſelbſt nicht das öffentliche Recht einer einzelnen Perſönlichkeit
oder einer einzelnen Unternehmung. So wie es ſich in irgend einer
Weiſe um dauernde Rechte handelt, muß die geſetzgebende Gewalt ein-
treten und die Verordnung in der Geſtalt der Geſetze erlaſ-
ſen
. Nur die ganz untergeordneten, dem täglichen und rein örtlichen
Wechſel angehörigen Verhältniſſe bilden noch das Gebiet der Verord-
nung, und auch zu dieſen haben die Organe der vollziehenden Gewalt
nur dann ein Recht, wenn es ihnen ausdrücklich zugeſtanden iſt. Dieſer
Charakter des engliſchen Verwaltungsrechts zeigt ſich hauptſächlich in
drei Punkten. Erſtlich darin, daß alles dasjenige, was wir unter
dem weiten Begriff der adminiſtrativen Genehmigung als Bewilligung,
Conceſſionen an Einzelne und Geſellſchaften u. ſ. w. zuſammenfaſſen,
in England Gegenſtand der parlamentariſchen Geſetzgebung iſt. Alle
dieſe Entſcheidungen, welche ſonſt in der Natur der Verwaltung liegen,
werden durch das Parlament in der vollen Form der Geſetze erlaſſen,
und bilden den zweiten, auch officiell geſchiedenen Theil der jährlichen
Geſetzgebung als „Private Bills.“ Die Form dieſer Geſetzgebung iſt
zwar im Einzelnen verſchieden von der eigentlichen Geſetzgebung, im
Weſentlichen jedoch dieſelbe. Für jeden ſolchen Antrag wird nämlich
ein eigenes Comité aufgeſtellt, welches die Information der Sache
hat, ſeinerſeits Sachverſtändige abhört, die Akten ſammelt, die Ver-
handlungen leitet und den Schlußantrag beim Parlamente ſtellt, der
dann faſt unbedingt von demſelben angenommen wird. Das ſcheint
die freieſte Form des Verordnungsrechts, iſt aber in der That faſt in
jeder Beziehung theurer und ſchlechter als die amtliche Verhandlung und
Entſcheidung im Verordnungswege. — Zweitens iſt es dem obigen
Charakter nach unmöglich, daß je in einem Geſetze die aus Frankreich
ſtammende Vollzugsclauſel „Unſer Miniſter iſt mit der Ausführung
dieſes Geſetzes beauftragt“ — hinzugefügt werden könne. Denn, wie
wir bereits in der Darſtellung der vollziehenden Gewalt geſehen, die
Vollziehung in England beruht auf dem Syſtem der öffentlichen Klage,
und auch bei dem Beamteten die Vollziehung des Geſetzes kann nur
der Richter mit ſeinem Urtheilsſpruch die letztere hervorbringen. —
Drittens endlich hat die in Form der Geſetze erſcheinende Verordnung
eben deßhalb auch ganz andere Gränzen als die continentale. So wie
ein Recht einer Selbſtverwaltung oder eines Privattitels ihr gegenüber
ſteht, wird die engliſche Verordnung ſtets den Charakter des facultativen,

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[87/0109] faſt ausſchließlich ein geſetzmäßiges. Die verordnende Gewalt hat grund- ſätzlich nur die reine Ausführung der Geſetze zum Inhalt. Die ganze Geſtalt des engliſchen Verwaltungsrechts beruht darauf, daß durch die Verwaltung gar kein öffentliches Recht überhaupt geſchaffen werden kann und ſoll, ſelbſt nicht das öffentliche Recht einer einzelnen Perſönlichkeit oder einer einzelnen Unternehmung. So wie es ſich in irgend einer Weiſe um dauernde Rechte handelt, muß die geſetzgebende Gewalt ein- treten und die Verordnung in der Geſtalt der Geſetze erlaſ- ſen. Nur die ganz untergeordneten, dem täglichen und rein örtlichen Wechſel angehörigen Verhältniſſe bilden noch das Gebiet der Verord- nung, und auch zu dieſen haben die Organe der vollziehenden Gewalt nur dann ein Recht, wenn es ihnen ausdrücklich zugeſtanden iſt. Dieſer Charakter des engliſchen Verwaltungsrechts zeigt ſich hauptſächlich in drei Punkten. Erſtlich darin, daß alles dasjenige, was wir unter dem weiten Begriff der adminiſtrativen Genehmigung als Bewilligung, Conceſſionen an Einzelne und Geſellſchaften u. ſ. w. zuſammenfaſſen, in England Gegenſtand der parlamentariſchen Geſetzgebung iſt. Alle dieſe Entſcheidungen, welche ſonſt in der Natur der Verwaltung liegen, werden durch das Parlament in der vollen Form der Geſetze erlaſſen, und bilden den zweiten, auch officiell geſchiedenen Theil der jährlichen Geſetzgebung als „Private Bills.“ Die Form dieſer Geſetzgebung iſt zwar im Einzelnen verſchieden von der eigentlichen Geſetzgebung, im Weſentlichen jedoch dieſelbe. Für jeden ſolchen Antrag wird nämlich ein eigenes Comité aufgeſtellt, welches die Information der Sache hat, ſeinerſeits Sachverſtändige abhört, die Akten ſammelt, die Ver- handlungen leitet und den Schlußantrag beim Parlamente ſtellt, der dann faſt unbedingt von demſelben angenommen wird. Das ſcheint die freieſte Form des Verordnungsrechts, iſt aber in der That faſt in jeder Beziehung theurer und ſchlechter als die amtliche Verhandlung und Entſcheidung im Verordnungswege. — Zweitens iſt es dem obigen Charakter nach unmöglich, daß je in einem Geſetze die aus Frankreich ſtammende Vollzugsclauſel „Unſer Miniſter iſt mit der Ausführung dieſes Geſetzes beauftragt“ — hinzugefügt werden könne. Denn, wie wir bereits in der Darſtellung der vollziehenden Gewalt geſehen, die Vollziehung in England beruht auf dem Syſtem der öffentlichen Klage, und auch bei dem Beamteten die Vollziehung des Geſetzes kann nur der Richter mit ſeinem Urtheilsſpruch die letztere hervorbringen. — Drittens endlich hat die in Form der Geſetze erſcheinende Verordnung eben deßhalb auch ganz andere Gränzen als die continentale. So wie ein Recht einer Selbſtverwaltung oder eines Privattitels ihr gegenüber ſteht, wird die engliſche Verordnung ſtets den Charakter des facultativen,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/109>, abgerufen am 09.11.2024.