staatsrechtlichen Princip erhoben. Aus diesem Princip ging dann der Satz hervor, daß jeder Staatsangehörige "Mitglied irgend einer Ge- meinde sein müsse," wobei man sich aber, ohne es genau zu definiren, die Ortsgemeinde dachte. Natürlich bedeutete dieser Satz ferner, daß diese Mitglieder auch wesentlich gleich in Rechten und Pflichten sein müßten, und daß sie bei der Vertheilung der Gemeindelasten sich die Majorität ihrer Mitbürger zu unterwerfen haben. Das war in der Stadtgemeinde eben so einfach als natürlich. Allein in einer großen Zahl der Landgemeinden war die Sache anders. Hier war ein so großes materielles Mißverhältniß zwischen den kleinen, eben erst von der Ab- hängigkeit befreiten, und zum größten Theil noch unter der Grundent- lastung stehenden Bauern und dem frühern Gutsherrn, dessen Grund- besitz in vielen Fällen der Gesammtheit aller bäuerlichen Grundstücke gleichkam, daß eine Gleichheit der Rechte und Pflichten bei der so über- wiegenden Ungleichheit des Besitzes ein Unding erschien, um so mehr, als die Majorität der kleinen, nur zu geringen Leistungen verpflichteten Besitzer den großen Besitzer leicht mit unverhältnißmäßigen Lasten drücken konnte. Es mußte daher die Frage entstehen, ob wirklich das Princip der bürgerlichen Gleichheit -- das Grundprincip der Gemeinde- ordnung, anwendbar sei. Diese Frage formulirte sich alsbald in der Frage nach dem Eintritt der Großgrundbesitzer in die Land- gemeinde, welcher die letzteren die Forderung entgegensetzten, für ihre Besitzungen lieber eine eigene Gemeinde neben der bäuerlichen bilden zu wollen. So natürlich diese Forderung von der einen Seite war, so tief war der Widerspruch derselben mit dem Grundsatz der staatsbürger- lichen Gleichheit auf der andern Seite. Mit ihr schien die eben so mühe- voll errungene Gemeindefreiheit wieder auf den alten Standpunkt zu- rückgeführt, und eine Scheidung, wenn auch nicht mehr einer herrschenden und beherrschten, so doch einer höheren und niederen Klasse auf dem Lande verfassungsmäßig festgestellt, während derselbe in den Städten definitiv überwunden war. Dazu kam endlich das dritte der bereits erwähnten Elemente. Die Standesherrschaften waren zu groß, um ihrer Selbständigkeit als Verwaltungskörper ohne weiteres auch nach Einführung der Grundentlastung beraubt werden zu können. Das waren Verhältnisse, die man weder in Frankreich noch in England fand, und die eine einfache Verwirklichung der Idee des Landgemeindewesens mit lauter gleichen Gemeinden so gut als unthunlich machten. Nament- lich war das Verhältniß der Standesherrschaften ein unklares. Die Ein- verleibung derselben in die neuen Staatenbildungen war allerdings undenkbar ohne eine Aufhebung ihrer Souveränetät; allein die Ver- waltungsrechte über ihre Angehörigen bildeten dennoch ein Rechtsgebiet,
ſtaatsrechtlichen Princip erhoben. Aus dieſem Princip ging dann der Satz hervor, daß jeder Staatsangehörige „Mitglied irgend einer Ge- meinde ſein müſſe,“ wobei man ſich aber, ohne es genau zu definiren, die Ortsgemeinde dachte. Natürlich bedeutete dieſer Satz ferner, daß dieſe Mitglieder auch weſentlich gleich in Rechten und Pflichten ſein müßten, und daß ſie bei der Vertheilung der Gemeindelaſten ſich die Majorität ihrer Mitbürger zu unterwerfen haben. Das war in der Stadtgemeinde eben ſo einfach als natürlich. Allein in einer großen Zahl der Landgemeinden war die Sache anders. Hier war ein ſo großes materielles Mißverhältniß zwiſchen den kleinen, eben erſt von der Ab- hängigkeit befreiten, und zum größten Theil noch unter der Grundent- laſtung ſtehenden Bauern und dem frühern Gutsherrn, deſſen Grund- beſitz in vielen Fällen der Geſammtheit aller bäuerlichen Grundſtücke gleichkam, daß eine Gleichheit der Rechte und Pflichten bei der ſo über- wiegenden Ungleichheit des Beſitzes ein Unding erſchien, um ſo mehr, als die Majorität der kleinen, nur zu geringen Leiſtungen verpflichteten Beſitzer den großen Beſitzer leicht mit unverhältnißmäßigen Laſten drücken konnte. Es mußte daher die Frage entſtehen, ob wirklich das Princip der bürgerlichen Gleichheit — das Grundprincip der Gemeinde- ordnung, anwendbar ſei. Dieſe Frage formulirte ſich alsbald in der Frage nach dem Eintritt der Großgrundbeſitzer in die Land- gemeinde, welcher die letzteren die Forderung entgegenſetzten, für ihre Beſitzungen lieber eine eigene Gemeinde neben der bäuerlichen bilden zu wollen. So natürlich dieſe Forderung von der einen Seite war, ſo tief war der Widerſpruch derſelben mit dem Grundſatz der ſtaatsbürger- lichen Gleichheit auf der andern Seite. Mit ihr ſchien die eben ſo mühe- voll errungene Gemeindefreiheit wieder auf den alten Standpunkt zu- rückgeführt, und eine Scheidung, wenn auch nicht mehr einer herrſchenden und beherrſchten, ſo doch einer höheren und niederen Klaſſe auf dem Lande verfaſſungsmäßig feſtgeſtellt, während derſelbe in den Städten definitiv überwunden war. Dazu kam endlich das dritte der bereits erwähnten Elemente. Die Standesherrſchaften waren zu groß, um ihrer Selbſtändigkeit als Verwaltungskörper ohne weiteres auch nach Einführung der Grundentlaſtung beraubt werden zu können. Das waren Verhältniſſe, die man weder in Frankreich noch in England fand, und die eine einfache Verwirklichung der Idee des Landgemeindeweſens mit lauter gleichen Gemeinden ſo gut als unthunlich machten. Nament- lich war das Verhältniß der Standesherrſchaften ein unklares. Die Ein- verleibung derſelben in die neuen Staatenbildungen war allerdings undenkbar ohne eine Aufhebung ihrer Souveränetät; allein die Ver- waltungsrechte über ihre Angehörigen bildeten dennoch ein Rechtsgebiet,
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ſtaatsrechtlichen Princip erhoben. Aus dieſem Princip ging dann der
Satz hervor, daß jeder Staatsangehörige „Mitglied irgend einer Ge-
meinde ſein müſſe,“ wobei man ſich aber, ohne es genau zu definiren,
die Ortsgemeinde dachte. Natürlich bedeutete dieſer Satz ferner, daß
dieſe Mitglieder auch weſentlich gleich in Rechten und Pflichten ſein
müßten, und daß ſie bei der Vertheilung der Gemeindelaſten ſich die
Majorität ihrer Mitbürger zu unterwerfen haben. Das war in der
Stadtgemeinde eben ſo einfach als natürlich. Allein in einer großen
Zahl der Landgemeinden war die Sache anders. Hier war ein ſo großes
materielles Mißverhältniß zwiſchen den kleinen, eben erſt von der Ab-
hängigkeit befreiten, und zum größten Theil noch unter der Grundent-
laſtung ſtehenden Bauern und dem frühern Gutsherrn, deſſen Grund-
beſitz in vielen Fällen der Geſammtheit aller bäuerlichen Grundſtücke
gleichkam, daß eine Gleichheit der Rechte und Pflichten bei der ſo über-
wiegenden Ungleichheit des Beſitzes ein Unding erſchien, um ſo mehr,
als die Majorität der kleinen, nur zu geringen Leiſtungen verpflichteten
Beſitzer den großen Beſitzer leicht mit unverhältnißmäßigen Laſten
drücken konnte. Es mußte daher die Frage entſtehen, ob wirklich das
Princip der bürgerlichen Gleichheit — das Grundprincip der Gemeinde-
ordnung, anwendbar ſei. Dieſe Frage formulirte ſich alsbald in der
Frage nach dem Eintritt der Großgrundbeſitzer in die Land-
gemeinde, welcher die letzteren die Forderung entgegenſetzten, für ihre
Beſitzungen lieber eine eigene Gemeinde neben der bäuerlichen bilden zu
wollen. So natürlich dieſe Forderung von der einen Seite war, ſo
tief war der Widerſpruch derſelben mit dem Grundſatz der ſtaatsbürger-
lichen Gleichheit auf der andern Seite. Mit ihr ſchien die eben ſo mühe-
voll errungene Gemeindefreiheit wieder auf den alten Standpunkt zu-
rückgeführt, und eine Scheidung, wenn auch nicht mehr einer herrſchenden
und beherrſchten, ſo doch einer höheren und niederen Klaſſe auf dem
Lande verfaſſungsmäßig feſtgeſtellt, während derſelbe in den Städten
definitiv überwunden war. Dazu kam endlich das dritte der bereits
erwähnten Elemente. Die Standesherrſchaften waren zu groß,
um ihrer Selbſtändigkeit als Verwaltungskörper ohne weiteres auch
nach Einführung der Grundentlaſtung beraubt werden zu können. Das
waren Verhältniſſe, die man weder in Frankreich noch in England fand,
und die eine einfache Verwirklichung der Idee des Landgemeindeweſens
mit lauter gleichen Gemeinden ſo gut als unthunlich machten. Nament-
lich war das Verhältniß der Standesherrſchaften ein unklares. Die Ein-
verleibung derſelben in die neuen Staatenbildungen war allerdings
undenkbar ohne eine Aufhebung ihrer Souveränetät; allein die Ver-
waltungsrechte über ihre Angehörigen bildeten dennoch ein Rechtsgebiet,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/522>, abgerufen am 25.11.2024.
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