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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Bei diesem System muß man zuerst davon ausgehen, daß der
deutsche, und noch mehr der französische Begriff der "Gemeinde" für
England gar nicht existirt. Schon Gneist hat vollkommen richtig sich
wohl gehütet, den Begriff der Gemeinde als allgemeine Kategorie für
Englands Selbstverwaltung anzuwenden. In der That ist die Grund-
lage der englischen Selbstverwaltung nicht eine Gemeinde im deutschen
Sinne, welche in örtlicher Begrenzung alle Aufgaben des Staats durch
ihre Organe vollzieht, und die wir daher Ortsgemeinden nennen.
Auch England hat seine Ortsgemeinden, wie wir gleich sehen werden;
aber während dieselben in Frankreich nur ein organisches Glied jener
Selbstverwaltung, in Deutschland der fast ausschließliche Sitz derselben
sind, sind sie in England ganz untergeordnete Erscheinungen. Die
Grundlage des englischen Selfgovernment ist vielmehr statt der Orts-
gemeinde dasjenige, was wir die Verwaltungsgemeinde nennen
müssen, an welche sich dann der amtliche Körper des Kreises anschließt.
Durch diese beiden Elemente wird das System der englischen örtlichen
Selbstverwaltung gebildet.

Wir dürfen daher hier den Begriff der Verwaltungsgemeinde ge-
nauer bestimmen, da er die Grundlage der Individualität des englischen
Selfgovernment ist.

Unter Verwaltungsgemeinde verstehen wir eine örtlich begränzte
Gemeinschaft, welche einen selbständigen Organismus für Verfassung
und Verwaltung, aber nur eine, ganz bestimmte und von der Re-
gierung anerkannte Verwaltungsaufgabe zu vollziehen hat. Die
Verwaltungsgemeinde ist daher gegen die Ortsgemeinde ziemlich gleich-
gültig. Sie kann größer, sie kann kleiner sein; sie kann bloß eine
Stadt, sie kann auch mehrere, sie kann Stadt und Land umfassen.
Immer aber muß sie für ihre spezielle Aufgabe ihren eigenen Organis-
mus haben, und indem sie in jener Aufgabe eine Aufgabe des Staats
erfüllt, muß sie auch der Staatsverwaltung in gewisser Weise unter-
geordnet sein, damit die örtliche Vollziehung der ersteren nicht die Gleich-
artigkeit der letzteren vernichte. Es kann daher so viele Verwaltungs-
gemeinden geben, als es Aufgaben der Verwaltung gibt, und jede
derselben kann verschiedene äußere Gränzen und innere Principien haben.
Ob und in wie weit das letztere der Fall ist, wird allerdings von der
Gleichartigkeit der gesellschaftlichen Zustände abhängen. Immer aber
muß die Verwaltungsgemeinde ein Glied eines großen Verwaltungs-
ganzen bilden; und dieß größere Ganze nennen wir den Kreis. In
dem Kreise wird dann nothwendig die Staatsverwaltung das vor-
wiegende Element sein; in ihm kommt die Einheit des Staatslebens
zum Ausdruck, und er ist daher gar nicht denkbar, ohne daß er einen

Bei dieſem Syſtem muß man zuerſt davon ausgehen, daß der
deutſche, und noch mehr der franzöſiſche Begriff der „Gemeinde“ für
England gar nicht exiſtirt. Schon Gneiſt hat vollkommen richtig ſich
wohl gehütet, den Begriff der Gemeinde als allgemeine Kategorie für
Englands Selbſtverwaltung anzuwenden. In der That iſt die Grund-
lage der engliſchen Selbſtverwaltung nicht eine Gemeinde im deutſchen
Sinne, welche in örtlicher Begrenzung alle Aufgaben des Staats durch
ihre Organe vollzieht, und die wir daher Ortsgemeinden nennen.
Auch England hat ſeine Ortsgemeinden, wie wir gleich ſehen werden;
aber während dieſelben in Frankreich nur ein organiſches Glied jener
Selbſtverwaltung, in Deutſchland der faſt ausſchließliche Sitz derſelben
ſind, ſind ſie in England ganz untergeordnete Erſcheinungen. Die
Grundlage des engliſchen Selfgovernment iſt vielmehr ſtatt der Orts-
gemeinde dasjenige, was wir die Verwaltungsgemeinde nennen
müſſen, an welche ſich dann der amtliche Körper des Kreiſes anſchließt.
Durch dieſe beiden Elemente wird das Syſtem der engliſchen örtlichen
Selbſtverwaltung gebildet.

Wir dürfen daher hier den Begriff der Verwaltungsgemeinde ge-
nauer beſtimmen, da er die Grundlage der Individualität des engliſchen
Selfgovernment iſt.

Unter Verwaltungsgemeinde verſtehen wir eine örtlich begränzte
Gemeinſchaft, welche einen ſelbſtändigen Organismus für Verfaſſung
und Verwaltung, aber nur eine, ganz beſtimmte und von der Re-
gierung anerkannte Verwaltungsaufgabe zu vollziehen hat. Die
Verwaltungsgemeinde iſt daher gegen die Ortsgemeinde ziemlich gleich-
gültig. Sie kann größer, ſie kann kleiner ſein; ſie kann bloß eine
Stadt, ſie kann auch mehrere, ſie kann Stadt und Land umfaſſen.
Immer aber muß ſie für ihre ſpezielle Aufgabe ihren eigenen Organis-
mus haben, und indem ſie in jener Aufgabe eine Aufgabe des Staats
erfüllt, muß ſie auch der Staatsverwaltung in gewiſſer Weiſe unter-
geordnet ſein, damit die örtliche Vollziehung der erſteren nicht die Gleich-
artigkeit der letzteren vernichte. Es kann daher ſo viele Verwaltungs-
gemeinden geben, als es Aufgaben der Verwaltung gibt, und jede
derſelben kann verſchiedene äußere Gränzen und innere Principien haben.
Ob und in wie weit das letztere der Fall iſt, wird allerdings von der
Gleichartigkeit der geſellſchaftlichen Zuſtände abhängen. Immer aber
muß die Verwaltungsgemeinde ein Glied eines großen Verwaltungs-
ganzen bilden; und dieß größere Ganze nennen wir den Kreis. In
dem Kreiſe wird dann nothwendig die Staatsverwaltung das vor-
wiegende Element ſein; in ihm kommt die Einheit des Staatslebens
zum Ausdruck, und er iſt daher gar nicht denkbar, ohne daß er einen

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[467/0491] Bei dieſem Syſtem muß man zuerſt davon ausgehen, daß der deutſche, und noch mehr der franzöſiſche Begriff der „Gemeinde“ für England gar nicht exiſtirt. Schon Gneiſt hat vollkommen richtig ſich wohl gehütet, den Begriff der Gemeinde als allgemeine Kategorie für Englands Selbſtverwaltung anzuwenden. In der That iſt die Grund- lage der engliſchen Selbſtverwaltung nicht eine Gemeinde im deutſchen Sinne, welche in örtlicher Begrenzung alle Aufgaben des Staats durch ihre Organe vollzieht, und die wir daher Ortsgemeinden nennen. Auch England hat ſeine Ortsgemeinden, wie wir gleich ſehen werden; aber während dieſelben in Frankreich nur ein organiſches Glied jener Selbſtverwaltung, in Deutſchland der faſt ausſchließliche Sitz derſelben ſind, ſind ſie in England ganz untergeordnete Erſcheinungen. Die Grundlage des engliſchen Selfgovernment iſt vielmehr ſtatt der Orts- gemeinde dasjenige, was wir die Verwaltungsgemeinde nennen müſſen, an welche ſich dann der amtliche Körper des Kreiſes anſchließt. Durch dieſe beiden Elemente wird das Syſtem der engliſchen örtlichen Selbſtverwaltung gebildet. Wir dürfen daher hier den Begriff der Verwaltungsgemeinde ge- nauer beſtimmen, da er die Grundlage der Individualität des engliſchen Selfgovernment iſt. Unter Verwaltungsgemeinde verſtehen wir eine örtlich begränzte Gemeinſchaft, welche einen ſelbſtändigen Organismus für Verfaſſung und Verwaltung, aber nur eine, ganz beſtimmte und von der Re- gierung anerkannte Verwaltungsaufgabe zu vollziehen hat. Die Verwaltungsgemeinde iſt daher gegen die Ortsgemeinde ziemlich gleich- gültig. Sie kann größer, ſie kann kleiner ſein; ſie kann bloß eine Stadt, ſie kann auch mehrere, ſie kann Stadt und Land umfaſſen. Immer aber muß ſie für ihre ſpezielle Aufgabe ihren eigenen Organis- mus haben, und indem ſie in jener Aufgabe eine Aufgabe des Staats erfüllt, muß ſie auch der Staatsverwaltung in gewiſſer Weiſe unter- geordnet ſein, damit die örtliche Vollziehung der erſteren nicht die Gleich- artigkeit der letzteren vernichte. Es kann daher ſo viele Verwaltungs- gemeinden geben, als es Aufgaben der Verwaltung gibt, und jede derſelben kann verſchiedene äußere Gränzen und innere Principien haben. Ob und in wie weit das letztere der Fall iſt, wird allerdings von der Gleichartigkeit der geſellſchaftlichen Zuſtände abhängen. Immer aber muß die Verwaltungsgemeinde ein Glied eines großen Verwaltungs- ganzen bilden; und dieß größere Ganze nennen wir den Kreis. In dem Kreiſe wird dann nothwendig die Staatsverwaltung das vor- wiegende Element ſein; in ihm kommt die Einheit des Staatslebens zum Ausdruck, und er iſt daher gar nicht denkbar, ohne daß er einen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/491>, abgerufen am 25.11.2024.