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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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in ihr sehen wir auch für Frankreich den Satz bestätigt, daß die Ge-
schichte der Gemeinde stets das Gegenbild der Verfassungsgeschichte des
Staats bildet.

Napoleon, vor allen Dingen jeder Selbständigkeit abhold, ließ der
Gemeinde auch nicht einmal das Recht, jenen machtlosen Gemeinderath
zu wählen. In den Städten über 5000 Einwohner ernannte sie der
Kaiser, in den kleineren der Prefet. Allerdings ward darin eine leichte
Modifikation im Jahre 1802 vorgenommen. Allein im Wesentlichen
blieb die Sache dieselbe. Die Gemeinde war damit nichts als ein amt-
licher Körper mit dem Conseil municipal als Vertretung; die Selbst-
verwaltung war ganz aus Frankreich verschwunden
. Die
Restauration fühlte sich ihrerseits nicht berufen, dieß Verhältniß zu
ändern. Sie behielt einfach die napoleonische Gemeindeverfassung bei;
ja sie versuchte sogar, die ständischen Elemente in dieselbe der Form
nach zurückzuführen. Freilich blieb das ohne Erfolg; aber ohne Erfolg
blieben auch die Bestrebungen, wenigstens den Gemeinderath und seine
Wahl der Bürgerschaft zurückzugeben. Am 9. März 1828 antwortete
die Kammer auf die Thronrede vom 15. Februar: Pour asseoir sur
la veritable base l'edifice de vos libertes, Votre coeur paternel,
Sire, nous rendra ces institutions municipales, monuments de nos
anciennes franchises qui rappelle a la memoire de Vos peuples ce
qu'ils doivent a Vos ancetres."
Es blieb umsonst. Da kam die
Revolution des Jahres 1830. Es war die Revolution der mittleren
Classe gegen die andrängende Herrschaft der ständischen Welt. Sie siegte;
in ihrem Gefolge mußte der Gedanke aufs Neue lebendig werden, daß
die Theilnahme des Bürgerthums am Staatsleben ohne eine Theilnahme
an der Gemeindeverwaltung keine vollständige sei. Das Julikönigthum
mußte nachgeben. Es mußte sich bequemen eine neue Gemeindeordnung
zu erlassen. Aber wenn es das Haupt der bürgerlichen Mittelclasse
war, so war es nicht weniger das Haupt der specifischen französischen
Verwaltung. Es fand daher die Gränze der Freiheit, welche es der
erstern in der Gemeinde gab, in den Forderungen, die es der zweiten
zugestehen mußte. Und durch das Zusammenwirken beider entstand nun
die Grundlage der heutigen Municipalverfassung Frankreichs, die aus
den drei Punkten besteht, welche als Resultat der gesammten bisherigen
Entwicklung betrachtet werden kann. Erstlich bleibt der Maire Be-
amteter; zweitens gibt es auch jetzt noch keinen Magistrat, keine
Gemeindebeamteten, sondern die Stelle derselben wird vertreten durch
die amtlichen Adjoints; drittens aber wird der Conseil municipal
von der Gemeinde gewählt. Das sind die Grundsätze, welche zuerst
das Gesetz vom 21. März 1831, dann das Gesetz vom 18--22. Juli

in ihr ſehen wir auch für Frankreich den Satz beſtätigt, daß die Ge-
ſchichte der Gemeinde ſtets das Gegenbild der Verfaſſungsgeſchichte des
Staats bildet.

Napoleon, vor allen Dingen jeder Selbſtändigkeit abhold, ließ der
Gemeinde auch nicht einmal das Recht, jenen machtloſen Gemeinderath
zu wählen. In den Städten über 5000 Einwohner ernannte ſie der
Kaiſer, in den kleineren der Préfet. Allerdings ward darin eine leichte
Modifikation im Jahre 1802 vorgenommen. Allein im Weſentlichen
blieb die Sache dieſelbe. Die Gemeinde war damit nichts als ein amt-
licher Körper mit dem Conseil municipal als Vertretung; die Selbſt-
verwaltung war ganz aus Frankreich verſchwunden
. Die
Reſtauration fühlte ſich ihrerſeits nicht berufen, dieß Verhältniß zu
ändern. Sie behielt einfach die napoleoniſche Gemeindeverfaſſung bei;
ja ſie verſuchte ſogar, die ſtändiſchen Elemente in dieſelbe der Form
nach zurückzuführen. Freilich blieb das ohne Erfolg; aber ohne Erfolg
blieben auch die Beſtrebungen, wenigſtens den Gemeinderath und ſeine
Wahl der Bürgerſchaft zurückzugeben. Am 9. März 1828 antwortete
die Kammer auf die Thronrede vom 15. Februar: Pour asseoir sur
la véritable base l’édifice de vos libertés, Votre coeur paternel,
Sire, nous rendra ces institutions municipales, monuments de nos
anciennes franchises qui rappelle à la mémoire de Vos peuples ce
qu’ils doivent à Vos ancêtres.“
Es blieb umſonſt. Da kam die
Revolution des Jahres 1830. Es war die Revolution der mittleren
Claſſe gegen die andrängende Herrſchaft der ſtändiſchen Welt. Sie ſiegte;
in ihrem Gefolge mußte der Gedanke aufs Neue lebendig werden, daß
die Theilnahme des Bürgerthums am Staatsleben ohne eine Theilnahme
an der Gemeindeverwaltung keine vollſtändige ſei. Das Julikönigthum
mußte nachgeben. Es mußte ſich bequemen eine neue Gemeindeordnung
zu erlaſſen. Aber wenn es das Haupt der bürgerlichen Mittelclaſſe
war, ſo war es nicht weniger das Haupt der ſpecifiſchen franzöſiſchen
Verwaltung. Es fand daher die Gränze der Freiheit, welche es der
erſtern in der Gemeinde gab, in den Forderungen, die es der zweiten
zugeſtehen mußte. Und durch das Zuſammenwirken beider entſtand nun
die Grundlage der heutigen Municipalverfaſſung Frankreichs, die aus
den drei Punkten beſteht, welche als Reſultat der geſammten bisherigen
Entwicklung betrachtet werden kann. Erſtlich bleibt der Maire Be-
amteter; zweitens gibt es auch jetzt noch keinen Magiſtrat, keine
Gemeindebeamteten, ſondern die Stelle derſelben wird vertreten durch
die amtlichen Adjoints; drittens aber wird der Conseil municipal
von der Gemeinde gewählt. Das ſind die Grundſätze, welche zuerſt
das Geſetz vom 21. März 1831, dann das Geſetz vom 18—22. Juli

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[485/0509] in ihr ſehen wir auch für Frankreich den Satz beſtätigt, daß die Ge- ſchichte der Gemeinde ſtets das Gegenbild der Verfaſſungsgeſchichte des Staats bildet. Napoleon, vor allen Dingen jeder Selbſtändigkeit abhold, ließ der Gemeinde auch nicht einmal das Recht, jenen machtloſen Gemeinderath zu wählen. In den Städten über 5000 Einwohner ernannte ſie der Kaiſer, in den kleineren der Préfet. Allerdings ward darin eine leichte Modifikation im Jahre 1802 vorgenommen. Allein im Weſentlichen blieb die Sache dieſelbe. Die Gemeinde war damit nichts als ein amt- licher Körper mit dem Conseil municipal als Vertretung; die Selbſt- verwaltung war ganz aus Frankreich verſchwunden. Die Reſtauration fühlte ſich ihrerſeits nicht berufen, dieß Verhältniß zu ändern. Sie behielt einfach die napoleoniſche Gemeindeverfaſſung bei; ja ſie verſuchte ſogar, die ſtändiſchen Elemente in dieſelbe der Form nach zurückzuführen. Freilich blieb das ohne Erfolg; aber ohne Erfolg blieben auch die Beſtrebungen, wenigſtens den Gemeinderath und ſeine Wahl der Bürgerſchaft zurückzugeben. Am 9. März 1828 antwortete die Kammer auf die Thronrede vom 15. Februar: Pour asseoir sur la véritable base l’édifice de vos libertés, Votre coeur paternel, Sire, nous rendra ces institutions municipales, monuments de nos anciennes franchises qui rappelle à la mémoire de Vos peuples ce qu’ils doivent à Vos ancêtres.“ Es blieb umſonſt. Da kam die Revolution des Jahres 1830. Es war die Revolution der mittleren Claſſe gegen die andrängende Herrſchaft der ſtändiſchen Welt. Sie ſiegte; in ihrem Gefolge mußte der Gedanke aufs Neue lebendig werden, daß die Theilnahme des Bürgerthums am Staatsleben ohne eine Theilnahme an der Gemeindeverwaltung keine vollſtändige ſei. Das Julikönigthum mußte nachgeben. Es mußte ſich bequemen eine neue Gemeindeordnung zu erlaſſen. Aber wenn es das Haupt der bürgerlichen Mittelclaſſe war, ſo war es nicht weniger das Haupt der ſpecifiſchen franzöſiſchen Verwaltung. Es fand daher die Gränze der Freiheit, welche es der erſtern in der Gemeinde gab, in den Forderungen, die es der zweiten zugeſtehen mußte. Und durch das Zuſammenwirken beider entſtand nun die Grundlage der heutigen Municipalverfaſſung Frankreichs, die aus den drei Punkten beſteht, welche als Reſultat der geſammten bisherigen Entwicklung betrachtet werden kann. Erſtlich bleibt der Maire Be- amteter; zweitens gibt es auch jetzt noch keinen Magiſtrat, keine Gemeindebeamteten, ſondern die Stelle derſelben wird vertreten durch die amtlichen Adjoints; drittens aber wird der Conseil municipal von der Gemeinde gewählt. Das ſind die Grundſätze, welche zuerſt das Geſetz vom 21. März 1831, dann das Geſetz vom 18—22. Juli

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/509>, abgerufen am 25.11.2024.