da wird mancher ernste Gedanke über dasjenige wach werden müssen, was aus dem kaum noch im ersten Aufblühen begriffenen Vereins- wesen unserer Gegenwart sich noch entwickeln kann und wird. Denn die einzelnen Menschen leisten auch da, wo sie ihre ganze Kraft ge- brauchen, nur ein Verschwindendes, und werden nie den Gang der Dinge, das Leben der großen Organismen der Welt ändern; aber eben dieß Leben hat seine Gesetze, die wir verstehen können, und nach diesen Gesetzen hat es nie geruht und wird es nie ruhen. Wer vermag in der dunklen Ferne die Gestaltungen der Welt zu erkennen, die sich dem Blicke der Wissenschaft, ja des Glaubens entziehen?
Betrachten wir indeß zunächst den bisherigen Gang der Geschichte, so ergeben sich folgende Grundzüge.
Die erste Form der Vereine tritt auf in der ersten Form der Ge- sellschaft, der Geschlechterordnung. Hier ist sie zuerst bloße Waffen- bruderschaft, die sich selbst Ordnungen gibt, Zwecke vorschreibt, Thaten vollbringt; die griechischen Hetärien sind die erste Spur derselben; in der römischen Welt sind sie ohne Zweifel bei den Plebejern vorhanden gewesen, wenn auch mehr zu politischen Zwecken, als Verbindungen gegen die Patrizier und die Geschlechterherrschaft; die alten Germanen zeigen uns historische Spuren genug, zum Theil in den Gefolgen der Kö- nige; in der nordischen Welt treten sie, der geschichtlichen Zeit näher gerückt, sogar ganz deutlich hervor in manchen sehr concreten Gestaltungen, wie den Jomsvikingern, dem Gefolge Canuts des Großen mit seinem Vither- lagsrecht, den Gefolgen, die als Heere in das Reich Karls des Großen, oder als Auswanderer nach Island zogen. Aus dieser Waffenbruder- schaft wird dann erst in der zweiten Epoche die Gilde. Die Gilde ist eine Waffenbruderschaft, die aber schon ein ganz neues Element in sich aufgenommen hat. Man kann die Gilde nicht verstehen aus den bloß historischen Dokumenten. Ihre Grundlage ist vielmehr bereits der ge- werbliche Besitz, der in den jungen Städten, gegenüber den Ge- schlechtern, die als Grundherren die Städte umgeben, sich zu Waffen- bruderschaften, zu Schutz und Trotz ordnet; sie ist die städtische, ja genauer die gewerbliche Waffenbruderschaft. Eben darum aber nimmt sie sofort das gewerbliche Moment in sich auf, und bildet sich allmählig zu einem gewerblichen Verein, der Bestimmungen über die Ordnung des Gewerbsbetriebes, über die innere Ordnung der gewerblichen Unter- nehmungen, Meisterschaft, Gesellen und Lehrlinge enthält, und daneben das natürliche Element der wirthschaftlichen Hülfe für die Gildegenossen in der wirthschaftlichen Noth ausbildet, wenn auch nur zuerst für Leichengelage und die Meisterschaft, doch allmählig übergehend zu einer Organisation der Hülfe für die Gesellen und Burschen auf der Wanderung
Stein, die Verwaltungslehre. I. 34
da wird mancher ernſte Gedanke über dasjenige wach werden müſſen, was aus dem kaum noch im erſten Aufblühen begriffenen Vereins- weſen unſerer Gegenwart ſich noch entwickeln kann und wird. Denn die einzelnen Menſchen leiſten auch da, wo ſie ihre ganze Kraft ge- brauchen, nur ein Verſchwindendes, und werden nie den Gang der Dinge, das Leben der großen Organismen der Welt ändern; aber eben dieß Leben hat ſeine Geſetze, die wir verſtehen können, und nach dieſen Geſetzen hat es nie geruht und wird es nie ruhen. Wer vermag in der dunklen Ferne die Geſtaltungen der Welt zu erkennen, die ſich dem Blicke der Wiſſenſchaft, ja des Glaubens entziehen?
Betrachten wir indeß zunächſt den bisherigen Gang der Geſchichte, ſo ergeben ſich folgende Grundzüge.
Die erſte Form der Vereine tritt auf in der erſten Form der Ge- ſellſchaft, der Geſchlechterordnung. Hier iſt ſie zuerſt bloße Waffen- bruderſchaft, die ſich ſelbſt Ordnungen gibt, Zwecke vorſchreibt, Thaten vollbringt; die griechiſchen Hetärien ſind die erſte Spur derſelben; in der römiſchen Welt ſind ſie ohne Zweifel bei den Plebejern vorhanden geweſen, wenn auch mehr zu politiſchen Zwecken, als Verbindungen gegen die Patrizier und die Geſchlechterherrſchaft; die alten Germanen zeigen uns hiſtoriſche Spuren genug, zum Theil in den Gefolgen der Kö- nige; in der nordiſchen Welt treten ſie, der geſchichtlichen Zeit näher gerückt, ſogar ganz deutlich hervor in manchen ſehr concreten Geſtaltungen, wie den Jomsvikingern, dem Gefolge Canuts des Großen mit ſeinem Vither- lagsrecht, den Gefolgen, die als Heere in das Reich Karls des Großen, oder als Auswanderer nach Island zogen. Aus dieſer Waffenbruder- ſchaft wird dann erſt in der zweiten Epoche die Gilde. Die Gilde iſt eine Waffenbruderſchaft, die aber ſchon ein ganz neues Element in ſich aufgenommen hat. Man kann die Gilde nicht verſtehen aus den bloß hiſtoriſchen Dokumenten. Ihre Grundlage iſt vielmehr bereits der ge- werbliche Beſitz, der in den jungen Städten, gegenüber den Ge- ſchlechtern, die als Grundherren die Städte umgeben, ſich zu Waffen- bruderſchaften, zu Schutz und Trotz ordnet; ſie iſt die ſtädtiſche, ja genauer die gewerbliche Waffenbruderſchaft. Eben darum aber nimmt ſie ſofort das gewerbliche Moment in ſich auf, und bildet ſich allmählig zu einem gewerblichen Verein, der Beſtimmungen über die Ordnung des Gewerbsbetriebes, über die innere Ordnung der gewerblichen Unter- nehmungen, Meiſterſchaft, Geſellen und Lehrlinge enthält, und daneben das natürliche Element der wirthſchaftlichen Hülfe für die Gildegenoſſen in der wirthſchaftlichen Noth ausbildet, wenn auch nur zuerſt für Leichengelage und die Meiſterſchaft, doch allmählig übergehend zu einer Organiſation der Hülfe für die Geſellen und Burſchen auf der Wanderung
Stein, die Verwaltungslehre. I. 34
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da wird mancher ernſte Gedanke über dasjenige wach werden müſſen,
was aus dem kaum noch im erſten Aufblühen begriffenen Vereins-
weſen unſerer Gegenwart ſich noch entwickeln kann und wird. Denn
die einzelnen Menſchen leiſten auch da, wo ſie ihre ganze Kraft ge-
brauchen, nur ein Verſchwindendes, und werden nie den Gang der
Dinge, das Leben der großen Organismen der Welt ändern; aber eben
dieß Leben hat ſeine Geſetze, die wir verſtehen können, und nach dieſen
Geſetzen hat es nie geruht und wird es nie ruhen. Wer vermag in
der dunklen Ferne die Geſtaltungen der Welt zu erkennen, die ſich dem
Blicke der Wiſſenſchaft, ja des Glaubens entziehen?
Betrachten wir indeß zunächſt den bisherigen Gang der Geſchichte,
ſo ergeben ſich folgende Grundzüge.
Die erſte Form der Vereine tritt auf in der erſten Form der Ge-
ſellſchaft, der Geſchlechterordnung. Hier iſt ſie zuerſt bloße Waffen-
bruderſchaft, die ſich ſelbſt Ordnungen gibt, Zwecke vorſchreibt, Thaten
vollbringt; die griechiſchen Hetärien ſind die erſte Spur derſelben; in
der römiſchen Welt ſind ſie ohne Zweifel bei den Plebejern vorhanden
geweſen, wenn auch mehr zu politiſchen Zwecken, als Verbindungen
gegen die Patrizier und die Geſchlechterherrſchaft; die alten Germanen
zeigen uns hiſtoriſche Spuren genug, zum Theil in den Gefolgen der Kö-
nige; in der nordiſchen Welt treten ſie, der geſchichtlichen Zeit näher gerückt,
ſogar ganz deutlich hervor in manchen ſehr concreten Geſtaltungen, wie
den Jomsvikingern, dem Gefolge Canuts des Großen mit ſeinem Vither-
lagsrecht, den Gefolgen, die als Heere in das Reich Karls des Großen,
oder als Auswanderer nach Island zogen. Aus dieſer Waffenbruder-
ſchaft wird dann erſt in der zweiten Epoche die Gilde. Die Gilde iſt
eine Waffenbruderſchaft, die aber ſchon ein ganz neues Element in ſich
aufgenommen hat. Man kann die Gilde nicht verſtehen aus den bloß
hiſtoriſchen Dokumenten. Ihre Grundlage iſt vielmehr bereits der ge-
werbliche Beſitz, der in den jungen Städten, gegenüber den Ge-
ſchlechtern, die als Grundherren die Städte umgeben, ſich zu Waffen-
bruderſchaften, zu Schutz und Trotz ordnet; ſie iſt die ſtädtiſche, ja
genauer die gewerbliche Waffenbruderſchaft. Eben darum aber nimmt
ſie ſofort das gewerbliche Moment in ſich auf, und bildet ſich allmählig
zu einem gewerblichen Verein, der Beſtimmungen über die Ordnung
des Gewerbsbetriebes, über die innere Ordnung der gewerblichen Unter-
nehmungen, Meiſterſchaft, Geſellen und Lehrlinge enthält, und daneben
das natürliche Element der wirthſchaftlichen Hülfe für die Gildegenoſſen
in der wirthſchaftlichen Noth ausbildet, wenn auch nur zuerſt für
Leichengelage und die Meiſterſchaft, doch allmählig übergehend zu einer
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Stein, die Verwaltungslehre. I. 34
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/553>, abgerufen am 25.11.2024.
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