Selbstverwaltung schließt ihrerseits gleichfalls jeden Nichtbesitzer aus, und läßt nur die Hufenbesitzer zur Verwaltung zu; aber für diese existirt aller- dings das Recht gemeinsamen Beschlusses und gemeinsamer Wahl. Da- gegen besaß die Dorfschaft wieder keine Gränze ihres Rechts gegenüber der entstehenden landesherrlichen Verwaltung, da sie eigentlich gar keinen objektiv gültigen Rechtstitel hatte. Es hing nur von der letztern ab, wie weit sie greifen wollte und konnte. Faßt man das zusammen, so muß man sagen, daß die erste Form der Selbstverwaltung des Mittel- alters, die Herrschaft, zwar das Moment der Selbständigkeit besitzt, aber nicht das der Freiheit; die zweite Form, die Dorfschaft, hat zwar das Moment der Freiheit, aber nicht das der Selbständigkeit. Beide, wesent- lich verschieden, stehen daher mit einander in Widerspruch, und jene Momente mußten alsbald zum Kampfe gelangen. Dieser Kampf selbst aber war nichts anderes, als der Kampf des Restes der freien Geschlechter- ordnung, welche in den Dorfschaften herrschte, mit den Anfängen der Ständeordnung, welche die Grundherrlichkeit bildete. Der Begriff der Gemeinde im heutigen Sinn fehlt noch beiden.
Jener Kampf beginnt nun historisch fast schon unter Karl dem Großen. Am Ende der Karolingischen Dynastie ist seine erste Epoche erledigt. In allen romanischen Staaten unterwirft die Herrschaft die Dorfschaft; das Princip der Grundherrlichkeit greift durch, und der letzte Rest freier Verwaltung verschwindet in der administrativen Sou- veränetät der Grundherren. Die Gründe dafür liegen wesentlich in dem Vorherrschen des an Unfreiheit gewöhnten romanischen kleinen Grund- besitzes; der zieht die germanische vereinzelte freie Hufe mit hinab, und mit dem zehnten Jahrhundert ist das ganze Land eine unendliche Vielheit von kleinen souveränen Herrschaften. In den germanischen Staaten wird ein ähnlicher Erfolg erzielt, aber theils später, theils auf anderem Wege. Es ist ein unendlich weitläuftiger, wichtiger und nur in einzelnen Theilen gehörig aufgeklärter Theil der inneren Geschichte des Continents, den wir hier berühren. Doch stehen die großen historischen Thatsachen ziemlich fest, und sie sind es, welche den Gang der Geschichte der Selbstverwaltung oder vielmehr des Ueberganges der dorfschaftlichen Selbstverwaltung an die Grundherrlichkeit und ihre Verwaltung erklären. Man kann sie alle auf zwei große Gruppen zurückführen.
Die erste besteht in der einfachen Unterwerfung der einzelnen freien Bauern und Dorfschaften unter die Grundherrlichkeit. Sie ist in hun- dert verschiedenen Formen geschehen; aber es läßt sich trotz dem nicht verkennen, daß sie in den bei weitem meisten Fällen doch dieselbe Grundlage hat. Sie besteht nämlich nur selten darin, daß die Dorf- schaft oder Hufe direkt unfrei wird, sondern meistens beginnt sie damit,
Stein, die Verwaltungslehre. I. 29
Selbſtverwaltung ſchließt ihrerſeits gleichfalls jeden Nichtbeſitzer aus, und läßt nur die Hufenbeſitzer zur Verwaltung zu; aber für dieſe exiſtirt aller- dings das Recht gemeinſamen Beſchluſſes und gemeinſamer Wahl. Da- gegen beſaß die Dorfſchaft wieder keine Gränze ihres Rechts gegenüber der entſtehenden landesherrlichen Verwaltung, da ſie eigentlich gar keinen objektiv gültigen Rechtstitel hatte. Es hing nur von der letztern ab, wie weit ſie greifen wollte und konnte. Faßt man das zuſammen, ſo muß man ſagen, daß die erſte Form der Selbſtverwaltung des Mittel- alters, die Herrſchaft, zwar das Moment der Selbſtändigkeit beſitzt, aber nicht das der Freiheit; die zweite Form, die Dorfſchaft, hat zwar das Moment der Freiheit, aber nicht das der Selbſtändigkeit. Beide, weſent- lich verſchieden, ſtehen daher mit einander in Widerſpruch, und jene Momente mußten alsbald zum Kampfe gelangen. Dieſer Kampf ſelbſt aber war nichts anderes, als der Kampf des Reſtes der freien Geſchlechter- ordnung, welche in den Dorfſchaften herrſchte, mit den Anfängen der Ständeordnung, welche die Grundherrlichkeit bildete. Der Begriff der Gemeinde im heutigen Sinn fehlt noch beiden.
Jener Kampf beginnt nun hiſtoriſch faſt ſchon unter Karl dem Großen. Am Ende der Karolingiſchen Dynaſtie iſt ſeine erſte Epoche erledigt. In allen romaniſchen Staaten unterwirft die Herrſchaft die Dorfſchaft; das Princip der Grundherrlichkeit greift durch, und der letzte Reſt freier Verwaltung verſchwindet in der adminiſtrativen Sou- veränetät der Grundherren. Die Gründe dafür liegen weſentlich in dem Vorherrſchen des an Unfreiheit gewöhnten romaniſchen kleinen Grund- beſitzes; der zieht die germaniſche vereinzelte freie Hufe mit hinab, und mit dem zehnten Jahrhundert iſt das ganze Land eine unendliche Vielheit von kleinen ſouveränen Herrſchaften. In den germaniſchen Staaten wird ein ähnlicher Erfolg erzielt, aber theils ſpäter, theils auf anderem Wege. Es iſt ein unendlich weitläuftiger, wichtiger und nur in einzelnen Theilen gehörig aufgeklärter Theil der inneren Geſchichte des Continents, den wir hier berühren. Doch ſtehen die großen hiſtoriſchen Thatſachen ziemlich feſt, und ſie ſind es, welche den Gang der Geſchichte der Selbſtverwaltung oder vielmehr des Ueberganges der dorfſchaftlichen Selbſtverwaltung an die Grundherrlichkeit und ihre Verwaltung erklären. Man kann ſie alle auf zwei große Gruppen zurückführen.
Die erſte beſteht in der einfachen Unterwerfung der einzelnen freien Bauern und Dorfſchaften unter die Grundherrlichkeit. Sie iſt in hun- dert verſchiedenen Formen geſchehen; aber es läßt ſich trotz dem nicht verkennen, daß ſie in den bei weitem meiſten Fällen doch dieſelbe Grundlage hat. Sie beſteht nämlich nur ſelten darin, daß die Dorf- ſchaft oder Hufe direkt unfrei wird, ſondern meiſtens beginnt ſie damit,
Stein, die Verwaltungslehre. I. 29
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Selbſtverwaltung ſchließt ihrerſeits gleichfalls jeden Nichtbeſitzer aus, und
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dings das Recht gemeinſamen Beſchluſſes und gemeinſamer Wahl. Da-
gegen beſaß die Dorfſchaft wieder keine Gränze ihres Rechts gegenüber
der entſtehenden landesherrlichen Verwaltung, da ſie eigentlich gar keinen
objektiv gültigen Rechtstitel hatte. Es hing nur von der letztern ab,
wie weit ſie greifen wollte und konnte. Faßt man das zuſammen, ſo
muß man ſagen, daß die erſte Form der Selbſtverwaltung des Mittel-
alters, die Herrſchaft, zwar das Moment der Selbſtändigkeit beſitzt, aber
nicht das der Freiheit; die zweite Form, die Dorfſchaft, hat zwar das
Moment der Freiheit, aber nicht das der Selbſtändigkeit. Beide, weſent-
lich verſchieden, ſtehen daher mit einander in Widerſpruch, und jene
Momente mußten alsbald zum Kampfe gelangen. Dieſer Kampf ſelbſt
aber war nichts anderes, als der Kampf des Reſtes der freien Geſchlechter-
ordnung, welche in den Dorfſchaften herrſchte, mit den Anfängen der
Ständeordnung, welche die Grundherrlichkeit bildete. Der Begriff der
Gemeinde im heutigen Sinn fehlt noch beiden.
Jener Kampf beginnt nun hiſtoriſch faſt ſchon unter Karl dem
Großen. Am Ende der Karolingiſchen Dynaſtie iſt ſeine erſte Epoche
erledigt. In allen romaniſchen Staaten unterwirft die Herrſchaft die
Dorfſchaft; das Princip der Grundherrlichkeit greift durch, und der
letzte Reſt freier Verwaltung verſchwindet in der adminiſtrativen Sou-
veränetät der Grundherren. Die Gründe dafür liegen weſentlich in dem
Vorherrſchen des an Unfreiheit gewöhnten romaniſchen kleinen Grund-
beſitzes; der zieht die germaniſche vereinzelte freie Hufe mit hinab,
und mit dem zehnten Jahrhundert iſt das ganze Land eine unendliche
Vielheit von kleinen ſouveränen Herrſchaften. In den germaniſchen
Staaten wird ein ähnlicher Erfolg erzielt, aber theils ſpäter, theils auf
anderem Wege. Es iſt ein unendlich weitläuftiger, wichtiger und nur in
einzelnen Theilen gehörig aufgeklärter Theil der inneren Geſchichte des
Continents, den wir hier berühren. Doch ſtehen die großen hiſtoriſchen
Thatſachen ziemlich feſt, und ſie ſind es, welche den Gang der Geſchichte
der Selbſtverwaltung oder vielmehr des Ueberganges der dorfſchaftlichen
Selbſtverwaltung an die Grundherrlichkeit und ihre Verwaltung erklären.
Man kann ſie alle auf zwei große Gruppen zurückführen.
Die erſte beſteht in der einfachen Unterwerfung der einzelnen freien
Bauern und Dorfſchaften unter die Grundherrlichkeit. Sie iſt in hun-
dert verſchiedenen Formen geſchehen; aber es läßt ſich trotz dem nicht
verkennen, daß ſie in den bei weitem meiſten Fällen doch dieſelbe
Grundlage hat. Sie beſteht nämlich nur ſelten darin, daß die Dorf-
ſchaft oder Hufe direkt unfrei wird, ſondern meiſtens beginnt ſie damit,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/473>, abgerufen am 22.11.2024.
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