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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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aufsicht bleibt. Man muß zu dem Ende das Wesen der Stiftungen so
scharf als möglich, namentlich den Corporationen gegenüber, bestimmen,
da man im gewöhnlichen Leben oft beide ganz verwechselt, und die
Theorie hier gänzlich schweigt.

Es ist eine gewisse Schwierigkeit, die im Laufe der historischen Entwick-
lung liegt, über den Begriff der Corporationen einig und klar zu sein; der
Ausdruck hat im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwei wesentlich verschiedene Be-
deutungen. Zuerst versteht man unter Corporation eine sogenannte juristische
Persönlichkeit überhaupt; dann erst denkt man sich den eigentlichen Verwaltungs-
zweck hinzu. Dadurch kommt man leicht dazu, jede juristische Persönlichkeit
eine Corporation zu nennen, indem man das Recht einer solchen juristischen
Persönlichkeit eben als das Recht eine Corporation zu sein bezeichnet. Man
begreift daher im Allgemeinen auch alle Körper der örtlichen Selbstverwaltung,
namentlich der Gemeinden, unter dem Begriff der Corporation, und indem
man das thut, ist offenbar der specifische Begriff derselben verflüchtigt. Daher
kommt dann die an sich merkwürdige Erscheinung, daß wir in der allgemeinen
deutschen Staatsrechtslehre, wie bei Zachariä, Zöpfl, Klüber u. s. w. gar
nichts über Corporationen finden, und selbst in den territorialen Staatsrechten
erscheinen sie bei einigen gar nicht, wie bei Milhauser (Sachsen), Weiß
(Hessen), Schweizer (Sachsen-Weimar), Pfister (Baden), während Rönne
sie ganz mit den Vereinen, insofern dieselben juristische Persönlichkeiten sind,
verwechselt (I. 100), woran freilich die Verfassung von 1850 Schuld ist, die
unter "Corporationsrechten" geradezu nur die Rechte der juristischen Persönlichkeit
versteht (Art. 31); dennoch ist der Unterschied klar genug. Eine Corporation
ist allerdings eine juristische Persönlichkeit, aber eine solche, die ein eigenes Ver-
mögen für einen bestimmten Verwaltungszweck besitzt, ohne daß dieß Vermögen
ein gemeinschaftliches Eigenthum ihrer Mitglieder wäre. Das erste unterscheidet
sie sehr klar von der juristischen Persönlichkeit der Gemeinde, das zweite von
der der Vereine. Aber gerade diese ihre Natur hat sie, mit dem Uebergange
der Verwaltung an die Staatsgewalt, fast ganz aufgelöst, so daß sie nur noch
in wenigen Erscheinungen dastehen, nachdem auch die gewerblichen Corporationen
der Zünfte und Innungen vor der Gewerbefreiheit verschwunden sind. Die
Corporationen haben sich dadurch auf ihr eigenthümliches Gebiet zurückgezogen;
sie erscheinen nur noch als Corporationen des geistigen Berufes, der Kirche und
der Wissenschaft. Sie müssen daher jetzt als die Selbstverwaltungsge-
meinden des geistigen Lebens
betrachtet werden. In diesem Sinne hat
es eine Bedeutung, sie nicht zu reinen Staatsanstalten werden zu lassen, na-
mentlich in Deutschland und Frankreich, wo die Selbstverwaltung noch so un-
vollkommen entwickelt ist. Das nun, was diese Corporationen davor bisher
geschützt hat, ist das ständische Princip. In Frankreich lebt das ständische
Element nur noch in der Selbständigkeit der Kirche und der Begriff der "Cor-
poration" ist daher durch wissenschaftliche Selbstverwaltungskörper gar nicht
vertreten, wohl aber durch die Confreries und Congregations religieuses,
welche die einzigen Corporationen in Frankreich bilden. In England ist die

aufſicht bleibt. Man muß zu dem Ende das Weſen der Stiftungen ſo
ſcharf als möglich, namentlich den Corporationen gegenüber, beſtimmen,
da man im gewöhnlichen Leben oft beide ganz verwechſelt, und die
Theorie hier gänzlich ſchweigt.

Es iſt eine gewiſſe Schwierigkeit, die im Laufe der hiſtoriſchen Entwick-
lung liegt, über den Begriff der Corporationen einig und klar zu ſein; der
Ausdruck hat im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwei weſentlich verſchiedene Be-
deutungen. Zuerſt verſteht man unter Corporation eine ſogenannte juriſtiſche
Perſönlichkeit überhaupt; dann erſt denkt man ſich den eigentlichen Verwaltungs-
zweck hinzu. Dadurch kommt man leicht dazu, jede juriſtiſche Perſönlichkeit
eine Corporation zu nennen, indem man das Recht einer ſolchen juriſtiſchen
Perſönlichkeit eben als das Recht eine Corporation zu ſein bezeichnet. Man
begreift daher im Allgemeinen auch alle Körper der örtlichen Selbſtverwaltung,
namentlich der Gemeinden, unter dem Begriff der Corporation, und indem
man das thut, iſt offenbar der ſpecifiſche Begriff derſelben verflüchtigt. Daher
kommt dann die an ſich merkwürdige Erſcheinung, daß wir in der allgemeinen
deutſchen Staatsrechtslehre, wie bei Zachariä, Zöpfl, Klüber u. ſ. w. gar
nichts über Corporationen finden, und ſelbſt in den territorialen Staatsrechten
erſcheinen ſie bei einigen gar nicht, wie bei Milhauſer (Sachſen), Weiß
(Heſſen), Schweizer (Sachſen-Weimar), Pfiſter (Baden), während Rönne
ſie ganz mit den Vereinen, inſofern dieſelben juriſtiſche Perſönlichkeiten ſind,
verwechſelt (I. 100), woran freilich die Verfaſſung von 1850 Schuld iſt, die
unter „Corporationsrechten“ geradezu nur die Rechte der juriſtiſchen Perſönlichkeit
verſteht (Art. 31); dennoch iſt der Unterſchied klar genug. Eine Corporation
iſt allerdings eine juriſtiſche Perſönlichkeit, aber eine ſolche, die ein eigenes Ver-
mögen für einen beſtimmten Verwaltungszweck beſitzt, ohne daß dieß Vermögen
ein gemeinſchaftliches Eigenthum ihrer Mitglieder wäre. Das erſte unterſcheidet
ſie ſehr klar von der juriſtiſchen Perſönlichkeit der Gemeinde, das zweite von
der der Vereine. Aber gerade dieſe ihre Natur hat ſie, mit dem Uebergange
der Verwaltung an die Staatsgewalt, faſt ganz aufgelöst, ſo daß ſie nur noch
in wenigen Erſcheinungen daſtehen, nachdem auch die gewerblichen Corporationen
der Zünfte und Innungen vor der Gewerbefreiheit verſchwunden ſind. Die
Corporationen haben ſich dadurch auf ihr eigenthümliches Gebiet zurückgezogen;
ſie erſcheinen nur noch als Corporationen des geiſtigen Berufes, der Kirche und
der Wiſſenſchaft. Sie müſſen daher jetzt als die Selbſtverwaltungsge-
meinden des geiſtigen Lebens
betrachtet werden. In dieſem Sinne hat
es eine Bedeutung, ſie nicht zu reinen Staatsanſtalten werden zu laſſen, na-
mentlich in Deutſchland und Frankreich, wo die Selbſtverwaltung noch ſo un-
vollkommen entwickelt iſt. Das nun, was dieſe Corporationen davor bisher
geſchützt hat, iſt das ſtändiſche Princip. In Frankreich lebt das ſtändiſche
Element nur noch in der Selbſtändigkeit der Kirche und der Begriff der „Cor-
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vertreten, wohl aber durch die Confréries und Congrégations réligieuses,
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[516/0540] aufſicht bleibt. Man muß zu dem Ende das Weſen der Stiftungen ſo ſcharf als möglich, namentlich den Corporationen gegenüber, beſtimmen, da man im gewöhnlichen Leben oft beide ganz verwechſelt, und die Theorie hier gänzlich ſchweigt. Es iſt eine gewiſſe Schwierigkeit, die im Laufe der hiſtoriſchen Entwick- lung liegt, über den Begriff der Corporationen einig und klar zu ſein; der Ausdruck hat im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwei weſentlich verſchiedene Be- deutungen. Zuerſt verſteht man unter Corporation eine ſogenannte juriſtiſche Perſönlichkeit überhaupt; dann erſt denkt man ſich den eigentlichen Verwaltungs- zweck hinzu. Dadurch kommt man leicht dazu, jede juriſtiſche Perſönlichkeit eine Corporation zu nennen, indem man das Recht einer ſolchen juriſtiſchen Perſönlichkeit eben als das Recht eine Corporation zu ſein bezeichnet. Man begreift daher im Allgemeinen auch alle Körper der örtlichen Selbſtverwaltung, namentlich der Gemeinden, unter dem Begriff der Corporation, und indem man das thut, iſt offenbar der ſpecifiſche Begriff derſelben verflüchtigt. Daher kommt dann die an ſich merkwürdige Erſcheinung, daß wir in der allgemeinen deutſchen Staatsrechtslehre, wie bei Zachariä, Zöpfl, Klüber u. ſ. w. gar nichts über Corporationen finden, und ſelbſt in den territorialen Staatsrechten erſcheinen ſie bei einigen gar nicht, wie bei Milhauſer (Sachſen), Weiß (Heſſen), Schweizer (Sachſen-Weimar), Pfiſter (Baden), während Rönne ſie ganz mit den Vereinen, inſofern dieſelben juriſtiſche Perſönlichkeiten ſind, verwechſelt (I. 100), woran freilich die Verfaſſung von 1850 Schuld iſt, die unter „Corporationsrechten“ geradezu nur die Rechte der juriſtiſchen Perſönlichkeit verſteht (Art. 31); dennoch iſt der Unterſchied klar genug. Eine Corporation iſt allerdings eine juriſtiſche Perſönlichkeit, aber eine ſolche, die ein eigenes Ver- mögen für einen beſtimmten Verwaltungszweck beſitzt, ohne daß dieß Vermögen ein gemeinſchaftliches Eigenthum ihrer Mitglieder wäre. Das erſte unterſcheidet ſie ſehr klar von der juriſtiſchen Perſönlichkeit der Gemeinde, das zweite von der der Vereine. Aber gerade dieſe ihre Natur hat ſie, mit dem Uebergange der Verwaltung an die Staatsgewalt, faſt ganz aufgelöst, ſo daß ſie nur noch in wenigen Erſcheinungen daſtehen, nachdem auch die gewerblichen Corporationen der Zünfte und Innungen vor der Gewerbefreiheit verſchwunden ſind. Die Corporationen haben ſich dadurch auf ihr eigenthümliches Gebiet zurückgezogen; ſie erſcheinen nur noch als Corporationen des geiſtigen Berufes, der Kirche und der Wiſſenſchaft. Sie müſſen daher jetzt als die Selbſtverwaltungsge- meinden des geiſtigen Lebens betrachtet werden. In dieſem Sinne hat es eine Bedeutung, ſie nicht zu reinen Staatsanſtalten werden zu laſſen, na- mentlich in Deutſchland und Frankreich, wo die Selbſtverwaltung noch ſo un- vollkommen entwickelt iſt. Das nun, was dieſe Corporationen davor bisher geſchützt hat, iſt das ſtändiſche Princip. In Frankreich lebt das ſtändiſche Element nur noch in der Selbſtändigkeit der Kirche und der Begriff der „Cor- poration“ iſt daher durch wiſſenſchaftliche Selbſtverwaltungskörper gar nicht vertreten, wohl aber durch die Confréries und Congrégations réligieuses, welche die einzigen Corporationen in Frankreich bilden. In England iſt die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/540>, abgerufen am 25.11.2024.