der staatsbürgerlichen Gesellschaft ein. Die wahre Bedeutung dieses Sieges, dem alten Zustande gegenüber, liegt nun darin, daß die staatsbürgerliche Gesellschaft das Recht auf die historische Theilnahme an Gesetzgebung und Verwaltung zu einem principiellen, mit dem Wesen der Persönlichkeit gegebenen erhebt. Die Staaten erkennen dieß Recht an, und es entstehen die Verfassungen und die neuen Organi- sationen der Staatsgewalt. Auch für die Regierung greift jenes Princip der Theilnahme des Volkes durch; es entsteht die Vorstellung von der Selbstverwaltung. Und jetzt ist die Frage gegeben, welche Bedeutung die alte Landschaft in dieser neuen Ordnung der Dinge hat und haben könne? Wie weit und in welcher Form sie fähig ist, auch in der staatsbürgerlichen Gesellschaft fortzuleben?
Hier nun muß man auf Grundlage der bisherigen Funktionen der Landschaft wesentlich unterscheiden. Das Princip der verfassungsmäßigen Gesetzgebung ist, daß ein Gesetz als Gesammtwillen auch nur durch den Willen der Gesammtheit gebildet werden kann, ohne Rücksicht auf seinen Inhalt und die Verpflichtungen, die es auferlegt. Daraus folgt der organische Grundsatz, daß keine Landschaft mehr ein Recht auf selbständige Theilnahme an der Gesetzgebung haben kann. Die Gesetzgebung geht von ihr über auf den gesetzgebenden Körper der Volksvertretung. Die Landschaft daher, mag sie nun be- stehen wie sie will, existirt damit nur noch als ein Verwaltungs- körper, und mit diesem Satze reiht sie sich ein in denjenigen Staats- organismus, den die staatsbürgerliche Gesellschaft erzeugt. Das ist ihre organische Stellung in der neuen Zeit. Sie besteht, insofern wir von ganz Europa sprechen, nur noch als Selbstverwaltungskörper.
In dieser Beziehung nun erscheint allerdings ein Moment, welches gleichfalls als ein europäisches betrachtet werden kann. Die Aufgaben der Staatsverwaltung fangen an, so wichtig und umfangreich zu wer- den, daß sie eines kleinen Gebietes bedürfen, um übersehen und aus- geführt zu werden. Der Schwerpunkt der Verwaltung beginnt daher von den größern Körpern sich den etwas kleineren zuzuneigen; es wird dadurch unthunlich, die Landschaft für sich allein darzustellen. Man kann dieß Verhältniß nicht besser bezeichnen, als indem man die eine Landschaft in ihrer administrativen Seite als eine Einheit des Systems der Gemeinden bezeichnet. Sie ist aus ihrer Selbständigkeit heraus- getreten und ein Glied eines Ganzen geworden, und gewisse Wieder- holungen sind daher in der Darstellung unvermeidlich. Namentlich aber ist dieß bei den einzelnen Ländern nothwendig. Diese aber sind gerade in demjenigen, was wir die Landschaft nennen, so gründlich und wesentlich verschieden, daß es wohl kein Gebiet gibt, in welchem
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ein. Die wahre Bedeutung dieſes Sieges, dem alten Zuſtande gegenüber, liegt nun darin, daß die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft das Recht auf die hiſtoriſche Theilnahme an Geſetzgebung und Verwaltung zu einem principiellen, mit dem Weſen der Perſönlichkeit gegebenen erhebt. Die Staaten erkennen dieß Recht an, und es entſtehen die Verfaſſungen und die neuen Organi- ſationen der Staatsgewalt. Auch für die Regierung greift jenes Princip der Theilnahme des Volkes durch; es entſteht die Vorſtellung von der Selbſtverwaltung. Und jetzt iſt die Frage gegeben, welche Bedeutung die alte Landſchaft in dieſer neuen Ordnung der Dinge hat und haben könne? Wie weit und in welcher Form ſie fähig iſt, auch in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft fortzuleben?
Hier nun muß man auf Grundlage der bisherigen Funktionen der Landſchaft weſentlich unterſcheiden. Das Princip der verfaſſungsmäßigen Geſetzgebung iſt, daß ein Geſetz als Geſammtwillen auch nur durch den Willen der Geſammtheit gebildet werden kann, ohne Rückſicht auf ſeinen Inhalt und die Verpflichtungen, die es auferlegt. Daraus folgt der organiſche Grundſatz, daß keine Landſchaft mehr ein Recht auf ſelbſtändige Theilnahme an der Geſetzgebung haben kann. Die Geſetzgebung geht von ihr über auf den geſetzgebenden Körper der Volksvertretung. Die Landſchaft daher, mag ſie nun be- ſtehen wie ſie will, exiſtirt damit nur noch als ein Verwaltungs- körper, und mit dieſem Satze reiht ſie ſich ein in denjenigen Staats- organismus, den die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft erzeugt. Das iſt ihre organiſche Stellung in der neuen Zeit. Sie beſteht, inſofern wir von ganz Europa ſprechen, nur noch als Selbſtverwaltungskörper.
In dieſer Beziehung nun erſcheint allerdings ein Moment, welches gleichfalls als ein europäiſches betrachtet werden kann. Die Aufgaben der Staatsverwaltung fangen an, ſo wichtig und umfangreich zu wer- den, daß ſie eines kleinen Gebietes bedürfen, um überſehen und aus- geführt zu werden. Der Schwerpunkt der Verwaltung beginnt daher von den größern Körpern ſich den etwas kleineren zuzuneigen; es wird dadurch unthunlich, die Landſchaft für ſich allein darzuſtellen. Man kann dieß Verhältniß nicht beſſer bezeichnen, als indem man die eine Landſchaft in ihrer adminiſtrativen Seite als eine Einheit des Syſtems der Gemeinden bezeichnet. Sie iſt aus ihrer Selbſtändigkeit heraus- getreten und ein Glied eines Ganzen geworden, und gewiſſe Wieder- holungen ſind daher in der Darſtellung unvermeidlich. Namentlich aber iſt dieß bei den einzelnen Ländern nothwendig. Dieſe aber ſind gerade in demjenigen, was wir die Landſchaft nennen, ſo gründlich und weſentlich verſchieden, daß es wohl kein Gebiet gibt, in welchem
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der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ein. Die wahre Bedeutung dieſes
Sieges, dem alten Zuſtande gegenüber, liegt nun darin, daß die
ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft das Recht auf die hiſtoriſche Theilnahme
an Geſetzgebung und Verwaltung zu einem principiellen, mit dem
Weſen der Perſönlichkeit gegebenen erhebt. Die Staaten erkennen dieß
Recht an, und es entſtehen die Verfaſſungen und die neuen Organi-
ſationen der Staatsgewalt. Auch für die Regierung greift jenes Princip
der Theilnahme des Volkes durch; es entſteht die Vorſtellung von der
Selbſtverwaltung. Und jetzt iſt die Frage gegeben, welche Bedeutung
die alte Landſchaft in dieſer neuen Ordnung der Dinge hat und haben
könne? Wie weit und in welcher Form ſie fähig iſt, auch in der
ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft fortzuleben?
Hier nun muß man auf Grundlage der bisherigen Funktionen der
Landſchaft weſentlich unterſcheiden. Das Princip der verfaſſungsmäßigen
Geſetzgebung iſt, daß ein Geſetz als Geſammtwillen auch nur durch
den Willen der Geſammtheit gebildet werden kann, ohne Rückſicht auf
ſeinen Inhalt und die Verpflichtungen, die es auferlegt. Daraus folgt
der organiſche Grundſatz, daß keine Landſchaft mehr ein Recht
auf ſelbſtändige Theilnahme an der Geſetzgebung haben
kann. Die Geſetzgebung geht von ihr über auf den geſetzgebenden
Körper der Volksvertretung. Die Landſchaft daher, mag ſie nun be-
ſtehen wie ſie will, exiſtirt damit nur noch als ein Verwaltungs-
körper, und mit dieſem Satze reiht ſie ſich ein in denjenigen Staats-
organismus, den die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft erzeugt. Das iſt
ihre organiſche Stellung in der neuen Zeit. Sie beſteht, inſofern wir
von ganz Europa ſprechen, nur noch als Selbſtverwaltungskörper.
In dieſer Beziehung nun erſcheint allerdings ein Moment, welches
gleichfalls als ein europäiſches betrachtet werden kann. Die Aufgaben
der Staatsverwaltung fangen an, ſo wichtig und umfangreich zu wer-
den, daß ſie eines kleinen Gebietes bedürfen, um überſehen und aus-
geführt zu werden. Der Schwerpunkt der Verwaltung beginnt daher
von den größern Körpern ſich den etwas kleineren zuzuneigen; es wird
dadurch unthunlich, die Landſchaft für ſich allein darzuſtellen. Man
kann dieß Verhältniß nicht beſſer bezeichnen, als indem man die eine
Landſchaft in ihrer adminiſtrativen Seite als eine Einheit des Syſtems
der Gemeinden bezeichnet. Sie iſt aus ihrer Selbſtändigkeit heraus-
getreten und ein Glied eines Ganzen geworden, und gewiſſe Wieder-
holungen ſind daher in der Darſtellung unvermeidlich. Namentlich
aber iſt dieß bei den einzelnen Ländern nothwendig. Dieſe aber ſind
gerade in demjenigen, was wir die Landſchaft nennen, ſo gründlich
und weſentlich verſchieden, daß es wohl kein Gebiet gibt, in welchem
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/437>, abgerufen am 22.11.2024.
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