seitigen Verhältniß nämlich erkennt die Staatsgewalt, die ihrer Natur nach dennoch höher steht als die Einzelnen, noch eher und besser den Werth des Vereinswesens, als das Vereinswesen die Nothwendigkeit der Staatsgewalt. Und daraus geht dann das zweite charakteristische Element des Vereinswesens hervor.
Die staatsbürgerliche Gesellschaft ist, wie wir gezeigt, ihrem Wesen nach die Grundlage der eigentlichen Verfassung. Aber in dieß ver- fassungsmäßige Leben wird noch eine Zeit lang die Tradition des alten Gegensatzes zwischen Staat und Freiheit erhalten. Die Freiheit hat die Staatsgewalt im achtzehnten Jahrhundert fürchten gelernt, und kann dieß im neunzehnten noch nicht vergessen. Es schließt sich daran die Vorstellung, daß die möglichste Entwicklung der Freiheit in der möglichsten Entfernung von der Staatsgewalt bestehe; daß die Bethei- ligung der Staatsgewalt stets einen Keim der Unselbständigkeit in das- jenige hineintrage, womit sie zu thun habe, und daß es daher die Aufgabe jeder Selbstthätigkeit des Bürgerthums sei, die staatliche Gewalt so viel als möglich von sich ferne zu halten. Diese Vorstellung erscheint auch im Vereinswesen. Der Staat kann die mächtige Gestaltung der letzteren nicht als etwas außerhalb seines Wirkungskreises bestehendes zulassen; gerade die Gemeinsamkeit in dem letzten Ziele, verstanden oder nicht verstanden, gibt dem Staate Anlaß und Recht, sich in seiner Weise an dem Vereinswesen zu betheiligen. Die noch immer sehr ab- strakte Idee der Freiheit des eigentlich noch sehr jungen Staatsbürger- thums geht dagegen von der Vorstellung aus, daß das Vereinswesen die eigentlich freie und damit höchste Form der Verwaltung sei. Sie stellt zum Theil die Forderung ganz offen auf, daß das letzte Ziel der Entwicklung des Vereinswesens eben in der Herrschaft der Vereine der Staatsbürger zunächst über die Staatsgewalt selber sei. Dem ent- gegen tritt der Staat mit der in seinem Wesen liegenden Forderung, alle Elemente des Gesammtlebens sich unterzuordnen, namentlich aber seine Verfassung nicht durch die Verbindung Einzelner ändern zu lassen. So entsteht ein Gegensatz zwischen Staatsgewalt und Vereinswesen, der im Grunde ein Ausdruck des Gegensatzes zwischen der neuen, noch nicht zur Herrschaft gelangten staatsbürgerlichen Gesellschaft und der Staats- gewalt ist. In diesem Gegensatze verlieren die Vereine ihren natürlichen Boden. Sie beginnen statt der Verwaltung die Verfassung zu ihrem Ziel zu setzen, und statt der öffentlichen Aufgaben die Ordnung der Organe, welche sie leiten, die Volksvertretungen und ihr Recht durch ihre Macht ändern zu wollen. Das ist die Zeit der politischen Vereine. Der Widerspruch, der in ihnen liegt, erzeugt damit eine ziemlich allgemeine Abneigung der Regierungen gegen das Vereinswesen
ſeitigen Verhältniß nämlich erkennt die Staatsgewalt, die ihrer Natur nach dennoch höher ſteht als die Einzelnen, noch eher und beſſer den Werth des Vereinsweſens, als das Vereinsweſen die Nothwendigkeit der Staatsgewalt. Und daraus geht dann das zweite charakteriſtiſche Element des Vereinsweſens hervor.
Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft iſt, wie wir gezeigt, ihrem Weſen nach die Grundlage der eigentlichen Verfaſſung. Aber in dieß ver- faſſungsmäßige Leben wird noch eine Zeit lang die Tradition des alten Gegenſatzes zwiſchen Staat und Freiheit erhalten. Die Freiheit hat die Staatsgewalt im achtzehnten Jahrhundert fürchten gelernt, und kann dieß im neunzehnten noch nicht vergeſſen. Es ſchließt ſich daran die Vorſtellung, daß die möglichſte Entwicklung der Freiheit in der möglichſten Entfernung von der Staatsgewalt beſtehe; daß die Bethei- ligung der Staatsgewalt ſtets einen Keim der Unſelbſtändigkeit in das- jenige hineintrage, womit ſie zu thun habe, und daß es daher die Aufgabe jeder Selbſtthätigkeit des Bürgerthums ſei, die ſtaatliche Gewalt ſo viel als möglich von ſich ferne zu halten. Dieſe Vorſtellung erſcheint auch im Vereinsweſen. Der Staat kann die mächtige Geſtaltung der letzteren nicht als etwas außerhalb ſeines Wirkungskreiſes beſtehendes zulaſſen; gerade die Gemeinſamkeit in dem letzten Ziele, verſtanden oder nicht verſtanden, gibt dem Staate Anlaß und Recht, ſich in ſeiner Weiſe an dem Vereinsweſen zu betheiligen. Die noch immer ſehr ab- ſtrakte Idee der Freiheit des eigentlich noch ſehr jungen Staatsbürger- thums geht dagegen von der Vorſtellung aus, daß das Vereinsweſen die eigentlich freie und damit höchſte Form der Verwaltung ſei. Sie ſtellt zum Theil die Forderung ganz offen auf, daß das letzte Ziel der Entwicklung des Vereinsweſens eben in der Herrſchaft der Vereine der Staatsbürger zunächſt über die Staatsgewalt ſelber ſei. Dem ent- gegen tritt der Staat mit der in ſeinem Weſen liegenden Forderung, alle Elemente des Geſammtlebens ſich unterzuordnen, namentlich aber ſeine Verfaſſung nicht durch die Verbindung Einzelner ändern zu laſſen. So entſteht ein Gegenſatz zwiſchen Staatsgewalt und Vereinsweſen, der im Grunde ein Ausdruck des Gegenſatzes zwiſchen der neuen, noch nicht zur Herrſchaft gelangten ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und der Staats- gewalt iſt. In dieſem Gegenſatze verlieren die Vereine ihren natürlichen Boden. Sie beginnen ſtatt der Verwaltung die Verfaſſung zu ihrem Ziel zu ſetzen, und ſtatt der öffentlichen Aufgaben die Ordnung der Organe, welche ſie leiten, die Volksvertretungen und ihr Recht durch ihre Macht ändern zu wollen. Das iſt die Zeit der politiſchen Vereine. Der Widerſpruch, der in ihnen liegt, erzeugt damit eine ziemlich allgemeine Abneigung der Regierungen gegen das Vereinsweſen
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ſeitigen Verhältniß nämlich erkennt die Staatsgewalt, die ihrer Natur
nach dennoch höher ſteht als die Einzelnen, noch eher und beſſer den
Werth des Vereinsweſens, als das Vereinsweſen die Nothwendigkeit
der Staatsgewalt. Und daraus geht dann das zweite charakteriſtiſche
Element des Vereinsweſens hervor.
Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft iſt, wie wir gezeigt, ihrem Weſen
nach die Grundlage der eigentlichen Verfaſſung. Aber in dieß ver-
faſſungsmäßige Leben wird noch eine Zeit lang die Tradition des alten
Gegenſatzes zwiſchen Staat und Freiheit erhalten. Die Freiheit hat
die Staatsgewalt im achtzehnten Jahrhundert fürchten gelernt, und
kann dieß im neunzehnten noch nicht vergeſſen. Es ſchließt ſich daran
die Vorſtellung, daß die möglichſte Entwicklung der Freiheit in der
möglichſten Entfernung von der Staatsgewalt beſtehe; daß die Bethei-
ligung der Staatsgewalt ſtets einen Keim der Unſelbſtändigkeit in das-
jenige hineintrage, womit ſie zu thun habe, und daß es daher die
Aufgabe jeder Selbſtthätigkeit des Bürgerthums ſei, die ſtaatliche Gewalt
ſo viel als möglich von ſich ferne zu halten. Dieſe Vorſtellung erſcheint
auch im Vereinsweſen. Der Staat kann die mächtige Geſtaltung der
letzteren nicht als etwas außerhalb ſeines Wirkungskreiſes beſtehendes
zulaſſen; gerade die Gemeinſamkeit in dem letzten Ziele, verſtanden oder
nicht verſtanden, gibt dem Staate Anlaß und Recht, ſich in ſeiner
Weiſe an dem Vereinsweſen zu betheiligen. Die noch immer ſehr ab-
ſtrakte Idee der Freiheit des eigentlich noch ſehr jungen Staatsbürger-
thums geht dagegen von der Vorſtellung aus, daß das Vereinsweſen
die eigentlich freie und damit höchſte Form der Verwaltung ſei.
Sie ſtellt zum Theil die Forderung ganz offen auf, daß das letzte Ziel
der Entwicklung des Vereinsweſens eben in der Herrſchaft der Vereine
der Staatsbürger zunächſt über die Staatsgewalt ſelber ſei. Dem ent-
gegen tritt der Staat mit der in ſeinem Weſen liegenden Forderung,
alle Elemente des Geſammtlebens ſich unterzuordnen, namentlich aber
ſeine Verfaſſung nicht durch die Verbindung Einzelner ändern zu laſſen.
So entſteht ein Gegenſatz zwiſchen Staatsgewalt und Vereinsweſen, der
im Grunde ein Ausdruck des Gegenſatzes zwiſchen der neuen, noch nicht
zur Herrſchaft gelangten ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und der Staats-
gewalt iſt. In dieſem Gegenſatze verlieren die Vereine ihren natürlichen
Boden. Sie beginnen ſtatt der Verwaltung die Verfaſſung zu ihrem
Ziel zu ſetzen, und ſtatt der öffentlichen Aufgaben die Ordnung der
Organe, welche ſie leiten, die Volksvertretungen und ihr Recht durch
ihre Macht ändern zu wollen. Das iſt die Zeit der politiſchen
Vereine. Der Widerſpruch, der in ihnen liegt, erzeugt damit eine
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/559>, abgerufen am 22.11.2024.
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