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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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genügen jene Provinzialstände in keiner Weise, denn der Gegenstand
derselben ist wesentlich nur das ständische Eigenthum; das Element der
Berathung für die Verordnungsgewalt herrscht vor; es ist eine ent-
schieden unvollkommene. Oesterreich gab auch das nicht. Es blieb ganz
bei dem alten System.

An diese beiden großen Staaten schließt sich nun die zweite große
Gruppe, namentlich die nördlichen Bundesstaaten, welche einfach gar
keine Verfassung gaben, und auch den Resten der alten Landschaften
keine selbständige Stellung geben wollten, nicht einmal für die Selbst-
verwaltung, geschweige denn für die Gesetzgebung. Hier bestand daher
der alte Zustand fort; nur der Staat war besser organisirt; von einem
Rechte des Volkes war keine Rede; in den meisten derselben ward sogar
nicht einmal das System der Gemeinden reformirt. Eine durchgreifende
Aenderung war hier mit der Zeit unvermeidlich.

Die dritte Gruppe endlich bestand aus denjenigen Staaten, welche
wirkliche Verfassungen gebildet hatten, Bayern, Württemberg, Baden,
Nassau, Sachsen-Weimar. In diesen Verfassungen war das alte land-
schaftliche Recht anerkannt und in der Form der staatsbürgerlichen Ge-
sellschaft ausgeführt; allein die Grundlage bildete der ständische Orga-
nismus, wenn gleich der staatsbürgerlichen Wahl daneben ihr Recht
zugestanden war. Hier war daher die Landschaft zur Verfassung ge-
worden.

Das war der Zustand bis 1830. Die Bewegung dieses Jahres
änderte ihn wesentlich. Die meisten deutschen Staaten der zweiten
Gruppe bekamen jetzt Verfassungen. Aber diese Verfassungen schieden
sich sofort nach den beiden andern Gruppen. Einige Staaten bildeten
ihre Verfassungen auf Grundlagen des Staatsbürgerthums nach dem
Muster der dritten Gruppe. Einige dagegen gelangten nur dahin, die
alten Stände mit den früheren streng provinziell geschiedenen Rechten,
aber wesentlicher Modifikation ihrer Organisation zu bilden. Oesterreich
und Preußen verweigerten jede Fortbildung. So gab es jetzt bis 1848
Staaten mit Verfassungen, und Staaten mit Landschaften und Land-
tagen. Damit war die Verwirrung auch der theoretischen Begriffe
unausbleiblich, in denen trotz der Beibehaltung des Namens der Land-
tage jede klare Vorstellung von denselben zu Crunde ging. Es war
natürlich, daß man die ständischen Landtagsrechte als Verfassungsrecht
auffaßte, und bei der tiefen Verschiedenheit zwischen beiden den wahren
Begriff des letzteren verlor, während es keine Vergleichung des so Ver-
schiedenen geben konnte, und die Lehre vom "constitutionellen Staats-
recht" außerhalb der Wirklichkeit stand. Das war um so mehr der
Fall, als bei der Kleinheit der meisten deutschen Staaten die Volks-

genügen jene Provinzialſtände in keiner Weiſe, denn der Gegenſtand
derſelben iſt weſentlich nur das ſtändiſche Eigenthum; das Element der
Berathung für die Verordnungsgewalt herrſcht vor; es iſt eine ent-
ſchieden unvollkommene. Oeſterreich gab auch das nicht. Es blieb ganz
bei dem alten Syſtem.

An dieſe beiden großen Staaten ſchließt ſich nun die zweite große
Gruppe, namentlich die nördlichen Bundesſtaaten, welche einfach gar
keine Verfaſſung gaben, und auch den Reſten der alten Landſchaften
keine ſelbſtändige Stellung geben wollten, nicht einmal für die Selbſt-
verwaltung, geſchweige denn für die Geſetzgebung. Hier beſtand daher
der alte Zuſtand fort; nur der Staat war beſſer organiſirt; von einem
Rechte des Volkes war keine Rede; in den meiſten derſelben ward ſogar
nicht einmal das Syſtem der Gemeinden reformirt. Eine durchgreifende
Aenderung war hier mit der Zeit unvermeidlich.

Die dritte Gruppe endlich beſtand aus denjenigen Staaten, welche
wirkliche Verfaſſungen gebildet hatten, Bayern, Württemberg, Baden,
Naſſau, Sachſen-Weimar. In dieſen Verfaſſungen war das alte land-
ſchaftliche Recht anerkannt und in der Form der ſtaatsbürgerlichen Ge-
ſellſchaft ausgeführt; allein die Grundlage bildete der ſtändiſche Orga-
nismus, wenn gleich der ſtaatsbürgerlichen Wahl daneben ihr Recht
zugeſtanden war. Hier war daher die Landſchaft zur Verfaſſung ge-
worden.

Das war der Zuſtand bis 1830. Die Bewegung dieſes Jahres
änderte ihn weſentlich. Die meiſten deutſchen Staaten der zweiten
Gruppe bekamen jetzt Verfaſſungen. Aber dieſe Verfaſſungen ſchieden
ſich ſofort nach den beiden andern Gruppen. Einige Staaten bildeten
ihre Verfaſſungen auf Grundlagen des Staatsbürgerthums nach dem
Muſter der dritten Gruppe. Einige dagegen gelangten nur dahin, die
alten Stände mit den früheren ſtreng provinziell geſchiedenen Rechten,
aber weſentlicher Modifikation ihrer Organiſation zu bilden. Oeſterreich
und Preußen verweigerten jede Fortbildung. So gab es jetzt bis 1848
Staaten mit Verfaſſungen, und Staaten mit Landſchaften und Land-
tagen. Damit war die Verwirrung auch der theoretiſchen Begriffe
unausbleiblich, in denen trotz der Beibehaltung des Namens der Land-
tage jede klare Vorſtellung von denſelben zu Crunde ging. Es war
natürlich, daß man die ſtändiſchen Landtagsrechte als Verfaſſungsrecht
auffaßte, und bei der tiefen Verſchiedenheit zwiſchen beiden den wahren
Begriff des letzteren verlor, während es keine Vergleichung des ſo Ver-
ſchiedenen geben konnte, und die Lehre vom „conſtitutionellen Staats-
recht“ außerhalb der Wirklichkeit ſtand. Das war um ſo mehr der
Fall, als bei der Kleinheit der meiſten deutſchen Staaten die Volks-

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[428/0452] genügen jene Provinzialſtände in keiner Weiſe, denn der Gegenſtand derſelben iſt weſentlich nur das ſtändiſche Eigenthum; das Element der Berathung für die Verordnungsgewalt herrſcht vor; es iſt eine ent- ſchieden unvollkommene. Oeſterreich gab auch das nicht. Es blieb ganz bei dem alten Syſtem. An dieſe beiden großen Staaten ſchließt ſich nun die zweite große Gruppe, namentlich die nördlichen Bundesſtaaten, welche einfach gar keine Verfaſſung gaben, und auch den Reſten der alten Landſchaften keine ſelbſtändige Stellung geben wollten, nicht einmal für die Selbſt- verwaltung, geſchweige denn für die Geſetzgebung. Hier beſtand daher der alte Zuſtand fort; nur der Staat war beſſer organiſirt; von einem Rechte des Volkes war keine Rede; in den meiſten derſelben ward ſogar nicht einmal das Syſtem der Gemeinden reformirt. Eine durchgreifende Aenderung war hier mit der Zeit unvermeidlich. Die dritte Gruppe endlich beſtand aus denjenigen Staaten, welche wirkliche Verfaſſungen gebildet hatten, Bayern, Württemberg, Baden, Naſſau, Sachſen-Weimar. In dieſen Verfaſſungen war das alte land- ſchaftliche Recht anerkannt und in der Form der ſtaatsbürgerlichen Ge- ſellſchaft ausgeführt; allein die Grundlage bildete der ſtändiſche Orga- nismus, wenn gleich der ſtaatsbürgerlichen Wahl daneben ihr Recht zugeſtanden war. Hier war daher die Landſchaft zur Verfaſſung ge- worden. Das war der Zuſtand bis 1830. Die Bewegung dieſes Jahres änderte ihn weſentlich. Die meiſten deutſchen Staaten der zweiten Gruppe bekamen jetzt Verfaſſungen. Aber dieſe Verfaſſungen ſchieden ſich ſofort nach den beiden andern Gruppen. Einige Staaten bildeten ihre Verfaſſungen auf Grundlagen des Staatsbürgerthums nach dem Muſter der dritten Gruppe. Einige dagegen gelangten nur dahin, die alten Stände mit den früheren ſtreng provinziell geſchiedenen Rechten, aber weſentlicher Modifikation ihrer Organiſation zu bilden. Oeſterreich und Preußen verweigerten jede Fortbildung. So gab es jetzt bis 1848 Staaten mit Verfaſſungen, und Staaten mit Landſchaften und Land- tagen. Damit war die Verwirrung auch der theoretiſchen Begriffe unausbleiblich, in denen trotz der Beibehaltung des Namens der Land- tage jede klare Vorſtellung von denſelben zu Crunde ging. Es war natürlich, daß man die ſtändiſchen Landtagsrechte als Verfaſſungsrecht auffaßte, und bei der tiefen Verſchiedenheit zwiſchen beiden den wahren Begriff des letzteren verlor, während es keine Vergleichung des ſo Ver- ſchiedenen geben konnte, und die Lehre vom „conſtitutionellen Staats- recht“ außerhalb der Wirklichkeit ſtand. Das war um ſo mehr der Fall, als bei der Kleinheit der meiſten deutſchen Staaten die Volks-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/452>, abgerufen am 25.11.2024.