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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Friedensrichter, und nur ein Theil derselben eigenen Verwaltungs-
gemeinden zufiel. Allmählig aber entstand das Bedürfniß, hier eine
feste Ordnung zu schaffen. So lange die Verwaltungsaufgaben noch
ganz bestimmte Anstalten zu ihrem Objekt hatten, war die Sache ein-
fach. Gefängnisse, Irrenhäuser, Straßen, Wege, Brücken, öffentliche
Gebäude geben, selbst begränzt, auch leicht eine Gränze für die Ver-
theilung ihrer Verwaltung. Als aber mit dem Ende des vorigen Jahr-
hunderts die Erkenntniß kommt, daß die Bedingungen der Entwicklung
in allgemeinen Verhältnissen, und die Aufgabe der Verwaltung daher
in einer beständigen Thätigkeit liegt, genügt die alte Ordnung nicht
mehr. Es muß, um uns so auszudrücken, das Verwalten und nicht
die spezielle Verwaltung zur Pflicht gemacht werden. Um das zu kön-
nen, muß ein neuer Organismus geschaffen werden. Dieß geschieht
nun durch die Public Health Act und die Local Management Act.
Beide haben wesentlich alle öffentlichen Gemeindezustände zum Gegen-
stand der Selbstverwaltung gemacht, namentlich das Gesundheits- und
Verkehrswesen; man konnte in diesem Sinne von Sanitäts- und Wege-
oder Straßengemeinden reden. Dabei war es nun natürlich, daß sich
die Organisation dieser Gemeinden zunächst an die Ortsgemeinde an-
schloß. Allein die Organe derselben sind dennoch anders gestellt, wie
im deutschen Gemeindewesen. Sie sind selbständige Verwaltungskörper
für selbständige Aufgaben, und bilden daher kein Glied des Gemeinde-
körpers, auch da nicht, wo sie mit ihm identisch sind. Ihr specifischer
Name ist "Board" oder "Commission" und ihre administrative Selb-
ständigkeit besteht darin, daß sie sich selbst ihre vollziehenden Organe
als ihre Beamteten wählen und einsetzen, daher aber auch in ihren
Funktionen unmittelbar unter dem Home Secretary, dem Minister des
Innern, stehen. Grundlage aber der Selbstverwaltung bleibt dabei
immer, daß die Verpflichtung zur verwaltenden Thätigkeit auf der
Gemeinschaft der Grundbesitzer ruht, daß diese die Steuern, und fast
ausschließlich nach der poor rate aufbringen, und daher den Board
oder die Commissioners selbst wählen. Auf diese Weise bildet sich ein
System der Verwaltungsgemeinden, welches wir in folgenden Grund-
formen bezeichnen können.

Die älteste Verwaltungsgemeinde ist die Kirchspielsgemeinde,
die parish, deren Grundlage die Kirchspielsversammlung oder open
vestry
aus allen Steuerzahlenden für die Church rate, eingetheilt in
sechs Classen, besteht, die sich eine Vertretung wählen und ihre voll-
ziehenden Organe in den Church wardens, den Kirchenvorstehern, haben.

Aus ihr hervorging die Armengemeinde, die in vielen Stellen
mit dem Kirchspiel und zum Theil auch mit der Kirchspielsversammlung

Friedensrichter, und nur ein Theil derſelben eigenen Verwaltungs-
gemeinden zufiel. Allmählig aber entſtand das Bedürfniß, hier eine
feſte Ordnung zu ſchaffen. So lange die Verwaltungsaufgaben noch
ganz beſtimmte Anſtalten zu ihrem Objekt hatten, war die Sache ein-
fach. Gefängniſſe, Irrenhäuſer, Straßen, Wege, Brücken, öffentliche
Gebäude geben, ſelbſt begränzt, auch leicht eine Gränze für die Ver-
theilung ihrer Verwaltung. Als aber mit dem Ende des vorigen Jahr-
hunderts die Erkenntniß kommt, daß die Bedingungen der Entwicklung
in allgemeinen Verhältniſſen, und die Aufgabe der Verwaltung daher
in einer beſtändigen Thätigkeit liegt, genügt die alte Ordnung nicht
mehr. Es muß, um uns ſo auszudrücken, das Verwalten und nicht
die ſpezielle Verwaltung zur Pflicht gemacht werden. Um das zu kön-
nen, muß ein neuer Organismus geſchaffen werden. Dieß geſchieht
nun durch die Public Health Act und die Local Management Act.
Beide haben weſentlich alle öffentlichen Gemeindezuſtände zum Gegen-
ſtand der Selbſtverwaltung gemacht, namentlich das Geſundheits- und
Verkehrsweſen; man konnte in dieſem Sinne von Sanitäts- und Wege-
oder Straßengemeinden reden. Dabei war es nun natürlich, daß ſich
die Organiſation dieſer Gemeinden zunächſt an die Ortsgemeinde an-
ſchloß. Allein die Organe derſelben ſind dennoch anders geſtellt, wie
im deutſchen Gemeindeweſen. Sie ſind ſelbſtändige Verwaltungskörper
für ſelbſtändige Aufgaben, und bilden daher kein Glied des Gemeinde-
körpers, auch da nicht, wo ſie mit ihm identiſch ſind. Ihr ſpecifiſcher
Name iſt „Board“ oder „Commission“ und ihre adminiſtrative Selb-
ſtändigkeit beſteht darin, daß ſie ſich ſelbſt ihre vollziehenden Organe
als ihre Beamteten wählen und einſetzen, daher aber auch in ihren
Funktionen unmittelbar unter dem Home Secretary, dem Miniſter des
Innern, ſtehen. Grundlage aber der Selbſtverwaltung bleibt dabei
immer, daß die Verpflichtung zur verwaltenden Thätigkeit auf der
Gemeinſchaft der Grundbeſitzer ruht, daß dieſe die Steuern, und faſt
ausſchließlich nach der poor rate aufbringen, und daher den Board
oder die Commissioners ſelbſt wählen. Auf dieſe Weiſe bildet ſich ein
Syſtem der Verwaltungsgemeinden, welches wir in folgenden Grund-
formen bezeichnen können.

Die älteſte Verwaltungsgemeinde iſt die Kirchſpielsgemeinde,
die parish, deren Grundlage die Kirchſpielsverſammlung oder open
vestry
aus allen Steuerzahlenden für die Church rate, eingetheilt in
ſechs Claſſen, beſteht, die ſich eine Vertretung wählen und ihre voll-
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Aus ihr hervorging die Armengemeinde, die in vielen Stellen
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[470/0494] Friedensrichter, und nur ein Theil derſelben eigenen Verwaltungs- gemeinden zufiel. Allmählig aber entſtand das Bedürfniß, hier eine feſte Ordnung zu ſchaffen. So lange die Verwaltungsaufgaben noch ganz beſtimmte Anſtalten zu ihrem Objekt hatten, war die Sache ein- fach. Gefängniſſe, Irrenhäuſer, Straßen, Wege, Brücken, öffentliche Gebäude geben, ſelbſt begränzt, auch leicht eine Gränze für die Ver- theilung ihrer Verwaltung. Als aber mit dem Ende des vorigen Jahr- hunderts die Erkenntniß kommt, daß die Bedingungen der Entwicklung in allgemeinen Verhältniſſen, und die Aufgabe der Verwaltung daher in einer beſtändigen Thätigkeit liegt, genügt die alte Ordnung nicht mehr. Es muß, um uns ſo auszudrücken, das Verwalten und nicht die ſpezielle Verwaltung zur Pflicht gemacht werden. Um das zu kön- nen, muß ein neuer Organismus geſchaffen werden. Dieß geſchieht nun durch die Public Health Act und die Local Management Act. Beide haben weſentlich alle öffentlichen Gemeindezuſtände zum Gegen- ſtand der Selbſtverwaltung gemacht, namentlich das Geſundheits- und Verkehrsweſen; man konnte in dieſem Sinne von Sanitäts- und Wege- oder Straßengemeinden reden. Dabei war es nun natürlich, daß ſich die Organiſation dieſer Gemeinden zunächſt an die Ortsgemeinde an- ſchloß. Allein die Organe derſelben ſind dennoch anders geſtellt, wie im deutſchen Gemeindeweſen. Sie ſind ſelbſtändige Verwaltungskörper für ſelbſtändige Aufgaben, und bilden daher kein Glied des Gemeinde- körpers, auch da nicht, wo ſie mit ihm identiſch ſind. Ihr ſpecifiſcher Name iſt „Board“ oder „Commission“ und ihre adminiſtrative Selb- ſtändigkeit beſteht darin, daß ſie ſich ſelbſt ihre vollziehenden Organe als ihre Beamteten wählen und einſetzen, daher aber auch in ihren Funktionen unmittelbar unter dem Home Secretary, dem Miniſter des Innern, ſtehen. Grundlage aber der Selbſtverwaltung bleibt dabei immer, daß die Verpflichtung zur verwaltenden Thätigkeit auf der Gemeinſchaft der Grundbeſitzer ruht, daß dieſe die Steuern, und faſt ausſchließlich nach der poor rate aufbringen, und daher den Board oder die Commissioners ſelbſt wählen. Auf dieſe Weiſe bildet ſich ein Syſtem der Verwaltungsgemeinden, welches wir in folgenden Grund- formen bezeichnen können. Die älteſte Verwaltungsgemeinde iſt die Kirchſpielsgemeinde, die parish, deren Grundlage die Kirchſpielsverſammlung oder open vestry aus allen Steuerzahlenden für die Church rate, eingetheilt in ſechs Claſſen, beſteht, die ſich eine Vertretung wählen und ihre voll- ziehenden Organe in den Church wardens, den Kirchenvorſtehern, haben. Aus ihr hervorging die Armengemeinde, die in vielen Stellen mit dem Kirchſpiel und zum Theil auch mit der Kirchſpielsverſammlung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/494>, abgerufen am 22.11.2024.