daß der Grundherr als ursprünglich kein rechtlich bevorzugter, sondern nur ein mächtigerer Nachbar der Hufe oder des ganzen Dorfes, gerade die Selbstverwaltung der Dorfschaft für sich gewinnt, und die Form, in welcher dieser Uebergang der Selbstverwaltungsrechte von dem freien Bauernstande an den herrschaftlichen Grundbesitzer stattfindet, ist das zu Lehen geben. Die Akte, durch welche die Bauern sich als Vasallen der Gutsherren erkennen, sind im Grunde ursprünglich nur Uebertra- gungen der Selbstverwaltungsrechte des Bauernstandes an die Herren, keine Eigenthumsübertragungen, und die Lehensabgaben in recognitio- nem dominii sind nur Symbole dieser Verwaltungsrechte der Herrschaft. Auch gewinnt der Lehensherr des Dorfes damit nicht die Verwaltung der Ortsgemeinde, sondern die der Verwaltungsgemeinde; oder, wie wir sagen würden, die Grundherrlichkeit wird eben die Verwaltungs- gemeinde. In der Grundherrschaft sind daher principiell zwei Systeme der Selbstverwaltung, die eigentlich grundherrliche, welche auf dem ursprünglichen Eigenthum an Grund und Boden beruht, und die bäuerliche, welche durch Lehenserkennung entsteht und daher auch anfänglich die Ortsgemeinde als Dorfschaft ruhig fortbestehen läßt, nur die eigentliche Verwaltungsgemeinde bildend. Der Lehensherr hat daher die großen Funktionen, aus welchen die letzteren entstehen, das Kirchen- und Schulwesen, die Rechtspflege und das Communicationswesen zu verwalten. Er ist Kirchenpatron, er ist Gerichtsherr, und ist Herr der Wege, wodurch das peagium, die Mauth, entsteht. Diese Entwicklung knüpft bekanntlich an den karolingischen Grafen an; die Aufgaben des Comes sind eben die der Verwaltungsgemeinden, und das Aufgeben zu Lehen ist daher in sehr vielen -- vielleicht in allen -- Fällen nichts anderes, als die feierliche Anerkennung eines Gutsherrn als erblichen Grafen und Haupt der Verwaltung. Die ursprüngliche Lehensherrschaft ist daher noch keineswegs unfrei; die Selbstverwaltung bleibt an sich bestehen; aber die Häupter derselben sind nicht mehr gewählte, sondern erbliche Inhaber der Gewalt der Verwaltung.
Allein dieser Zustand konnte nicht dauernd bleiben. Der Lehens- herr hatte diese Gewalt für seine Hintersassen schon ursprünglich, für die freien Bauern durch Lehensübertragung als eine erbliche bekommen. Sie verschmolz daher mit seinem Grundbesitz selbst; sie ward sein Pri- vatrecht. Die Gränze dieser Gewalt aber, noch jetzt schwer zu defi- niren, war damals undefinirbar; mit ihr das Recht, die Lasten der Verwaltung zu vertheilen. So geht die Selbstbesteuerung der Dorfschaft auf den Gutsherrn über. Damit ist er nicht mehr das Haupt der Orts- und Verwaltungsgemeinde, er ist der Herr derselben. Dieses Princip gewinnt nun seine formelle Anerkennung mit dem Auftreten der
daß der Grundherr als urſprünglich kein rechtlich bevorzugter, ſondern nur ein mächtigerer Nachbar der Hufe oder des ganzen Dorfes, gerade die Selbſtverwaltung der Dorfſchaft für ſich gewinnt, und die Form, in welcher dieſer Uebergang der Selbſtverwaltungsrechte von dem freien Bauernſtande an den herrſchaftlichen Grundbeſitzer ſtattfindet, iſt das zu Lehen geben. Die Akte, durch welche die Bauern ſich als Vaſallen der Gutsherren erkennen, ſind im Grunde urſprünglich nur Uebertra- gungen der Selbſtverwaltungsrechte des Bauernſtandes an die Herren, keine Eigenthumsübertragungen, und die Lehensabgaben in recognitio- nem dominii ſind nur Symbole dieſer Verwaltungsrechte der Herrſchaft. Auch gewinnt der Lehensherr des Dorfes damit nicht die Verwaltung der Ortsgemeinde, ſondern die der Verwaltungsgemeinde; oder, wie wir ſagen würden, die Grundherrlichkeit wird eben die Verwaltungs- gemeinde. In der Grundherrſchaft ſind daher principiell zwei Syſteme der Selbſtverwaltung, die eigentlich grundherrliche, welche auf dem urſprünglichen Eigenthum an Grund und Boden beruht, und die bäuerliche, welche durch Lehenserkennung entſteht und daher auch anfänglich die Ortsgemeinde als Dorfſchaft ruhig fortbeſtehen läßt, nur die eigentliche Verwaltungsgemeinde bildend. Der Lehensherr hat daher die großen Funktionen, aus welchen die letzteren entſtehen, das Kirchen- und Schulweſen, die Rechtspflege und das Communicationsweſen zu verwalten. Er iſt Kirchenpatron, er iſt Gerichtsherr, und iſt Herr der Wege, wodurch das peagium, die Mauth, entſteht. Dieſe Entwicklung knüpft bekanntlich an den karolingiſchen Grafen an; die Aufgaben des Comes ſind eben die der Verwaltungsgemeinden, und das Aufgeben zu Lehen iſt daher in ſehr vielen — vielleicht in allen — Fällen nichts anderes, als die feierliche Anerkennung eines Gutsherrn als erblichen Grafen und Haupt der Verwaltung. Die urſprüngliche Lehensherrſchaft iſt daher noch keineswegs unfrei; die Selbſtverwaltung bleibt an ſich beſtehen; aber die Häupter derſelben ſind nicht mehr gewählte, ſondern erbliche Inhaber der Gewalt der Verwaltung.
Allein dieſer Zuſtand konnte nicht dauernd bleiben. Der Lehens- herr hatte dieſe Gewalt für ſeine Hinterſaſſen ſchon urſprünglich, für die freien Bauern durch Lehensübertragung als eine erbliche bekommen. Sie verſchmolz daher mit ſeinem Grundbeſitz ſelbſt; ſie ward ſein Pri- vatrecht. Die Gränze dieſer Gewalt aber, noch jetzt ſchwer zu defi- niren, war damals undefinirbar; mit ihr das Recht, die Laſten der Verwaltung zu vertheilen. So geht die Selbſtbeſteuerung der Dorfſchaft auf den Gutsherrn über. Damit iſt er nicht mehr das Haupt der Orts- und Verwaltungsgemeinde, er iſt der Herr derſelben. Dieſes Princip gewinnt nun ſeine formelle Anerkennung mit dem Auftreten der
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daß der Grundherr als urſprünglich kein rechtlich bevorzugter, ſondern
nur ein mächtigerer Nachbar der Hufe oder des ganzen Dorfes, gerade
die Selbſtverwaltung der Dorfſchaft für ſich gewinnt, und die Form,
in welcher dieſer Uebergang der Selbſtverwaltungsrechte von dem freien
Bauernſtande an den herrſchaftlichen Grundbeſitzer ſtattfindet, iſt das
zu Lehen geben. Die Akte, durch welche die Bauern ſich als Vaſallen
der Gutsherren erkennen, ſind im Grunde urſprünglich nur Uebertra-
gungen der Selbſtverwaltungsrechte des Bauernſtandes an die Herren,
keine Eigenthumsübertragungen, und die Lehensabgaben in recognitio-
nem dominii ſind nur Symbole dieſer Verwaltungsrechte der Herrſchaft.
Auch gewinnt der Lehensherr des Dorfes damit nicht die Verwaltung
der Ortsgemeinde, ſondern die der Verwaltungsgemeinde; oder, wie wir
ſagen würden, die Grundherrlichkeit wird eben die Verwaltungs-
gemeinde. In der Grundherrſchaft ſind daher principiell zwei
Syſteme der Selbſtverwaltung, die eigentlich grundherrliche, welche auf
dem urſprünglichen Eigenthum an Grund und Boden beruht, und die
bäuerliche, welche durch Lehenserkennung entſteht und daher auch
anfänglich die Ortsgemeinde als Dorfſchaft ruhig fortbeſtehen läßt, nur
die eigentliche Verwaltungsgemeinde bildend. Der Lehensherr hat daher
die großen Funktionen, aus welchen die letzteren entſtehen, das Kirchen-
und Schulweſen, die Rechtspflege und das Communicationsweſen zu
verwalten. Er iſt Kirchenpatron, er iſt Gerichtsherr, und iſt Herr der
Wege, wodurch das peagium, die Mauth, entſteht. Dieſe Entwicklung
knüpft bekanntlich an den karolingiſchen Grafen an; die Aufgaben des
Comes ſind eben die der Verwaltungsgemeinden, und das Aufgeben zu
Lehen iſt daher in ſehr vielen — vielleicht in allen — Fällen nichts
anderes, als die feierliche Anerkennung eines Gutsherrn als erblichen
Grafen und Haupt der Verwaltung. Die urſprüngliche Lehensherrſchaft
iſt daher noch keineswegs unfrei; die Selbſtverwaltung bleibt an ſich
beſtehen; aber die Häupter derſelben ſind nicht mehr gewählte, ſondern
erbliche Inhaber der Gewalt der Verwaltung.
Allein dieſer Zuſtand konnte nicht dauernd bleiben. Der Lehens-
herr hatte dieſe Gewalt für ſeine Hinterſaſſen ſchon urſprünglich, für
die freien Bauern durch Lehensübertragung als eine erbliche bekommen.
Sie verſchmolz daher mit ſeinem Grundbeſitz ſelbſt; ſie ward ſein Pri-
vatrecht. Die Gränze dieſer Gewalt aber, noch jetzt ſchwer zu defi-
niren, war damals undefinirbar; mit ihr das Recht, die Laſten der
Verwaltung zu vertheilen. So geht die Selbſtbeſteuerung der Dorfſchaft
auf den Gutsherrn über. Damit iſt er nicht mehr das Haupt der Orts-
und Verwaltungsgemeinde, er iſt der Herr derſelben. Dieſes Princip
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/474>, abgerufen am 22.11.2024.
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