Verwaltungsaufgaben von Seiten der, dem Volksleben selbständig gegen- über stehenden Staatsgewalt, das Verwaltungsrecht, insofern es Inhalt von Gesetzen ist, dagegen zugleich die Auffassung des Volkes von seinem eigenen innern Leben und seinen Bedürfnissen ausdrückt. Der Unterschied von Gesetz und Verordnung, äußerlich nur ein formeller, wird dadurch zu einem tief greifenden Unterschied des materiellen In- halts. Das verordnungsmäßige Verwaltungsrecht wird stets das reine Gesammtinteresse zum Inhalt haben, oder es doch zum Inhalte zu haben glauben. Es wird stets geneigt sein, die gegebenen Besonder- heiten des Lebens, die Sonderinteressen, die Gewährungen und Vorur- theile der Einzelnen und ganzer Staatstheile gering zu achten, und sich wenig um den wirklich vorhandenen Bildungsgrad des Volkes kümmern, leicht vergessend, daß in diesem die erste Bedingung der größten Erfolge jeder Maßregel des Staats liegt. Es wird dafür der Regel nach immer bestrebt sein, das an sich Wichtige und Zweckmäßige rücksichtslos zur Geltung zu bringen. Es wird sich auf die bessere Natur der Sache und auf die lebhafte Unterstützung der Gebildeten verlassen, aber nicht immer die Billigung und stille, oder doch so starke Unterstützung von Seiten des Volkslebens finden. Es wird daher zwar wahr, aber oft unzeitgemäß und unzweckmäßig, und fast immer hart erscheinen, und noch härter in der Hand seiner ausführenden Organe werden. Es hat vermöge der Einheit seiner Organe, des Amtswesens, große Neigung zur systematischen Einheit der Anordnungen, aber in dieser Einheit läuft es leicht Gefahr, unausführbar in wichtigen einzelnen Fällen zu werden. Es trägt aus allen diesen Gründen den Charakter einer herrschenden, oft geradezu äußerlichen Gewalt; es erscheint als ein Rechtssystem, dem man gehorcht, weil man gehorchen muß. Es kann daher seinem In- halte nach frei sein; seiner Form nach wird es stets als ein unfreies erscheinen. -- Das gesetzmäßige Verwaltungsrecht dagegen wird an sich niemals leicht aus einem Princip, sondern fast immer nur aus einem wirklichen Bedürfniß hervorgehen. Es wird sich deßhalb stets mehr an das wirkliche Leben anschließen; es wird nicht darnach trachten, ein System zu werden, sondern nur den praktischen Lebensverhältnissen zu entsprechen. Es wird durch die Theilnahme des Volkes an seiner Bil- dung, wie es aus demselben hervorgeht, auch in demselben von dem Einzelnen anerkannt und zwangslos gehalten werden. Es steht nicht da als rein objektiv geltende Macht, sondern als ein Theil des Volks- lebens, und ist, allen verständlich, auch allen, die es sich je selber gesetzt haben, lieb und recht. Dagegen aber läuft es Gefahr, nicht bloß einer beschränkten Auffassung im Ganzen zu unterliegen, und weil es sich nur an bereits lebhaft und zugleich allgemein gefühlte Bedürfnisse
Verwaltungsaufgaben von Seiten der, dem Volksleben ſelbſtändig gegen- über ſtehenden Staatsgewalt, das Verwaltungsrecht, inſofern es Inhalt von Geſetzen iſt, dagegen zugleich die Auffaſſung des Volkes von ſeinem eigenen innern Leben und ſeinen Bedürfniſſen ausdrückt. Der Unterſchied von Geſetz und Verordnung, äußerlich nur ein formeller, wird dadurch zu einem tief greifenden Unterſchied des materiellen In- halts. Das verordnungsmäßige Verwaltungsrecht wird ſtets das reine Geſammtintereſſe zum Inhalt haben, oder es doch zum Inhalte zu haben glauben. Es wird ſtets geneigt ſein, die gegebenen Beſonder- heiten des Lebens, die Sonderintereſſen, die Gewährungen und Vorur- theile der Einzelnen und ganzer Staatstheile gering zu achten, und ſich wenig um den wirklich vorhandenen Bildungsgrad des Volkes kümmern, leicht vergeſſend, daß in dieſem die erſte Bedingung der größten Erfolge jeder Maßregel des Staats liegt. Es wird dafür der Regel nach immer beſtrebt ſein, das an ſich Wichtige und Zweckmäßige rückſichtslos zur Geltung zu bringen. Es wird ſich auf die beſſere Natur der Sache und auf die lebhafte Unterſtützung der Gebildeten verlaſſen, aber nicht immer die Billigung und ſtille, oder doch ſo ſtarke Unterſtützung von Seiten des Volkslebens finden. Es wird daher zwar wahr, aber oft unzeitgemäß und unzweckmäßig, und faſt immer hart erſcheinen, und noch härter in der Hand ſeiner ausführenden Organe werden. Es hat vermöge der Einheit ſeiner Organe, des Amtsweſens, große Neigung zur ſyſtematiſchen Einheit der Anordnungen, aber in dieſer Einheit läuft es leicht Gefahr, unausführbar in wichtigen einzelnen Fällen zu werden. Es trägt aus allen dieſen Gründen den Charakter einer herrſchenden, oft geradezu äußerlichen Gewalt; es erſcheint als ein Rechtsſyſtem, dem man gehorcht, weil man gehorchen muß. Es kann daher ſeinem In- halte nach frei ſein; ſeiner Form nach wird es ſtets als ein unfreies erſcheinen. — Das geſetzmäßige Verwaltungsrecht dagegen wird an ſich niemals leicht aus einem Princip, ſondern faſt immer nur aus einem wirklichen Bedürfniß hervorgehen. Es wird ſich deßhalb ſtets mehr an das wirkliche Leben anſchließen; es wird nicht darnach trachten, ein Syſtem zu werden, ſondern nur den praktiſchen Lebensverhältniſſen zu entſprechen. Es wird durch die Theilnahme des Volkes an ſeiner Bil- dung, wie es aus demſelben hervorgeht, auch in demſelben von dem Einzelnen anerkannt und zwangslos gehalten werden. Es ſteht nicht da als rein objektiv geltende Macht, ſondern als ein Theil des Volks- lebens, und iſt, allen verſtändlich, auch allen, die es ſich je ſelber geſetzt haben, lieb und recht. Dagegen aber läuft es Gefahr, nicht bloß einer beſchränkten Auffaſſung im Ganzen zu unterliegen, und weil es ſich nur an bereits lebhaft und zugleich allgemein gefühlte Bedürfniſſe
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Verwaltungsaufgaben von Seiten der, dem Volksleben ſelbſtändig gegen-
über ſtehenden Staatsgewalt, das Verwaltungsrecht, inſofern es
Inhalt von Geſetzen iſt, dagegen zugleich die Auffaſſung des Volkes von
ſeinem eigenen innern Leben und ſeinen Bedürfniſſen ausdrückt. Der
Unterſchied von Geſetz und Verordnung, äußerlich nur ein formeller,
wird dadurch zu einem tief greifenden Unterſchied des materiellen In-
halts. Das verordnungsmäßige Verwaltungsrecht wird ſtets das reine
Geſammtintereſſe zum Inhalt haben, oder es doch zum Inhalte zu
haben glauben. Es wird ſtets geneigt ſein, die gegebenen Beſonder-
heiten des Lebens, die Sonderintereſſen, die Gewährungen und Vorur-
theile der Einzelnen und ganzer Staatstheile gering zu achten, und ſich
wenig um den wirklich vorhandenen Bildungsgrad des Volkes kümmern,
leicht vergeſſend, daß in dieſem die erſte Bedingung der größten Erfolge
jeder Maßregel des Staats liegt. Es wird dafür der Regel nach
immer beſtrebt ſein, das an ſich Wichtige und Zweckmäßige rückſichtslos
zur Geltung zu bringen. Es wird ſich auf die beſſere Natur der Sache
und auf die lebhafte Unterſtützung der Gebildeten verlaſſen, aber nicht
immer die Billigung und ſtille, oder doch ſo ſtarke Unterſtützung von
Seiten des Volkslebens finden. Es wird daher zwar wahr, aber oft
unzeitgemäß und unzweckmäßig, und faſt immer hart erſcheinen, und
noch härter in der Hand ſeiner ausführenden Organe werden. Es hat
vermöge der Einheit ſeiner Organe, des Amtsweſens, große Neigung
zur ſyſtematiſchen Einheit der Anordnungen, aber in dieſer Einheit läuft
es leicht Gefahr, unausführbar in wichtigen einzelnen Fällen zu werden.
Es trägt aus allen dieſen Gründen den Charakter einer herrſchenden,
oft geradezu äußerlichen Gewalt; es erſcheint als ein Rechtsſyſtem, dem
man gehorcht, weil man gehorchen muß. Es kann daher ſeinem In-
halte nach frei ſein; ſeiner Form nach wird es ſtets als ein unfreies
erſcheinen. — Das geſetzmäßige Verwaltungsrecht dagegen wird an ſich
niemals leicht aus einem Princip, ſondern faſt immer nur aus einem
wirklichen Bedürfniß hervorgehen. Es wird ſich deßhalb ſtets mehr an
das wirkliche Leben anſchließen; es wird nicht darnach trachten, ein
Syſtem zu werden, ſondern nur den praktiſchen Lebensverhältniſſen zu
entſprechen. Es wird durch die Theilnahme des Volkes an ſeiner Bil-
dung, wie es aus demſelben hervorgeht, auch in demſelben von dem
Einzelnen anerkannt und zwangslos gehalten werden. Es ſteht nicht
da als rein objektiv geltende Macht, ſondern als ein Theil des Volks-
lebens, und iſt, allen verſtändlich, auch allen, die es ſich je ſelber
geſetzt haben, lieb und recht. Dagegen aber läuft es Gefahr, nicht
bloß einer beſchränkten Auffaſſung im Ganzen zu unterliegen, und weil
es ſich nur an bereits lebhaft und zugleich allgemein gefühlte Bedürfniſſe
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/102>, abgerufen am 04.12.2024.
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