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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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indem es mit dem ersten Zwecke die selbstgewählte Form vereinigt, hebt
es den Gegensatz auf zwischen dem außerhalb des Einzelnen dastehenden
Staat und dem freien Individuum; indem es das letztere sich selbst
seine Aufgabe für die Gemeinschaft wählen und vollziehen läßt, ver-
schmelzt es auch innerhalb der Verwaltung die Idee der selbstherrlichen
Persönlichkeit des Staats mit der des freien Staatsbürgerthums, und
so bildet es, wenn auch nicht ein nothwendiges und organisches Glied
des persönlichen Staats, so doch ein nothwendiges und organisches
Glied des Gesammtlebens der Persönlichkeiten, in welchem der Staat
selbst wieder nur ein Moment, das Moment der persönlichen Einheit
dieser Gesammtheit ist. Das Vereinsleben ist daher dasjenige Gebiet,
in welchem die höchste Idee der thätigen Gemeinschaft, und mithin
speciell in Beziehung auf die Verwaltung die höchste Idee der Verwal-
tung ihren Ausgangspunkt findet, indem es die beiden Pole, den per-
sönlichen Staat und die einzelne freie Persönlichkeit organisch vereinigt;
durch dasselbe erst verschwindet auch der theoretische Gegensatz, der in
beiden für sich bestehenden Begriffen liegt; es ist das Gebiet der prak-
tischen Anwendung der Vertragstheorie auf das Staatsleben, die weder
durch den reinen Begriff des vertragsmäßigen Staats mit Rousseau,
noch durch den reinen Begriff des absolut selbstbedingten Ich mit Fichte
zur Erscheinung kommen und der natürlichen Auffassung von Staat
und Einzelnen genügen will; und so ist das Vereinswesen gerade da-
durch nicht so sehr die letzte und höchste Form, sondern der letzte Schluß-
stein in der Entwicklung des thätigen Staatsbegriffs. So lange man
dasselbe nicht verstanden hat, wird demnach sowohl der Staat als die
individuelle Freiheit nicht harmonisch verstanden werden können, und
der Mangel dieses Begriffes ist der Hauptgrund, weßhalb die Rechts-
philosophie mit ihrer theoretischen Staatslehre immer, am meisten aber
in unserer Zeit, außerhalb des wirklichen Lebens gestanden hat. Man
kann von jetzt an überhaupt keinen Staatsbegriff mehr entwickeln ohne
den Begriff der Verwaltung, den Begriff der Verwaltung aber nicht
mehr ohne den Begriff des Vereinswesens.

II. Während aber so das Vereinswesen die Idee des Staats und
seiner Thätigkeit mit Freiheit erfüllt, ist andererseits die Idee des
Staats eine eben so absolute Bedingung für die Idee des Vereinswesens.
Denn das Vereinswesen trägt in sich gleichfalls, dem einseitigen Be-
griffe des Staats analog, einen Widerspruch oder Mangel in sich.
Während der reine Staatsbegriff nur sich als selbstbedingte Persönlich-
keit zum Inhalt hat, hat der Vereinsbegriff wesentlich neben dem, dem
Wesen des Staats angehörigen, also innerhalb der Verwaltung liegen-
den Zwecke die volle Freiheit der individuellen Selbstbestimmung für

indem es mit dem erſten Zwecke die ſelbſtgewählte Form vereinigt, hebt
es den Gegenſatz auf zwiſchen dem außerhalb des Einzelnen daſtehenden
Staat und dem freien Individuum; indem es das letztere ſich ſelbſt
ſeine Aufgabe für die Gemeinſchaft wählen und vollziehen läßt, ver-
ſchmelzt es auch innerhalb der Verwaltung die Idee der ſelbſtherrlichen
Perſönlichkeit des Staats mit der des freien Staatsbürgerthums, und
ſo bildet es, wenn auch nicht ein nothwendiges und organiſches Glied
des perſönlichen Staats, ſo doch ein nothwendiges und organiſches
Glied des Geſammtlebens der Perſönlichkeiten, in welchem der Staat
ſelbſt wieder nur ein Moment, das Moment der perſönlichen Einheit
dieſer Geſammtheit iſt. Das Vereinsleben iſt daher dasjenige Gebiet,
in welchem die höchſte Idee der thätigen Gemeinſchaft, und mithin
ſpeciell in Beziehung auf die Verwaltung die höchſte Idee der Verwal-
tung ihren Ausgangspunkt findet, indem es die beiden Pole, den per-
ſönlichen Staat und die einzelne freie Perſönlichkeit organiſch vereinigt;
durch daſſelbe erſt verſchwindet auch der theoretiſche Gegenſatz, der in
beiden für ſich beſtehenden Begriffen liegt; es iſt das Gebiet der prak-
tiſchen Anwendung der Vertragstheorie auf das Staatsleben, die weder
durch den reinen Begriff des vertragsmäßigen Staats mit Rouſſeau,
noch durch den reinen Begriff des abſolut ſelbſtbedingten Ich mit Fichte
zur Erſcheinung kommen und der natürlichen Auffaſſung von Staat
und Einzelnen genügen will; und ſo iſt das Vereinsweſen gerade da-
durch nicht ſo ſehr die letzte und höchſte Form, ſondern der letzte Schluß-
ſtein in der Entwicklung des thätigen Staatsbegriffs. So lange man
daſſelbe nicht verſtanden hat, wird demnach ſowohl der Staat als die
individuelle Freiheit nicht harmoniſch verſtanden werden können, und
der Mangel dieſes Begriffes iſt der Hauptgrund, weßhalb die Rechts-
philoſophie mit ihrer theoretiſchen Staatslehre immer, am meiſten aber
in unſerer Zeit, außerhalb des wirklichen Lebens geſtanden hat. Man
kann von jetzt an überhaupt keinen Staatsbegriff mehr entwickeln ohne
den Begriff der Verwaltung, den Begriff der Verwaltung aber nicht
mehr ohne den Begriff des Vereinsweſens.

II. Während aber ſo das Vereinsweſen die Idee des Staats und
ſeiner Thätigkeit mit Freiheit erfüllt, iſt andererſeits die Idee des
Staats eine eben ſo abſolute Bedingung für die Idee des Vereinsweſens.
Denn das Vereinsweſen trägt in ſich gleichfalls, dem einſeitigen Be-
griffe des Staats analog, einen Widerſpruch oder Mangel in ſich.
Während der reine Staatsbegriff nur ſich als ſelbſtbedingte Perſönlich-
keit zum Inhalt hat, hat der Vereinsbegriff weſentlich neben dem, dem
Weſen des Staats angehörigen, alſo innerhalb der Verwaltung liegen-
den Zwecke die volle Freiheit der individuellen Selbſtbeſtimmung für

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[522/0546] indem es mit dem erſten Zwecke die ſelbſtgewählte Form vereinigt, hebt es den Gegenſatz auf zwiſchen dem außerhalb des Einzelnen daſtehenden Staat und dem freien Individuum; indem es das letztere ſich ſelbſt ſeine Aufgabe für die Gemeinſchaft wählen und vollziehen läßt, ver- ſchmelzt es auch innerhalb der Verwaltung die Idee der ſelbſtherrlichen Perſönlichkeit des Staats mit der des freien Staatsbürgerthums, und ſo bildet es, wenn auch nicht ein nothwendiges und organiſches Glied des perſönlichen Staats, ſo doch ein nothwendiges und organiſches Glied des Geſammtlebens der Perſönlichkeiten, in welchem der Staat ſelbſt wieder nur ein Moment, das Moment der perſönlichen Einheit dieſer Geſammtheit iſt. Das Vereinsleben iſt daher dasjenige Gebiet, in welchem die höchſte Idee der thätigen Gemeinſchaft, und mithin ſpeciell in Beziehung auf die Verwaltung die höchſte Idee der Verwal- tung ihren Ausgangspunkt findet, indem es die beiden Pole, den per- ſönlichen Staat und die einzelne freie Perſönlichkeit organiſch vereinigt; durch daſſelbe erſt verſchwindet auch der theoretiſche Gegenſatz, der in beiden für ſich beſtehenden Begriffen liegt; es iſt das Gebiet der prak- tiſchen Anwendung der Vertragstheorie auf das Staatsleben, die weder durch den reinen Begriff des vertragsmäßigen Staats mit Rouſſeau, noch durch den reinen Begriff des abſolut ſelbſtbedingten Ich mit Fichte zur Erſcheinung kommen und der natürlichen Auffaſſung von Staat und Einzelnen genügen will; und ſo iſt das Vereinsweſen gerade da- durch nicht ſo ſehr die letzte und höchſte Form, ſondern der letzte Schluß- ſtein in der Entwicklung des thätigen Staatsbegriffs. So lange man daſſelbe nicht verſtanden hat, wird demnach ſowohl der Staat als die individuelle Freiheit nicht harmoniſch verſtanden werden können, und der Mangel dieſes Begriffes iſt der Hauptgrund, weßhalb die Rechts- philoſophie mit ihrer theoretiſchen Staatslehre immer, am meiſten aber in unſerer Zeit, außerhalb des wirklichen Lebens geſtanden hat. Man kann von jetzt an überhaupt keinen Staatsbegriff mehr entwickeln ohne den Begriff der Verwaltung, den Begriff der Verwaltung aber nicht mehr ohne den Begriff des Vereinsweſens. II. Während aber ſo das Vereinsweſen die Idee des Staats und ſeiner Thätigkeit mit Freiheit erfüllt, iſt andererſeits die Idee des Staats eine eben ſo abſolute Bedingung für die Idee des Vereinsweſens. Denn das Vereinsweſen trägt in ſich gleichfalls, dem einſeitigen Be- griffe des Staats analog, einen Widerſpruch oder Mangel in ſich. Während der reine Staatsbegriff nur ſich als ſelbſtbedingte Perſönlich- keit zum Inhalt hat, hat der Vereinsbegriff weſentlich neben dem, dem Weſen des Staats angehörigen, alſo innerhalb der Verwaltung liegen- den Zwecke die volle Freiheit der individuellen Selbſtbeſtimmung für

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/546>, abgerufen am 25.11.2024.