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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Tüchtigkeit das zweite Element, das Kapital, darzubieten, und die
freie Entwicklung desselben damit von der Herrschaft des fremden Kapitals
und seiner besonderen Interessen unabhängig zu machen. Die Wichtig-
keit dieser großen Funktion steigt in dem Grade, in welchem das Kapital
selbst zu einer herrschenden Bedingung für das wirthschaftliche Unter-
nehmen, die Ausdehnung und der Erfolg des letzteren aber zu einer
Bedingung für die gesellschaftliche Stellung des Einzelnen wird. In
dem Gebiete dieser Aufgabe liegt daher die eigentliche Lösung des Ge-
gensatzes der Klassen in der industriellen Gesellschaft, die wir die staats-
bürgerliche nennen, weil sie die Idee der Gleichheit als Grundlage hat.
Denn nirgends wird jener Gegensatz so tief gefühlt, als da, wo die
persönlichen, oft mit schwerer Arbeit gewonnenen Elemente der gesell-
schaftlichen Geltung vorhanden sind, und nur das Kapital denselben
noch fehlt, ohne daß die höchste individuelle Tüchtigkeit dasselbe er-
reichen könnte. Es ist aber ganz unmöglich, dieß Kapital entweder
vom Staate, oder von Einzelnen zu fordern; es kann absolut kein
Kapital, seiner eigensten Natur nach, hergegeben werden, wenn es nicht
einen Verdienst macht, der stets im umgekehrten Verhältniß zu seiner
Sicherheit steht. Die socialen Kreditvereine sind daher nothwendig
Unternehmungen, und zwar solche, die bei einem zunächst rein
wirthschaftlichen Zweck einen socialen Gedanken erfüllen. In dem letz-
teren Momente nun liegt es, daß sie fast nur auf Gegenseitigkeit be-
ruhen können und sollen, und zwar theils aus wirthschaftlichen Gründen
darum, weil der Gewinn gerade bei diesem socialen Kredit naturgemäß
immer der größte ist, und da dieser Gewinn den Kreditgebern zufällt,
die Kreditnehmer selbst zugleich Kreditgeber sein müssen, wenn sie eben
den Vortheil des Kredits mit dem des Darlehens verbinden, und so mit
ihrem kleinen Kredit ein größeres Kapital zu erwerben streben, -- theils
auch vom höheren gesellschaftlichen Standpunkte, weil die Gegenseitig-
keit allein die Unabhängigkeit des Kreditnehmers vom Kreditgeber, der
Arbeit vom Kapitale begründet. Mit Recht sehen wir daher in diesem
Vereine die höchste Erscheinung der socialen Vereine, diejenige, in
welcher die Selbsthülfe die wirthschaftliche Unabhängigkeit durch freie
Vereinigung der Kräfte überwindet; eine Erscheinung, welche dazu be-
stimmt ist, die großartigsten Resultate auf einem reichen, und im Grunde
noch wenig bekannten Gebiete zu gewinnen! --

Dieß nun sind die Grundlagen des Systems des Vereinswesens, die Haupt-
kategorien seiner Arten und Gestaltungen. Es dürften wohl so ziemlich alle
denkbaren Vereine in die obige Klassifikation fallen, und jeder einzelne Verein
seine naturgemäße Stellung in derselben finden. Von hoher Wichtigkeit wäre
es, wenn sich nunmehr die Statistik des Vereinswesens ernsthaft bemächtigen

Tüchtigkeit das zweite Element, das Kapital, darzubieten, und die
freie Entwicklung deſſelben damit von der Herrſchaft des fremden Kapitals
und ſeiner beſonderen Intereſſen unabhängig zu machen. Die Wichtig-
keit dieſer großen Funktion ſteigt in dem Grade, in welchem das Kapital
ſelbſt zu einer herrſchenden Bedingung für das wirthſchaftliche Unter-
nehmen, die Ausdehnung und der Erfolg des letzteren aber zu einer
Bedingung für die geſellſchaftliche Stellung des Einzelnen wird. In
dem Gebiete dieſer Aufgabe liegt daher die eigentliche Löſung des Ge-
genſatzes der Klaſſen in der induſtriellen Geſellſchaft, die wir die ſtaats-
bürgerliche nennen, weil ſie die Idee der Gleichheit als Grundlage hat.
Denn nirgends wird jener Gegenſatz ſo tief gefühlt, als da, wo die
perſönlichen, oft mit ſchwerer Arbeit gewonnenen Elemente der geſell-
ſchaftlichen Geltung vorhanden ſind, und nur das Kapital denſelben
noch fehlt, ohne daß die höchſte individuelle Tüchtigkeit daſſelbe er-
reichen könnte. Es iſt aber ganz unmöglich, dieß Kapital entweder
vom Staate, oder von Einzelnen zu fordern; es kann abſolut kein
Kapital, ſeiner eigenſten Natur nach, hergegeben werden, wenn es nicht
einen Verdienſt macht, der ſtets im umgekehrten Verhältniß zu ſeiner
Sicherheit ſteht. Die ſocialen Kreditvereine ſind daher nothwendig
Unternehmungen, und zwar ſolche, die bei einem zunächſt rein
wirthſchaftlichen Zweck einen ſocialen Gedanken erfüllen. In dem letz-
teren Momente nun liegt es, daß ſie faſt nur auf Gegenſeitigkeit be-
ruhen können und ſollen, und zwar theils aus wirthſchaftlichen Gründen
darum, weil der Gewinn gerade bei dieſem ſocialen Kredit naturgemäß
immer der größte iſt, und da dieſer Gewinn den Kreditgebern zufällt,
die Kreditnehmer ſelbſt zugleich Kreditgeber ſein müſſen, wenn ſie eben
den Vortheil des Kredits mit dem des Darlehens verbinden, und ſo mit
ihrem kleinen Kredit ein größeres Kapital zu erwerben ſtreben, — theils
auch vom höheren geſellſchaftlichen Standpunkte, weil die Gegenſeitig-
keit allein die Unabhängigkeit des Kreditnehmers vom Kreditgeber, der
Arbeit vom Kapitale begründet. Mit Recht ſehen wir daher in dieſem
Vereine die höchſte Erſcheinung der ſocialen Vereine, diejenige, in
welcher die Selbſthülfe die wirthſchaftliche Unabhängigkeit durch freie
Vereinigung der Kräfte überwindet; eine Erſcheinung, welche dazu be-
ſtimmt iſt, die großartigſten Reſultate auf einem reichen, und im Grunde
noch wenig bekannten Gebiete zu gewinnen! —

Dieß nun ſind die Grundlagen des Syſtems des Vereinsweſens, die Haupt-
kategorien ſeiner Arten und Geſtaltungen. Es dürften wohl ſo ziemlich alle
denkbaren Vereine in die obige Klaſſifikation fallen, und jeder einzelne Verein
ſeine naturgemäße Stellung in derſelben finden. Von hoher Wichtigkeit wäre
es, wenn ſich nunmehr die Statiſtik des Vereinsweſens ernſthaft bemächtigen

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[565/0589] Tüchtigkeit das zweite Element, das Kapital, darzubieten, und die freie Entwicklung deſſelben damit von der Herrſchaft des fremden Kapitals und ſeiner beſonderen Intereſſen unabhängig zu machen. Die Wichtig- keit dieſer großen Funktion ſteigt in dem Grade, in welchem das Kapital ſelbſt zu einer herrſchenden Bedingung für das wirthſchaftliche Unter- nehmen, die Ausdehnung und der Erfolg des letzteren aber zu einer Bedingung für die geſellſchaftliche Stellung des Einzelnen wird. In dem Gebiete dieſer Aufgabe liegt daher die eigentliche Löſung des Ge- genſatzes der Klaſſen in der induſtriellen Geſellſchaft, die wir die ſtaats- bürgerliche nennen, weil ſie die Idee der Gleichheit als Grundlage hat. Denn nirgends wird jener Gegenſatz ſo tief gefühlt, als da, wo die perſönlichen, oft mit ſchwerer Arbeit gewonnenen Elemente der geſell- ſchaftlichen Geltung vorhanden ſind, und nur das Kapital denſelben noch fehlt, ohne daß die höchſte individuelle Tüchtigkeit daſſelbe er- reichen könnte. Es iſt aber ganz unmöglich, dieß Kapital entweder vom Staate, oder von Einzelnen zu fordern; es kann abſolut kein Kapital, ſeiner eigenſten Natur nach, hergegeben werden, wenn es nicht einen Verdienſt macht, der ſtets im umgekehrten Verhältniß zu ſeiner Sicherheit ſteht. Die ſocialen Kreditvereine ſind daher nothwendig Unternehmungen, und zwar ſolche, die bei einem zunächſt rein wirthſchaftlichen Zweck einen ſocialen Gedanken erfüllen. In dem letz- teren Momente nun liegt es, daß ſie faſt nur auf Gegenſeitigkeit be- ruhen können und ſollen, und zwar theils aus wirthſchaftlichen Gründen darum, weil der Gewinn gerade bei dieſem ſocialen Kredit naturgemäß immer der größte iſt, und da dieſer Gewinn den Kreditgebern zufällt, die Kreditnehmer ſelbſt zugleich Kreditgeber ſein müſſen, wenn ſie eben den Vortheil des Kredits mit dem des Darlehens verbinden, und ſo mit ihrem kleinen Kredit ein größeres Kapital zu erwerben ſtreben, — theils auch vom höheren geſellſchaftlichen Standpunkte, weil die Gegenſeitig- keit allein die Unabhängigkeit des Kreditnehmers vom Kreditgeber, der Arbeit vom Kapitale begründet. Mit Recht ſehen wir daher in dieſem Vereine die höchſte Erſcheinung der ſocialen Vereine, diejenige, in welcher die Selbſthülfe die wirthſchaftliche Unabhängigkeit durch freie Vereinigung der Kräfte überwindet; eine Erſcheinung, welche dazu be- ſtimmt iſt, die großartigſten Reſultate auf einem reichen, und im Grunde noch wenig bekannten Gebiete zu gewinnen! — Dieß nun ſind die Grundlagen des Syſtems des Vereinsweſens, die Haupt- kategorien ſeiner Arten und Geſtaltungen. Es dürften wohl ſo ziemlich alle denkbaren Vereine in die obige Klaſſifikation fallen, und jeder einzelne Verein ſeine naturgemäße Stellung in derſelben finden. Von hoher Wichtigkeit wäre es, wenn ſich nunmehr die Statiſtik des Vereinsweſens ernſthaft bemächtigen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/589>, abgerufen am 25.11.2024.