Vereinsrechts in einem Zustand finden will, in welchem die Regierung ohne allen Einfluß auf das letztere ist. Das kann kein Verständiger denken. Dennoch hat auch jene Auffassung ihren Grund. Man muß Anlaß und Inhalt des Wirkens vor Augen haben, um über den Gegen- stand entscheiden zu können.
Der Verein ist nämlich diejenige Vereinigung, welche die Er- füllung irgend eines öffentlichen Zweckes zum Gegenstande ihrer Thätig- keit hat. Der Verein ist daher ein allerdings höchst freier, aber er ist stets eine Form und ein Glied der Selbstverwaltung. Er gehört damit dem Organismus des Staatslebens. Es ist damit aber zugleich der Satz gegeben, daß der letztere, indem er den Verein als einen Theil seiner selbst betrachtet, eben in seiner eigenen Natur die Bedingungen haben, und demgemäß auch setzen muß, unter welchen dieß der Fall ist, das ist, unter denen der Verein sich als seinen Theil erklärt. Es ist nicht denkbar, daß dieser Theil dem Ganzen, dem Staate, in seiner Organi- sation die Bedingungen einseitig vorschreiben dürfe, mit denen der letztere diesen Theil aufzunehmen hat; das scheint unzweifelhaft. Es muß dem Staate das Recht zustehen, darüber zu entscheiden, ob er den Verein in sich als ein mitarbeitendes Organ für seine Zwecke gebrauchen kann oder nicht. Hat die Vereinigung keine solche Staatszwecke, so ist sie eben kein Verein, hat sie sie aber, so muß sie sich in Zweck und Thätigkeit in Harmonie mit der Regierung setzen, und darüber kann nur die letztere faktisch entscheiden, weil sie das Staatsleben kennt, und sie muß rechtlich darüber entscheiden können, weil sie sonst für die wirk- liche Verwaltung keine Verantwortlichkeit übernehmen kann. Das alles ist wohl sehr klar.
Andererseits ist der Verein die freieste Form der Betheiligung der einzelnen Staatskörper an der Verwaltung. Das ist sein Wesen. Wenn nun der Staat wieder über diese Form entscheiden soll, so ver- liert sie gerade das, was ihre eigenste Natur ausmacht, die Selbst- bestimmung über ihre Organisation. Andererseits ist nicht jede Vereini- gung ein Verein. Gesetzt, man gäbe dem Staate das Recht, über die Bildung eines Vereins zu entscheiden, kann er vernünftiger Weise damit auch das Recht haben, über die Bildung jeder Vereinigung, namentlich über die jeder Gesellschaft zu bestimmen? Hat er das letztere Recht nicht, wer soll die Gränze zwischen demselben und dem ersteren bestimmen? Und soll der Staat sie bestimmen, ist es da möglich, daß er nicht am Ende doch bei jeder Vereinigung unter jenem Titel seine Zustimmung fordert? Ist aber das wieder der Fall, muß man da nicht sagen, daß es besser wäre, ihm das Recht der Zustimmung auch für die Bil- dung von wirklichen Vereinen zu nehmen, damit der unvermeidliche
Vereinsrechts in einem Zuſtand finden will, in welchem die Regierung ohne allen Einfluß auf das letztere iſt. Das kann kein Verſtändiger denken. Dennoch hat auch jene Auffaſſung ihren Grund. Man muß Anlaß und Inhalt des Wirkens vor Augen haben, um über den Gegen- ſtand entſcheiden zu können.
Der Verein iſt nämlich diejenige Vereinigung, welche die Er- füllung irgend eines öffentlichen Zweckes zum Gegenſtande ihrer Thätig- keit hat. Der Verein iſt daher ein allerdings höchſt freier, aber er iſt ſtets eine Form und ein Glied der Selbſtverwaltung. Er gehört damit dem Organismus des Staatslebens. Es iſt damit aber zugleich der Satz gegeben, daß der letztere, indem er den Verein als einen Theil ſeiner ſelbſt betrachtet, eben in ſeiner eigenen Natur die Bedingungen haben, und demgemäß auch ſetzen muß, unter welchen dieß der Fall iſt, das iſt, unter denen der Verein ſich als ſeinen Theil erklärt. Es iſt nicht denkbar, daß dieſer Theil dem Ganzen, dem Staate, in ſeiner Organi- ſation die Bedingungen einſeitig vorſchreiben dürfe, mit denen der letztere dieſen Theil aufzunehmen hat; das ſcheint unzweifelhaft. Es muß dem Staate das Recht zuſtehen, darüber zu entſcheiden, ob er den Verein in ſich als ein mitarbeitendes Organ für ſeine Zwecke gebrauchen kann oder nicht. Hat die Vereinigung keine ſolche Staatszwecke, ſo iſt ſie eben kein Verein, hat ſie ſie aber, ſo muß ſie ſich in Zweck und Thätigkeit in Harmonie mit der Regierung ſetzen, und darüber kann nur die letztere faktiſch entſcheiden, weil ſie das Staatsleben kennt, und ſie muß rechtlich darüber entſcheiden können, weil ſie ſonſt für die wirk- liche Verwaltung keine Verantwortlichkeit übernehmen kann. Das alles iſt wohl ſehr klar.
Andererſeits iſt der Verein die freieſte Form der Betheiligung der einzelnen Staatskörper an der Verwaltung. Das iſt ſein Weſen. Wenn nun der Staat wieder über dieſe Form entſcheiden ſoll, ſo ver- liert ſie gerade das, was ihre eigenſte Natur ausmacht, die Selbſt- beſtimmung über ihre Organiſation. Andererſeits iſt nicht jede Vereini- gung ein Verein. Geſetzt, man gäbe dem Staate das Recht, über die Bildung eines Vereins zu entſcheiden, kann er vernünftiger Weiſe damit auch das Recht haben, über die Bildung jeder Vereinigung, namentlich über die jeder Geſellſchaft zu beſtimmen? Hat er das letztere Recht nicht, wer ſoll die Gränze zwiſchen demſelben und dem erſteren beſtimmen? Und ſoll der Staat ſie beſtimmen, iſt es da möglich, daß er nicht am Ende doch bei jeder Vereinigung unter jenem Titel ſeine Zuſtimmung fordert? Iſt aber das wieder der Fall, muß man da nicht ſagen, daß es beſſer wäre, ihm das Recht der Zuſtimmung auch für die Bil- dung von wirklichen Vereinen zu nehmen, damit der unvermeidliche
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Vereinsrechts in einem Zuſtand finden will, in welchem die Regierung
ohne allen Einfluß auf das letztere iſt. Das kann kein Verſtändiger
denken. Dennoch hat auch jene Auffaſſung ihren Grund. Man muß
Anlaß und Inhalt des Wirkens vor Augen haben, um über den Gegen-
ſtand entſcheiden zu können.
Der Verein iſt nämlich diejenige Vereinigung, welche die Er-
füllung irgend eines öffentlichen Zweckes zum Gegenſtande ihrer Thätig-
keit hat. Der Verein iſt daher ein allerdings höchſt freier, aber er iſt
ſtets eine Form und ein Glied der Selbſtverwaltung. Er gehört damit
dem Organismus des Staatslebens. Es iſt damit aber zugleich der Satz
gegeben, daß der letztere, indem er den Verein als einen Theil ſeiner
ſelbſt betrachtet, eben in ſeiner eigenen Natur die Bedingungen haben,
und demgemäß auch ſetzen muß, unter welchen dieß der Fall iſt, das
iſt, unter denen der Verein ſich als ſeinen Theil erklärt. Es iſt nicht
denkbar, daß dieſer Theil dem Ganzen, dem Staate, in ſeiner Organi-
ſation die Bedingungen einſeitig vorſchreiben dürfe, mit denen der
letztere dieſen Theil aufzunehmen hat; das ſcheint unzweifelhaft. Es
muß dem Staate das Recht zuſtehen, darüber zu entſcheiden, ob er den
Verein in ſich als ein mitarbeitendes Organ für ſeine Zwecke gebrauchen
kann oder nicht. Hat die Vereinigung keine ſolche Staatszwecke, ſo iſt
ſie eben kein Verein, hat ſie ſie aber, ſo muß ſie ſich in Zweck und
Thätigkeit in Harmonie mit der Regierung ſetzen, und darüber kann
nur die letztere faktiſch entſcheiden, weil ſie das Staatsleben kennt, und
ſie muß rechtlich darüber entſcheiden können, weil ſie ſonſt für die wirk-
liche Verwaltung keine Verantwortlichkeit übernehmen kann. Das alles
iſt wohl ſehr klar.
Andererſeits iſt der Verein die freieſte Form der Betheiligung der
einzelnen Staatskörper an der Verwaltung. Das iſt ſein Weſen.
Wenn nun der Staat wieder über dieſe Form entſcheiden ſoll, ſo ver-
liert ſie gerade das, was ihre eigenſte Natur ausmacht, die Selbſt-
beſtimmung über ihre Organiſation. Andererſeits iſt nicht jede Vereini-
gung ein Verein. Geſetzt, man gäbe dem Staate das Recht, über die
Bildung eines Vereins zu entſcheiden, kann er vernünftiger Weiſe damit
auch das Recht haben, über die Bildung jeder Vereinigung, namentlich
über die jeder Geſellſchaft zu beſtimmen? Hat er das letztere Recht nicht,
wer ſoll die Gränze zwiſchen demſelben und dem erſteren beſtimmen?
Und ſoll der Staat ſie beſtimmen, iſt es da möglich, daß er nicht am
Ende doch bei jeder Vereinigung unter jenem Titel ſeine Zuſtimmung
fordert? Iſt aber das wieder der Fall, muß man da nicht ſagen,
daß es beſſer wäre, ihm das Recht der Zuſtimmung auch für die Bil-
dung von wirklichen Vereinen zu nehmen, damit der unvermeidliche
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/642>, abgerufen am 22.11.2024.
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