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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Conseil d'Arrondissement vorzunehmen. Nur einmal in der ganzen
Geschichte Frankreichs sehen wir einen Versuch, durch Entwicklung des
Canton der Selbstverwaltung einen selbständigen Körper zu geben; es
ist das die Constitution von 1848, welche einen Conseil de Canton an
die Stelle des im Grunde ganz amtlichen und höchst beschränkten Conseil
d'Arrondissement
setzen wollte, was aber niemals praktisch ward. Der
Gedanke, ein von der Administration unabhängiges Organ aufstellen
zu wollen, ist eben mit der ganzen französischen Entwicklung zu sehr
im Widerspruch, als daß er Erfolg haben könnte. Die Idee der Ver-
waltungsgemeinde in Frankreich erhielt sich nur noch in dem französischen
Juge de paix, den bereits das Gesetz vom 24. August 1790 einsetzte,
und dessen Competenz der Canton ist. Ursprünglich ward derselbe ge-
wählt; aber schon Napoleon setzte die Ernennung an die Stelle der
Wahl durch Senatusconsult vom 16. Thermidor an X, und seit 1814
hat die Regierung jede Beschränkung in dieser Ernennung beseitigt.
Wir fügen über die Competenz der französischen Friedensrichter hier
nichts hinzu, da wir als bekannt voraussetzen, daß derselbe kaum eine
Aehnlichkeit mit dem englischen hat, und im Grunde nichts anderes ist,
als ein ursprünglich der Wahl und damit der Selbstverwaltung, und
dann der Ernennung und damit dem Amtsorganismus angehöriges
schiedsrichterliches Organ, dessen Wesen und Werth rein in die Politik
der Rechtspflege fällt. Jedenfalls ist er der entscheidende Beweis, daß
in Frankreich keine Selbstverwaltung möglich ist. Wird sie dort je
möglich werden? Die Organisation der Ortsgemeinde gibt darauf die
entscheidende Antwort.

3) Die Commune und der Maire.

Offenbar sind die bisherigen Formen der örtlichen Selbstverwaltung
in Frankreich nicht der Art, daß sie dem Bedürfniß nach freier Theil-
nahme der Völker an der Vollziehung, das der Theilnahme an der
Bildung der Gesetze entsprochen hätte, genügen konnten. Das einzige
Gebiet, in welchem die große Frage noch einmal aufgeworfen werden
konnte, war das der Ortsgemeinde, der Commune.

In der That hat daher auch die Verfassung der Commune in
Frankreich ihre eigene Geschichte. Der Verfasser hat versucht sie in ihren
Grundzügen darzustellen und sie mit der Entwicklung der Gesellschafts-
ordnung in Verbindung zu bringen. (Die Municipalverfassung Frank-
reichs. 1842. Französisch: De la Constitution de la Commune en
France par L. Stein. Traduit de l'allemand par M. S. E. V. le Grand.

1859.) Diese Geschichte beginnt natürlich mit dem Entstehen der com-
munalen Bewegung, welche der Verfasser bereits in seiner französischen
Rechtsgeschichte (Theil 3) zum Theil dargelegt hat. Die Geschichte des

Conseil d’Arrondissement vorzunehmen. Nur einmal in der ganzen
Geſchichte Frankreichs ſehen wir einen Verſuch, durch Entwicklung des
Canton der Selbſtverwaltung einen ſelbſtändigen Körper zu geben; es
iſt das die Conſtitution von 1848, welche einen Conseil de Canton an
die Stelle des im Grunde ganz amtlichen und höchſt beſchränkten Conseil
d’Arrondissement
ſetzen wollte, was aber niemals praktiſch ward. Der
Gedanke, ein von der Adminiſtration unabhängiges Organ aufſtellen
zu wollen, iſt eben mit der ganzen franzöſiſchen Entwicklung zu ſehr
im Widerſpruch, als daß er Erfolg haben könnte. Die Idee der Ver-
waltungsgemeinde in Frankreich erhielt ſich nur noch in dem franzöſiſchen
Juge de paix, den bereits das Geſetz vom 24. Auguſt 1790 einſetzte,
und deſſen Competenz der Canton iſt. Urſprünglich ward derſelbe ge-
wählt; aber ſchon Napoleon ſetzte die Ernennung an die Stelle der
Wahl durch Senatusconſult vom 16. Thermidor an X, und ſeit 1814
hat die Regierung jede Beſchränkung in dieſer Ernennung beſeitigt.
Wir fügen über die Competenz der franzöſiſchen Friedensrichter hier
nichts hinzu, da wir als bekannt vorausſetzen, daß derſelbe kaum eine
Aehnlichkeit mit dem engliſchen hat, und im Grunde nichts anderes iſt,
als ein urſprünglich der Wahl und damit der Selbſtverwaltung, und
dann der Ernennung und damit dem Amtsorganismus angehöriges
ſchiedsrichterliches Organ, deſſen Weſen und Werth rein in die Politik
der Rechtspflege fällt. Jedenfalls iſt er der entſcheidende Beweis, daß
in Frankreich keine Selbſtverwaltung möglich iſt. Wird ſie dort je
möglich werden? Die Organiſation der Ortsgemeinde gibt darauf die
entſcheidende Antwort.

3) Die Commune und der Maire.

Offenbar ſind die bisherigen Formen der örtlichen Selbſtverwaltung
in Frankreich nicht der Art, daß ſie dem Bedürfniß nach freier Theil-
nahme der Völker an der Vollziehung, das der Theilnahme an der
Bildung der Geſetze entſprochen hätte, genügen konnten. Das einzige
Gebiet, in welchem die große Frage noch einmal aufgeworfen werden
konnte, war das der Ortsgemeinde, der Commune.

In der That hat daher auch die Verfaſſung der Commune in
Frankreich ihre eigene Geſchichte. Der Verfaſſer hat verſucht ſie in ihren
Grundzügen darzuſtellen und ſie mit der Entwicklung der Geſellſchafts-
ordnung in Verbindung zu bringen. (Die Municipalverfaſſung Frank-
reichs. 1842. Franzöſiſch: De la Constitution de la Commune en
France par L. Stein. Traduit de l’allemand par M. S. E. V. le Grand.

1859.) Dieſe Geſchichte beginnt natürlich mit dem Entſtehen der com-
munalen Bewegung, welche der Verfaſſer bereits in ſeiner franzöſiſchen
Rechtsgeſchichte (Theil 3) zum Theil dargelegt hat. Die Geſchichte des

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[482/0506] Conseil d’Arrondissement vorzunehmen. Nur einmal in der ganzen Geſchichte Frankreichs ſehen wir einen Verſuch, durch Entwicklung des Canton der Selbſtverwaltung einen ſelbſtändigen Körper zu geben; es iſt das die Conſtitution von 1848, welche einen Conseil de Canton an die Stelle des im Grunde ganz amtlichen und höchſt beſchränkten Conseil d’Arrondissement ſetzen wollte, was aber niemals praktiſch ward. Der Gedanke, ein von der Adminiſtration unabhängiges Organ aufſtellen zu wollen, iſt eben mit der ganzen franzöſiſchen Entwicklung zu ſehr im Widerſpruch, als daß er Erfolg haben könnte. Die Idee der Ver- waltungsgemeinde in Frankreich erhielt ſich nur noch in dem franzöſiſchen Juge de paix, den bereits das Geſetz vom 24. Auguſt 1790 einſetzte, und deſſen Competenz der Canton iſt. Urſprünglich ward derſelbe ge- wählt; aber ſchon Napoleon ſetzte die Ernennung an die Stelle der Wahl durch Senatusconſult vom 16. Thermidor an X, und ſeit 1814 hat die Regierung jede Beſchränkung in dieſer Ernennung beſeitigt. Wir fügen über die Competenz der franzöſiſchen Friedensrichter hier nichts hinzu, da wir als bekannt vorausſetzen, daß derſelbe kaum eine Aehnlichkeit mit dem engliſchen hat, und im Grunde nichts anderes iſt, als ein urſprünglich der Wahl und damit der Selbſtverwaltung, und dann der Ernennung und damit dem Amtsorganismus angehöriges ſchiedsrichterliches Organ, deſſen Weſen und Werth rein in die Politik der Rechtspflege fällt. Jedenfalls iſt er der entſcheidende Beweis, daß in Frankreich keine Selbſtverwaltung möglich iſt. Wird ſie dort je möglich werden? Die Organiſation der Ortsgemeinde gibt darauf die entſcheidende Antwort. 3) Die Commune und der Maire. Offenbar ſind die bisherigen Formen der örtlichen Selbſtverwaltung in Frankreich nicht der Art, daß ſie dem Bedürfniß nach freier Theil- nahme der Völker an der Vollziehung, das der Theilnahme an der Bildung der Geſetze entſprochen hätte, genügen konnten. Das einzige Gebiet, in welchem die große Frage noch einmal aufgeworfen werden konnte, war das der Ortsgemeinde, der Commune. In der That hat daher auch die Verfaſſung der Commune in Frankreich ihre eigene Geſchichte. Der Verfaſſer hat verſucht ſie in ihren Grundzügen darzuſtellen und ſie mit der Entwicklung der Geſellſchafts- ordnung in Verbindung zu bringen. (Die Municipalverfaſſung Frank- reichs. 1842. Franzöſiſch: De la Constitution de la Commune en France par L. Stein. Traduit de l’allemand par M. S. E. V. le Grand. 1859.) Dieſe Geſchichte beginnt natürlich mit dem Entſtehen der com- munalen Bewegung, welche der Verfaſſer bereits in ſeiner franzöſiſchen Rechtsgeſchichte (Theil 3) zum Theil dargelegt hat. Die Geſchichte des

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/506>, abgerufen am 25.11.2024.